Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schuhläden öffnen – und andere Geschäfte?

Nach einem Gerichtsbe­schluss dürfen Schuhgesch­äfte in Bayern wieder aufmachen. Wie ein Juraprofes­sor diese Entscheidu­ng einschätzt und was der Handel nun vorhat

- VON PHILIPP WEHRMANN

Augsburg Schuhgesch­äfte dürfen in Bayern wieder unabhängig von der Höhe der Inzidenz öffnen. Das hat der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of (BayVGH) am Mittwoch entschiede­n. Schuhläden gelten nun als Geschäfte, die für die tägliche Versorgung unverzicht­bar sind – auch wenn die Inzidenz über 100 liegt und damit eigentlich die sogenannte Notbremse gilt.

Zur Begründung verwies der zuständige Senat darauf, dass Schuhgesch­äfte mit Buchhandlu­ngen, Bau- und Gartenmärk­ten, Blumenläde­n oder Versicheru­ngsbüros vergleichb­ar seien. Diese sind bereits seit mehreren Wochen geöffnet. Eine genaue Begründung des Beschlusse­s liegt noch nicht vor.

Auf Grundlage der bisher bekannten Informatio­nen begrüßt Gerrit Manssen, Professor für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Regensburg, die Entscheidu­ng. Aus seiner Sicht stellt sie eine Trendwende dar und könnte Auswirkung­en auf andere Branchen haben. „Für die tägliche Versorgung unverzicht­bare Ladengesch­äfte“, wie sie die Verordnung nennt, seien Schuhgesch­äfte zwar nicht. „Aber nach fünf Monaten Lockdown brauchen viele doch mal neue Schuhe“, sagt der Experte für Verwaltung­srecht. Bisher hätten Gerichte die Regelungen des jeweiligen Lockdowns meist „juristisch durchgewun­ken“. In dem Beschluss sei eine Trendwende zu erkennen. Eine Maßnahme wie die Schließung von Schuhgesch­äften, die für ein paar Wochen zumutbar sei, sei es nach Monaten irgendwann nicht mehr.

Ursprüngli­ch war die Liste der

Geschäfte des täglichen Bedarfs enger gefasst und beschränkt­e sich beispielsw­eise auf Lebensmitt­elgeschäft­e. Anfang März öffnete die Staatsregi­erung Bereiche wie Gartenmärk­te, Blumengesc­häfte und Baumärkte – noch vor einem entspreche­nden Beschluss der Ministerpr­äsidentenk­onferenz.

Die Vielzahl der Branchen, die von der generellen Öffnung profitiere­n, sind aus Manssens Sicht juristisch problemati­sch. „Je mehr Ausnahmen der Verordnung­sgeber macht, desto stärker stellt sich die Frage nach der Gleichbeha­ndlung mit anderen Ladengesch­äften“, erklärt er. Mit dem Infektions­risiko könne man nicht begründen, warum Buchläden geöffnet und Computer

geschlosse­n sind. Ein anderer Ansatz wäre, wie dringend der Bedarf nach einer bestimmten Leistung ist. Mit dieser Begründung ließen sich beispielsw­eise Friseursal­ons öffnen. Doch andere Ausnahmen rechtferti­ge dieses Argument nicht. „Bücher kann man genauso im Internet bestellen wie Elektronik­artikel.“

Der Rechtsprof­essor vermutet, dass der Beschluss weitere Schritte nach sich ziehen wird. „Als nächstes werden wohl zu Recht die Textilgesc­häfte sagen: Neue Klamotten brauchen die Leute auch irgendwann“, betont er. Der Beschluss zeige, dass die Akzeptanz der Gerichte für die derzeitige LockdownGe­setzgebung sinke. „Die Politik muss neue Wege suchen und finden als das, was zunächst 2020 beim unerwartet­en Auftreten der Pandemie juristisch in Ordnung war.“

Auch der Handelsver­band Bayern rechnet damit, dass sich aufbauend auf dem Beschluss weitere Loläden ckerungen vor Gericht erstreiten lassen. Hauptgesch­äftsführer Wolfgang Puff kündigte gegenüber unserer Redaktion an, der Verband bereite Klagen von Bekleidung­sgeschäfte­n vor. Diese würden in den nächsten Tagen eingereich­t. „Was soll an einer Hose anders sein als an Schuhen?“, fragt er.

Der Beschluss sei für den Handelsver­band überrasche­nd gewesen. Denn bislang habe die Justiz durchgehen­d anders entschiede­n. „Wir freuen uns natürlich“, betont er. Der Einzelhand­el sei kein Infektions­treiber. „Wir sind nicht die Supersprea­der“, sagt Puff. Der Lebensmitt­el-Einzelhand­el sei seit Beginn der Pandemie geöffnet, dennoch sei das Infektions­geschehen unter Kunden und Mitarbeite­rn quasi nicht vorhanden.

Trotz der Kontaktdat­enerfassun­g, die in anderen Branchen notwendig gewesen sei, sei kein Infektions­geschehen dort bekannt geworden. Puff spricht sich für eine breite Öffnung des Einzelhand­els auf, die dafür mit zusätzlich­en Vorsichtsm­aßnahmen begleitet wird. Sein Verband habe der Staatsregi­erung zusätzlich­e Hygienemaß­nahmen angeboten – und werde dies nun gegebenenf­alls wieder tun.

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Foto: Jens Wolf, dpa Schuhgesch­äfte dürfen in Bayern wieder unabhängig von der Höhe der Inzidenz öffnen.

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