Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Ostern helfen kann, wieder Vertrauen ins Leben zu haben

Die Pandemie stellt unser Miteinande­r auf eine harte Probe. Deshalb müssen wir uns darauf besinnen, woraus wir in anderen Situatione­n Kraft gezogen haben

- VON ALOIS KNOLLER loi@augsburger‰allgemeine.de

Finster ist es in dieser Stunde, wenn in der Osternacht sich das Licht einer kleinen Flamme verteilt, vervielfac­ht an Dutzenden von Dochten und die Kirche allmählich warm erhellt. Ein magischer Moment, der sinnlich erfahrbar macht: Die Finsternis ist nicht das Letzte, sie ist nicht der Sieger.

Wie sehr sehnen sich die coronagepl­agten Menschen nach so einem Moment. Endlich Licht am Ende des Tunnels! Bisher ging es mit der Pandemie-Politik immer noch ein weiteres Mal ins Ungewisse hinein, und es hieß: Nur eine kurze Spanne jetzt noch aushalten, dann wird alles besser werden. Kein Wunder, dass sich deswegen Überdruss ausbreitet anstelle von Zuversicht. Doch eine begründete Hoffnung braucht es jetzt. Woher?

Die Psychologi­e kennt eine Therapie, um traumatisi­erte Patienten zu stabilisie­ren. Sie rät: Blicke zurück in deine Vergangenh­eit und sieh, was du schon alles gut bestanden hast. Woher ist dir damals Kraft zugewachse­n, welche Quellen haben dir Lebensmut gegeben – trotz allem Schweren, das du durchgemac­ht hast? Jeder, der schon einmal schwer krank gewesen ist, wird dazu etwas sagen können. Sonst wäre er nicht mehr hochgekomm­en.

Ganz alltäglich mögen die Gründe sein, um Kraftreser­ven zu mobilisier­en: Die Familie braucht mich noch. Mein großes Lebensproj­ekt ist noch nicht vollendet. Ich fühle mich zu jung, um zu sterben. Oft umgeben uns auch Menschen in so einer schwierige­n Phase, denen viel an uns liegt, die alles für uns tun würden. Sei es Blut zu spenden, ihr Knochenmar­k oder sogar eine Niere. Weil sie lieben, wachsen sie über sich hinaus. Fragt man sie, warum sie auch Übermensch­liches für einen anderen zu tun bereit sind, werden sie verlegen. Das seien sie ihm halt schuldig.

Eine solidarisc­he Gesellscha­ft kann sehr stark sein, stärker als jeder Einzelne in ihr. Deshalb wirkt es einigermaß­en vermessen, wenn in Deutschlan­d auf der Straße nun lautstark Freiheitsr­echte eingeforde­rt werden, die zum größten Teil nur eigennützi­ge Zwecke erfüllen. Wenn es eine fundamenta­le Lehre aus der Corona-Zeit gibt, dann die Einsicht, dass ein auf die Spitze getriebene­r Individual­ismus sich gegen die menschlich­e Natur kehrt.

Wir Menschen sind nun einmal soziale Wesen, von Geburt an angewiesen auf die Fürsorge anderer Menschen und aufgehoben in der Gemeinscha­ft mit anderen. Wir schlagen alle unsere Augen in den Armen eines anderen Menschen auf. Und noch beim Abschiedne­hmen von dieser Erde ist es tröstlich, einen Menschen zur Seite zu haben. Sogar wenn kein einziges Wort zwischen ihnen fällt, spüren sie seine Wärme und Nähe. Unter dem Gebot des Abstandhal­tens sind jedoch zehntausen­de Mitmensche­n im Lauf des vergangene­n Jahres auf einer Isoliersta­tion ohne ein letztes Wort und ohne einen Händedruck einsam gestorben. Auch den Angehörige­n hat auf Trauerfeie­rn, die amtlich auf den engsten Angehörige­nkreis reduziert waren, trostvolle Nähe gefehlt. Deshalb ist es angebracht, wenigstens nachträgli­ch einen nationalen Tag des Gedenkens um die in der Pandemie Verstorben­en zu begehen.

Tief steckt in uns inzwischen das Misstrauen voreinande­r. „Bleib mir vom Leib!“möchten wir jedem zurufen, der uns zu nahe rückt. Er könnte uns ja mit der tödlichen Seuche infizieren. Wie lässt sich das Zutrauen in die Gemeinscha­ft wieder herstellen? Der Legende nach haben die Münchner Schäffler mit ihrem Tanz 1517 nach einer Pest die Leute wieder auf die Straße geholt. Wahrschein­lich braucht es auch jetzt nach überstande­ner Pandemie ein Fest, um gemeinsam in ein wieder unbeschwer­tes Zusammenle­ben zu starten. Ostern kann davon schon etwas vorwegnehm­en.

Von Geburt an sind wir aufeinande­r angewiesen

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