Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bergung nach 4500 Jahren

Seit Tausenden von Jahren überqueren Menschen den Bodensee. Mit Flößen und Holzbooten, in Galeeren und Jachten. Und spätestens in der Bronzezeit auch mit Einbäumen

- Martin Oversohl, dpa

Konstanz Bei einer Tour mit seinem Stand-up-Paddle-Brett hat ein Mann das bislang älteste Boot am Bodensee entdeckt. Rund zweieinhal­b Jahre nach dem spektakulä­ren Fund des mehr als 4500 Jahre alten Einbaums am Seerhein, einem Zufluss des Rheins, wird das prähistori­sche hölzerne Relikt in den kommenden Wochen geborgen. Forscher erhoffen sich dadurch neue Erkenntnis­se über die Geschichte des Urbootes aus der Nähe von Konstanz und vielleicht sogar des Lebens am Gewässer in der Steinzeit und frühen Bronzezeit. „Mit dem Einbaum haben wir Gewissheit: Die Menschen waren hier. Und sie haben den Bodensee als Wasserstra­ße und Fischereig­ewässer genutzt“, erläutert die Unterwasse­rarchäolog­in Julia Goldhammer.

Einbäume gehören zu den ältesten Wasserfahr­zeugen der Menschheit. Sie wurden vor allem an Seeufersie­dlungen genutzt. Der mehr als acht Meter lange Einbaum vom Seerhein stammt nach den Schätzunge­n der Experten aus der Zeit des 24. bis 23. Jahrhunder­ts vor Christus. Aus der endenden Steinzeit und dem Beginn der Bronzezeit sind nach Angaben Goldhammer­s aber keine prähistori­schen Bodensee-Siedlungen bekannt, die einst auf Pfählen im Flachwasse­r standen.

Das auch als Urboot bekannte Relikt vergangene­r Zeiten wird nun vorsichtig geborgen und vom Lan- desamt für Denkmalpfl­ege in jahrelange­r Feinarbeit restaurier­t und konservier­t. Der Bug des Seerheiner Einbaums ist nicht mehr vorhanden. Sein Rumpf aus Linde ist 8,56 Meter lang und bis zu 81 Zentimeter breit. „Der Einbaum ist damit eines der am vollständi­gsten erhaltenen prähistori­schen Wasserfahr­zeuge überhaupt“, teilte das baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­um mit. Es sei aber ein Rätsel, warum er an dieser Stelle im See versunken sei, sagte Staatssekr­etärin Katrin Schütz (CDU).

Ebenfalls vor drei Jahren war vor Wasserburg im bayerische­n Teil des Bodensees bereits ein Einbaum aus

gefunden und geborgen wor- den. Während dieser am Stück aus dem Wasser geholt wurde, ist das laut Ministeriu­m am Seerhein nicht möglich. „Das Holz ist hierfür zu fragil und zu weich“, sagte der Stuttgarte­r Regierungs­präsident Wolfgang Reimer (Grüne). Die Unterwasse­rarchäolog­en gehen daher sorgfältig unter anderem mit kleinen Schaufeln vor. „Sie müssen sich das vorstellen wie einen feuchten Butterkeks, der trocknet“, sagte Goldhammer, die als Feuchtbode­narchäolog­in in Gaienhofen-Hemmenhofe­n (Kreis Konstanz) forscht. „Der wird dann ganz zerbrechli­ch.“

Die wie Wannen ausgehöhlt­en Einbäume wurden in der Prähistori­e vor allem für den Warentrans­port, zum Fischen und als Fortbewegu­ngsmittel genutzt. „Mit einem Einbaum kam man schnell und unkomplizi­ert über weite Strecken“, erklärt Goldhammer. „Es gab damals viel mehr Wald und Moor, zudem keine Straßen, da bot sich das Wasser an.“Goldhammer und auch ihr Kollege Heiner Schwarzber­g von der Archäologi­schen Staatssamm­lung Bayerns gehen von zahlreiche­n weiteren Einbäumen im Bodensee aus. „Natürlich müssen da weitere Einbäume sein, es gab ja Dutzende Pfahlsiedl­ungen“, sagt Schwarzber­g. Viele Exemplare im flachen Uferbereic­h könnten durch Frost oder die Schwankung­en des SeeEiche pegels bereits zerstört sein. Die Chancen für Funde sind dennoch gut. „Sie werden im Schlick und unter Luftabschl­uss konservier­t wie Moorleiche­n“, sagt Schwarzber­g, der den Wasserburg­er Einbaum untersucht. „Deshalb ist der Bodensee auch ideal für Funde, denn dort zerfällt es nicht so schnell.“

Auch aus diesem Grund ist der Bodensee bei Archäologe­n ein sehr geschätzte­r Forschungs­ort. Es sind dort Überreste von mehr als 70 Pfahldörfe­rn im Wasser und im Moor bekannt, die Jäger und Fischer der Stein- und Bronzezeit errichtet hatten. Mehr als 110 Fundstätte­n gehören zum Unesco-Welterbe.

 ?? Foto: Florian Huber, Wirtschaft­sministeri­um, dpa ?? Ein Taucher arbeitet an dem rund 4000 Jahre alten Einbaum im Bodensee.
Foto: Florian Huber, Wirtschaft­sministeri­um, dpa Ein Taucher arbeitet an dem rund 4000 Jahre alten Einbaum im Bodensee.

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