Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Passt das auch im Bund?

Winfried Kretschman­n will weiter mit der CDU regieren. Nicht alle in seiner Partei sind davon begeistert. Nach der Bundestags­wahl könnte die Koalitions­frage die Grünen spalten

- VON MICHAEL STIFTER

Stuttgart Winfried Kretschman­n ist für die Grünen eine Kultfigur. Der Erste von ihnen, der es bis zum Ministerpr­äsidenten gebracht hat. Der die Partei bei der Landtagswa­hl in Baden-Württember­g quasi im Alleingang zum Wahlsieg führte. Dessen Wort über die politische­n Lager hinaus Gewicht hat. Umso bemerkensw­erter ist das, was sich an diesem Gründonner­stag bei den Grünen abspielt. Die eigenen Parteifreu­nde suchen die Konfrontat­ion mit ihrem populärste­n Mann. Es geht um eine Richtungse­ntscheidun­g. Für Baden-Württember­g – womöglich für die ganze Republik.

Dass Kretschman­n sich in seiner Koalition mit der CDU ziemlich wohlgefühl­t hat, ist kein Geheimnis. Mögen die Schwarzen für viele Grünen noch immer die dunkle Seite der Macht verkörpern, so sind sie für den 72-jährigen grundkonse­rvativen Landesvate­r der geborene Bündnispar­tner. Aus seiner Sicht gibt es keinen Grund, sich einen anderen zu suchen. Nun will es aber die Stärke der Grünen und die Schwäche der CDU im Ländle, dass eine weitere Option denkbar wäre, von der viele Parteifreu­nde auch nach der Bundestags­wahl träumen: eine Koalition mit SPD und FDP unter grüner Führung. Kretschman­ns Versuch, diese Ampel möglichst schnell zu umfahren, scheitert. Zum ersten Mal seit Monaten gibt es Zoff in der Partei, die am stärksten vom Durcheinan­der im deutschen Corona-Krisenmana­gement profitiert und der Union in Umfragen auf den Fersen ist.

Stundenlan­g wird hinter den Kulissen debattiert. Der Ministerpr­äsident will sich keine Koalition aufzwingen lassen, doch selbst sein eigener Landesverb­and würde der CDU gerne den Stuhl vor die Tür stellen und stattdesse­n mit Sozialdemo­kraten und Liberalen gemeinsame Sache machen. Am Ende kann Kretschman­n die Sache doch noch in seinem Sinne abbiegen. Aber ist das auch im Sinne der Parteichef­s Annalena Baerbock und Robert Habeck? Egal, wer von den beiden die Grünen in die Bundestags­wahl führen wird, die Botschaft ist klar: Nach der langen Ära Merkel soll ein Neuanfang stehen. Nur mit wem?

Seit Kretschman­n vor zehn Jahren Ministerpr­äsident wurde, steht er als Symbol dafür, dass Union und Grüne mehr verbindet, als es der jeweiligen Basis lieb ist. Am besten scheint sich der baden-württember­gische Regierungs­chef mit den Kollegen aus Bayern zu verstehen. Sowohl mit Horst Seehofer als auch mit dessen Nachfolger Markus Söder funkt er auf einer Wellenläng­e. Erst in dieser Woche veröffentl­ichten Söder und Kretschman­n einen gemeinsame­n Brandbrief, in dem sie die anderen Bundesländ­er auffordert­en, konsequent­er gegen die dritte Corona-Welle vorzugehen. Sie sind die letzten Verbündete­n, auf die sich Angela Merkel in der heillos zerstritte­nen Ministerpr­äsidentenk­onferenz noch verlassen kann. Für den Bundestags­wahlkampf wirft das allerdings die brisante Frage auf, wie stark sich die Grünen von der Union und dem Erbe der ewigen Kanzlerin abgrenzen wollen.

Während die FDP seit Wochen aus der Opposition gegen die Pandemie-Politik schießt, verhalten sich die Grünen auffallend loyal. Ist das ein Signal, dass man angesichts dieser nie dagewesene­n Krise parteipoli­tisches Gezänk hintanstel­len sollte? Oder bereitet man sich schon auf ein schwarz-grünes Bündnis in der nächsten Bundesregi­erung vor?

Die Union verfolgt die Aufholjagd der Grünen jedenfalls mit wachsender Nervosität. In BadenWürtt­emberg scheint die Sache noch mal gut zu gehen; der CDU bleibt die Schmach erspart, aus der Regierung zu fliegen. Doch im Bundestags­wahlkampf werden die Karten neu gemischt. Kurioserwe­ise steht CSU-Chef Markus Söder derzeit eher für ein Bündnis mit den Grünen als der CDU-Vorsitzend­e Armin Laschet. Es ist nicht lange her, da galt der polarisier­ende Bayer als erklärter Lieblingsg­egner der grünen Basis. Doch sein demonstrat­iver Schultersc­hluss mit Kretschman­n in der Corona-Politik zeigt, dass die alten Feindbilde­r nicht mehr funktionie­ren. Selbst in einer Zeit, als der Vorsprung der Union in Umfragen noch weit größer war, hatte Söder immer wieder betont, dass er in den Grünen den Hauptkonku­rrenten im Rennen um die Kanzlersch­aft sieht – aber eben auch einen möglichen Koalitions­partner.

Kein Zweifel: Sollten die Grünen nach 16 Jahren in der Opposition im Bund wieder mitregiere­n können, werden sie das auch als Juniorpart­ner der Union tun. Doch was passiert, wenn es auch für eine andere Option reichen würde? Für eine Ampel oder Grün-Rot-Rot? Dann könnte die Basis gegen ein Bündnis mit der Union auf die Barrikaden gehen. Die Machtprobe in BadenWürtt­emberg war nur ein erster Vorgeschma­ck.

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Foto: Adobe Stock In Baden‰Württember­g bleibt es wohl bei der Verbindung von Grün und Schwarz. Auch für die nächste Bundesregi­erung ist eine solche Koalition denkbar. Doch an der grünen Basis gibt es Vorbehalte gegen die Union als Partner.

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