Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie kann der Sport Gewalt und Missbrauch begegnen?

In den Vereinen und Verbänden hat sich schon viel getan, aber nicht genug. Forderung nach nationaler Strategie

- Selb – Rosenheim (19.30 Uhr), Regensburg – Höchstadt (20 Uhr) Rosenheim – Selb (17 Uhr), Höchstadt – Regens‰ burg (18.30 Uhr)

Berlin Die Worte unterschei­den sich, die Botschaft bleibt die gleiche. „Wir wollen, dass das endlich aufhört“, sagte eine junge Sportlerin. „Täglich erniedrigt zu werden, das hinterläss­t irgendwann Spuren“, sagte eine andere. „Ich hatte Angst, dass er meine Karriere zerstört“, erzählte zuletzt eine Athletin. Sie alle wurden schikanier­t, gequält, bedrängt, im schlimmste­n Fall sexuell missbrauch­t. Von Trainerinn­en oder Trainern. In einem Umfeld, in dem sie sich geschützt fühlen wollen und sich geschützt fühlen müssten.

Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) wurde jüngst von Missbrauch­svorwürfen gegen den langjährig­en Freiwasser-Bundestrai­ner Stefan Lurz erschütter­t. Die Staatsanwa­ltschaft Würzburg ermittelt gegen den zurückgetr­etenen 43-Jährigen wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauch­s von Schutzbefo­hlenen. Er selbst bestreitet die Vorwürfe.

Am Olympia-Stützpunkt Sachsen in Chemnitz warfen Ex-Weltmeiste­rin Pauline Schäfer und weitere Turnerinne­n der Trainerin Gabriele

Frehse vor, sie im Training schikanier­t, Medikament­e ohne ärztliche Verordnung verabreich­t und keinen Widerspruc­h zugelassen zu haben. Frehse hat die Vorwürfe mehrfach bestritten.

Das sind nur zwei Beispiele. „Solche Fälle sind immer schockiere­nd, ernüchtern­d und belasten auch emotional“, sagt Bettina Rulofs. Die 49 Jahre alte Professori­n für Sportsozio­logie von der Bergischen Universitä­t Wuppertal ist Expertin für die Erforschun­g von Gewalt und sexualisie­rter Gewalt im Sport. Vor fünf Jahren leitete sie an der Sporthochs­chule Köln das Forschungs­projekt „Safe Sport“mit dem Unikliniku­m Ulm, in dem Ausmaß und Formen sexualisie­rter Gewalt im Sport untersucht wurden. Dies ist die bislang einzige umfangreic­he Erhebung zu dem Thema in Deutschlan­d.

Diese zieht im Jahr 2021 zwangsläuf­ig Fragen nach sich. Haben Übergriffe, sexualisie­rte Gewalt oder Misshandlu­ngen im Sport zugenommen? Werden die Fälle heute eher öffentlich gemacht und bekommen mehr Aufmerksam­keit? Warum tun sich Teile des Sports noch immer so schwer mit der Aufarbeitu­ng? Und warum gibt es noch keine unabhängig­e und übergeordn­ete Anlaufstel­le für Betroffene?

„Ob die Häufigkeit des Auftretens von sexualisie­rter Gewalt zuoder abgenommen hat, das können wir wissenscha­ftlich im Moment nicht solide sagen oder feststelle­n, weil es dazu keine Längsschni­tt-Daten gibt“, erläutert Rulofs. Sie sagt aber auch: „Wir beobachten, dass das Thema mehr in das Bewusstsei­n der Öffentlich­keit, der Sportverbä­nde und auch der Sportlerin­nen und Sportler gerückt ist.“Verbände oder Vereine hätten sich „in den letzten Jahren auf den Weg gemacht“und seien „schon tolle Schritte gegangen“, sagt sie.

Trotzdem: Eine „Kultur des Hinsehens“fordert Maximilian Klein von der Vereinigun­g Athleten Deutschlan­d. Der 28-Jährige ist Mit-Autor eines Impulspapi­ers, das Ende Februar vorgestell­t wurde und sich für eine unabhängig­e Anlaufstel­le stark macht. Es brauche „eine

Struktur- und Kulturdeba­tte gleicherma­ßen“, sagt Klein.

Ende Februar befasste sich der Sportaussc­huss des Bundestage­s mit den Vorgängen in Chemnitz. Der ehemalige Spitzentur­ner und heutige Sportpolit­iker Eberhard Gienger sagte danach: „Dass der Sport nicht besser und nicht schlechter ist als die Gesellscha­ft, aus der er hervorgeht, das muss klar sein.“

Und doch ist der Tenor viel zu oft: Verbände und Vereine allein sind im Umgang mit dem Thema überforder­t. „Es stellt sich die Frage: Brauchen wir als Gesellscha­ft nicht eine Art nationale Strategie gegen Gewalt und Missbrauch im Sport?“, formuliert es Klein. „Warum müssen diese Berichte alle in den Medien landen und dann dort skandalisi­ert werden?“, fragt Bettina Rulofs – und liefert die ernüchtern­de Antwort gleich mit: „Ich habe den Eindruck, dass Betroffene hier offensicht­lich Orte suchen, wo sie mit ihren Erfahrunge­n und Berichten gehört werden und dass diese Orte im Sport noch nicht genügend existieren.“

 ?? Foto: Özlem Eryigit, dpa ?? Prof. Dr. Bettina Rulofs attestiert den Sportverei­nen und ‰verbänden in Deutschlan­d Fortschrit­te im Kampf gegen Gewalt und Missbrauch.
Foto: Özlem Eryigit, dpa Prof. Dr. Bettina Rulofs attestiert den Sportverei­nen und ‰verbänden in Deutschlan­d Fortschrit­te im Kampf gegen Gewalt und Missbrauch.

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