Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ärger für DurstexpressMitarbeiter
Dr. Oetker fusioniert den Getränkelieferdienst mit dem Konkurrenten Flaschenpost und kündigt 1300 Mitarbeitern. Sie befürchten beim angebotenen Wechsel zum neuen Unternehmen deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen
Augsburg Lieferdienste haben während der Pandemie viel zu tun. Online-Bestellungen sind beliebt, nicht nur für Essen, sondern auch für Getränke. Das ist bequem für Verbraucher: Sie müssen nicht mehr kochen, Kisten schleppen oder sich mit Pfandautomaten herumärgern. Die Branche boomt, die Unternehmen expandieren. Am lukrativen Geschäft werden die Mitarbeiter aber oft nicht entsprechend beteiligt. So sorgt die Fusion des Getränkelieferdienstes Durstexpress mit Flaschenpost für Ärger.
Durstexpress wurde einst vom Dr.-Oetker-Konzern gegründet, um dem damaligen Start-up Flaschenpost aus Münster Konkurrenz zu machen. Beide Unternehmen waren chronisch defizitär, bis Dr. Oetker 800 Millionen investierte und Flaschenpost kaufte.
Nun soll Durstexpress Schritt für Schritt in die deutlich effizienteren Strukturen von Flaschenpost eingegliedert werden. Der DurstexpressStandort Augsburg soll Anfang April in den neuen Konzern übergehen. Kündigungen der etwa 100 Mitarbeiter seien nach Informationen der zuständigen Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) nicht geplant, aber die Arbeitsbedingungen könnten sich verschlechtern, heißt es.
Dass die Fusion nicht reibungslos läuft und für viel Unmut bei den Angestellten sorgt, ist am früheren Durstexpress-Standort Leipzig zu sehen. Ohne Vorwarnung haben Ende Januar Christoph Genzel und Kollegen erfahren, dass die Firma Durstexpress ihnen kündigt. „Das hat uns kalt erwischt“, erinnert sich Genzel. Am Leipziger Standort alle 400 Mitarbeiter entlassen. Laut Flaschenpost sind sie unter Fortzahlung ihrer Bezüge freigestellt, das bisherige Lager in Leipzig wird aufgegeben.
Flaschenpost hat DurstexpressMitarbeitern neue Jobs angeboten. Viele Mitarbeiter haben dieses Angebot bereits wahrgenommen, sagt ein Unternehmenssprecher. Bundesweit waren es etwa 1300 Durstexpress-Mitarbeiter, die eine Kündigung erhalten haben.
Genzel und seine Kollegen sind mit dem Übernahmeangebot aber nicht zufrieden. Bei Durstexpress seien die Arbeitsbedingungen deutlich besser gewesen, sagt Genzel. Bei seinem alten Arbeitgeber sei es üblich gewesen, nach einem Jahr einen unbefristeten Vertrag zu erhalten. Bei Flaschenpost sei das hingegen selten, sagt der Getränkefahrer.
In der neuen Firma gibt es laut NGG eine dreimal höhere Befristungsquote als bei Durstexpress. Zudem müssen die Angestellten, wenn Flaschenpost sie wieder einstellt, noch einmal die Probezeit durchlaufen. „Und am Ende der
feuert Flaschenpost gerne“, beklagt Genzel. Die Angestellten seien unter ständiger Überwachung: „Man führt Notizen in der Personalakte, wie viel Zeit Angestellte auf der Toilette verbringen“, sagt er. Insgesamt bekämen die Angestellten fast zehn Prozent weniger Lohn als bei Durstexpress. Auf ihrer Homepage wirbt Flaschenpost mit „bis zu“13,50 Euro Stundenlohn. Doch laut Genzel ist das nicht die ganze Wahrheit. „Ein guter Teil davon kommt als sogenannter leistungsabhängiger Bonus“, sagt er. Laut Flaschenpost betragen die Bonuszahlungen bis zu 2,50 Euro pro Stunde. Wer so viel bekommen wolle, müsse mit seinen Kollegen um die Bonuszahlungen konkurrieren.
Für Schäden oder fehlendes Inventar sollen Flaschenpost-Fahrer sogar persönlich haften, berichtet der Mitarbeiter. Der Beruf sei ohnehin ein Knochenjob. Etwa eine dreiviertel Tonne Getränke bewegt ein Fahrer täglich, bei etwa sechs Kisten pro Bestellung. Der Lieferdienst verspricht eine Lieferung innerhalb von 120 Minuten. Unabhängig dawurden von, ob die Wohnung ohne Aufzug im fünften Stock oder am anderen Ende der Stadt liegt. Das bedeutet permanenten Zeitdruck für die Fahrer. Genzel befürchtet, dass die Touren für Flaschenpost etwa doppelt so lang sind als noch bei seinem alten Arbeitgeber.
Der Leipziger wollte sich das alles nicht gefallen lassen und gründete mit Kollegen und der NGG die Initiative „Kündingdong“. Sie organisiert regelmäßig Mahnwachen und Social-Media-Kampagnen. In Dresden hat die Initiative eine Betriebsratswahl durchgesetzt – Betriebsräte sind in der Branche eher eine Seltenheit. Zudem hat die Initiative dem Mutterkonzern Dr. Oetker eine ursprünglich nicht geplante Kündigungsfrist abgerungen. Ein Großteil der schon erfolgten Kündigungen könnte rückgängig gemacht werden, hunderte Beschäftigte klagen gegen ihre Entlassung. Kündingdong will in Zukunft versuchen, auch Mitarbeiter anderer Lieferdienste wie Lieferando und Amazon zu organisieren.
Flaschenpost weist Genzels VorProbezeit würfe zurück. Ein Unternehmenssprecher sagt auf Anfrage, das Selbstverständnis der Firma als Arbeitgeber sei geprägt von Teamgeist, einem Miteinander auf Augenhöhe und einem offenen, kollegialen Umgang über alle Ebenen hinweg. „Und dies gilt uneingeschränkt auch für die neu hinzugekommenen ehemaligen Durstexpress-Kolleginnen und -Kollegen.“
Laut Flaschenpost bekommt die Mehrheit der Durstexpress-Mitarbeiter in der Logistik bei einer Übernahme mehr Gehalt. Zudem hätten Mitarbeiter je nach Betriebszugehörigkeit zusätzliche Verdienstmöglichkeiten, eventuelle Überstunden werden voll vergütet, heißt es. Also alles in Ordnung?
Sebastian Riesner von der NGG glaubt das nicht: „Wir befürchten, dass die Übernahme schlechtere Arbeitsbedingungen für die Angestellten bedeutet.“Also längere Arbeitszeiten, kürzere Verträge und im Endeffekt weniger Geld. Das sei keine Seltenheit bei Lieferdiensten, sagt Riesner. Die Branche habe eine Tendenz zum Monopol: „Wir sehen so eine Konzentrierung in der Lieferdienst-Branche immer wieder. Vor Flaschenpost waren es Pizza.de und Lieferando.“Das bedeutet höhere Preise für Verbraucher und schlechtere Löhne für Angestellte, weil die Unternehmen keine Konkurrenz mehr haben.
Betriebsräte und andere demokratische Strukturen sind in der Branche quasi unbekannt. Die gewerkschaftliche Organisation bei den Lieferdiensten sei schwer, sagt Riesner. Und er fügt hinzu: „Die Angestellten haben kaum Kontakt zueinander und kennen sich meist nicht.“Viele Angestellte merkten gar nicht, wie sie ausgebeutet werden, kritisiert der Gewerkschafter.