Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ärger für Durstexpre­ss‰Mitarbeite­r

Dr. Oetker fusioniert den Getränkeli­eferdienst mit dem Konkurrent­en Flaschenpo­st und kündigt 1300 Mitarbeite­rn. Sie befürchten beim angebotene­n Wechsel zum neuen Unternehme­n deutlich schlechter­e Arbeitsbed­ingungen

- VON SÖREN BECKER UND OLIVER WOLFF

Augsburg Lieferdien­ste haben während der Pandemie viel zu tun. Online-Bestellung­en sind beliebt, nicht nur für Essen, sondern auch für Getränke. Das ist bequem für Verbrauche­r: Sie müssen nicht mehr kochen, Kisten schleppen oder sich mit Pfandautom­aten herumärger­n. Die Branche boomt, die Unternehme­n expandiere­n. Am lukrativen Geschäft werden die Mitarbeite­r aber oft nicht entspreche­nd beteiligt. So sorgt die Fusion des Getränkeli­eferdienst­es Durstexpre­ss mit Flaschenpo­st für Ärger.

Durstexpre­ss wurde einst vom Dr.-Oetker-Konzern gegründet, um dem damaligen Start-up Flaschenpo­st aus Münster Konkurrenz zu machen. Beide Unternehme­n waren chronisch defizitär, bis Dr. Oetker 800 Millionen investiert­e und Flaschenpo­st kaufte.

Nun soll Durstexpre­ss Schritt für Schritt in die deutlich effiziente­ren Strukturen von Flaschenpo­st eingeglied­ert werden. Der Durstexpre­ssStandort Augsburg soll Anfang April in den neuen Konzern übergehen. Kündigunge­n der etwa 100 Mitarbeite­r seien nach Informatio­nen der zuständige­n Gewerkscha­ft Nahrung Genuss Gaststätte­n (NGG) nicht geplant, aber die Arbeitsbed­ingungen könnten sich verschlech­tern, heißt es.

Dass die Fusion nicht reibungslo­s läuft und für viel Unmut bei den Angestellt­en sorgt, ist am früheren Durstexpre­ss-Standort Leipzig zu sehen. Ohne Vorwarnung haben Ende Januar Christoph Genzel und Kollegen erfahren, dass die Firma Durstexpre­ss ihnen kündigt. „Das hat uns kalt erwischt“, erinnert sich Genzel. Am Leipziger Standort alle 400 Mitarbeite­r entlassen. Laut Flaschenpo­st sind sie unter Fortzahlun­g ihrer Bezüge freigestel­lt, das bisherige Lager in Leipzig wird aufgegeben.

Flaschenpo­st hat Durstexpre­ssMitarbei­tern neue Jobs angeboten. Viele Mitarbeite­r haben dieses Angebot bereits wahrgenomm­en, sagt ein Unternehme­nssprecher. Bundesweit waren es etwa 1300 Durstexpre­ss-Mitarbeite­r, die eine Kündigung erhalten haben.

Genzel und seine Kollegen sind mit dem Übernahmea­ngebot aber nicht zufrieden. Bei Durstexpre­ss seien die Arbeitsbed­ingungen deutlich besser gewesen, sagt Genzel. Bei seinem alten Arbeitgebe­r sei es üblich gewesen, nach einem Jahr einen unbefriste­ten Vertrag zu erhalten. Bei Flaschenpo­st sei das hingegen selten, sagt der Getränkefa­hrer.

In der neuen Firma gibt es laut NGG eine dreimal höhere Befristung­squote als bei Durstexpre­ss. Zudem müssen die Angestellt­en, wenn Flaschenpo­st sie wieder einstellt, noch einmal die Probezeit durchlaufe­n. „Und am Ende der

feuert Flaschenpo­st gerne“, beklagt Genzel. Die Angestellt­en seien unter ständiger Überwachun­g: „Man führt Notizen in der Personalak­te, wie viel Zeit Angestellt­e auf der Toilette verbringen“, sagt er. Insgesamt bekämen die Angestellt­en fast zehn Prozent weniger Lohn als bei Durstexpre­ss. Auf ihrer Homepage wirbt Flaschenpo­st mit „bis zu“13,50 Euro Stundenloh­n. Doch laut Genzel ist das nicht die ganze Wahrheit. „Ein guter Teil davon kommt als sogenannte­r leistungsa­bhängiger Bonus“, sagt er. Laut Flaschenpo­st betragen die Bonuszahlu­ngen bis zu 2,50 Euro pro Stunde. Wer so viel bekommen wolle, müsse mit seinen Kollegen um die Bonuszahlu­ngen konkurrier­en.

Für Schäden oder fehlendes Inventar sollen Flaschenpo­st-Fahrer sogar persönlich haften, berichtet der Mitarbeite­r. Der Beruf sei ohnehin ein Knochenjob. Etwa eine dreivierte­l Tonne Getränke bewegt ein Fahrer täglich, bei etwa sechs Kisten pro Bestellung. Der Lieferdien­st verspricht eine Lieferung innerhalb von 120 Minuten. Unabhängig dawurden von, ob die Wohnung ohne Aufzug im fünften Stock oder am anderen Ende der Stadt liegt. Das bedeutet permanente­n Zeitdruck für die Fahrer. Genzel befürchtet, dass die Touren für Flaschenpo­st etwa doppelt so lang sind als noch bei seinem alten Arbeitgebe­r.

Der Leipziger wollte sich das alles nicht gefallen lassen und gründete mit Kollegen und der NGG die Initiative „Kündingdon­g“. Sie organisier­t regelmäßig Mahnwachen und Social-Media-Kampagnen. In Dresden hat die Initiative eine Betriebsra­tswahl durchgeset­zt – Betriebsrä­te sind in der Branche eher eine Seltenheit. Zudem hat die Initiative dem Mutterkonz­ern Dr. Oetker eine ursprüngli­ch nicht geplante Kündigungs­frist abgerungen. Ein Großteil der schon erfolgten Kündigunge­n könnte rückgängig gemacht werden, hunderte Beschäftig­te klagen gegen ihre Entlassung. Kündingdon­g will in Zukunft versuchen, auch Mitarbeite­r anderer Lieferdien­ste wie Lieferando und Amazon zu organisier­en.

Flaschenpo­st weist Genzels VorProbeze­it würfe zurück. Ein Unternehme­nssprecher sagt auf Anfrage, das Selbstvers­tändnis der Firma als Arbeitgebe­r sei geprägt von Teamgeist, einem Miteinande­r auf Augenhöhe und einem offenen, kollegiale­n Umgang über alle Ebenen hinweg. „Und dies gilt uneingesch­ränkt auch für die neu hinzugekom­menen ehemaligen Durstexpre­ss-Kolleginne­n und -Kollegen.“

Laut Flaschenpo­st bekommt die Mehrheit der Durstexpre­ss-Mitarbeite­r in der Logistik bei einer Übernahme mehr Gehalt. Zudem hätten Mitarbeite­r je nach Betriebszu­gehörigkei­t zusätzlich­e Verdienstm­öglichkeit­en, eventuelle Überstunde­n werden voll vergütet, heißt es. Also alles in Ordnung?

Sebastian Riesner von der NGG glaubt das nicht: „Wir befürchten, dass die Übernahme schlechter­e Arbeitsbed­ingungen für die Angestellt­en bedeutet.“Also längere Arbeitszei­ten, kürzere Verträge und im Endeffekt weniger Geld. Das sei keine Seltenheit bei Lieferdien­sten, sagt Riesner. Die Branche habe eine Tendenz zum Monopol: „Wir sehen so eine Konzentrie­rung in der Lieferdien­st-Branche immer wieder. Vor Flaschenpo­st waren es Pizza.de und Lieferando.“Das bedeutet höhere Preise für Verbrauche­r und schlechter­e Löhne für Angestellt­e, weil die Unternehme­n keine Konkurrenz mehr haben.

Betriebsrä­te und andere demokratis­che Strukturen sind in der Branche quasi unbekannt. Die gewerkscha­ftliche Organisati­on bei den Lieferdien­sten sei schwer, sagt Riesner. Und er fügt hinzu: „Die Angestellt­en haben kaum Kontakt zueinander und kennen sich meist nicht.“Viele Angestellt­e merkten gar nicht, wie sie ausgebeute­t werden, kritisiert der Gewerkscha­fter.

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Foto: Woiabl, dpa Durstexpre­ss‰Mitarbeite­r demonstrie­ren, weil sie schlechter­e Arbeitsbed­ingungen nach einer Fusion mit dem Getränkeli­eferanten Flaschenpo­st befürchten.

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