Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Eine „Grüne Kapelle“für den gekreuzigten Christus
Versteckt im Siebentischwald haben Menschen eine Gedenkstätte eingerichtet. Ein Kreuz und ein Schrein für die Muttergottes laden zum Gebet ein – oder einfach nur zum Gespräch. Der Ort hat eine lange Geschichte und viele Besucher
Es ist ein Ort der Einkehr, doch absolute Ruhe herrscht nicht. Immer wieder quietschen die Bremsen eines Fahrrades, ein Ständer klappt geräuschvoll nach unten und das Rad darf auf dem Waldweg für ein paar Minuten pausieren. Wo sich eine herannahende Gruppe gerade noch munter unterhielt, verstummen die Gespräche an dieser besonderen Stelle und machen Platz für besinnliche Momente.
In einem Labyrinth von Pfaden und Abzweigungen haben die Radler die Nische mit dem gekreuzigten Jesus mitten im Wald gefunden, in dessen Hintergrund ein Schrein mit der Muttergottes steht. Darunter Kerzen, bemalte Steine. Die katholische Pfarreiengemeinschaft St. Wolfgang und Don Bosco wird im Mai wieder die erste und die letzte Andacht an diesem verborgenen Ort hinter der Zoo-Mauer feiern.
Seit 2003 halten Werner und Karin Schnee aus der Firnhaberau das Kleinod umrahmt von Vogelgezwitscher und Bäumen in Ordnung, weil sie wissen, was es vielen Augsburgern und auswärtigen Spaziergängern bedeutet. Im Moment schmücken gelbe Osterglocken das überdachte Holzkreuz, wo zu Füßen Jesu eine Schale bepflanzt ist. Im Sommer, wenn der Bewuchs auszutrocknen droht, müssen die Schnees und ihre Mitstreiter Josef Arucha, Hans Fernbacher sowie Bernd Neueder das Wasser von weither aus den Bächen oder dem Stempflesee holen. Unterstützt werden sie auch von einem Mitarbeiter des Botanischen Gartens.
„Jetzt freue ich mich direkt, dass ich wieder hergefunden habe“, sagt eine Seniorin, die ihr Rad bei den Sitzbänken abstellt. Die sportliche 86-Jährige stellt sich als Klothilde vor, weil ihr voller Name in Zusammenhang mit diesem heiligen Ort nicht von Bedeutung sei. Seit sie in der Presse wegen ihres Engagements für den Stempflesee mehr Erwähnung fand, als ihr lieb war, und sie immer wieder darauf angesprochen wurde, bleibt sie heute lieber anonym. Dennoch ist sie glücklich, dass der See heute wieder mit Baumstämmen umgrenzt ist und „nicht von Steinen, die von weither gekarrt“wurden.
Wer ein paar Stunden auf den Bänken beim Holzkreuz verbringt, hat viele nette Begegnungen. Auch das Geklackere von Walking-Stöcken kündet immer wieder von Neuankömmlingen. Diesmal sind es Hartmut Oestreich, 75, und seine Frau Ingrid, 74, die gezielt den „Maria-Hilf-Platz“, wie sie ihn getauft haben, im Siebentischwald aufsuchen. Schnell entwickelt sich ein Gespräch über dies und das, über den Borkenkäfer, über Baumfällungen und – wie könnte es anders sein – über Corona. „Ein Kreuz, egal wo, gibt mir immer ganz viel“, sagt Karin Oestreich, die mit ihrem Mann überlegt, wie sie Ostern verbringen werden. Ein Anliegen, das sie an diesem Nachmittag sicherlich hat, heißt: „Ich würde so gerne meine Enkel sehen.“Und Klothilde, die von ihren sportlichen Aktivitäten erzählt, wünscht sich auch ein Ende der Pandemie – und, sie unbeschadet zu überstehen. Den Blick gen
Himmel gerichtet, sagt sie: „Ich bin so gerne auf der Welt.“
So begegnet dem „Waldläufer“zwischen Haunstetter Straße und Lech beim Waldkreuz ganz unvermittelt ein Ort der Kommunikation. Ein Ort, an dem sich das Irdische beziehungsweise Weltliche mit dem Göttlichen verbindet, an dem Fremde aus Respekt vor der Schöpfung schnell Freundschaft schließen. Begonnen hat mit der regelmäßigen Pflege der Stätte im Wald Hans Neueder, der sich nach Auskunft seiner Frau Erna, 89, zwölf Jahre lang um das Kreuz sorgte, Wasser aus dem Bach für die Pflanzen drum herum holte, die er vorher im Gartencenter eingekauft hatte. „Jeden Sonntag“, sagt die im Hochfeld lebende Witwe, „war er drüben.“
Wie Jürgen Kircher, Leiter der Forstverwaltung, weiß, steht das Kreuz bereits seit Oktober 1959 an dieser Stelle unweit des Zoos. Schon damals habe die städtische Forstverwaltung offenbar dabei geholfen, das christliche Symbol mit dem Oberammergauer Schnitz-Korpus aufzustellen. Das Anliegen: Es sollte „inmitten der Natur, deren Schönheit Gott den Schöpfer preist, und im Gebiet, wo sich die Anlagen für die Wasserversorgung der Stadt befinden, ein Segenszeichen sein und auf das ewige Heil hinweisen“. Genannt wird dieses Segenszeichen auch das Pater-Leppich-Kreuz. Dieser Name gehe auf einen charismatischen Volksmissionar zurück. Eingesegnet wurde es vom Geistlichen Rat Pater Burkhard Zimmermann von St. Wolfgang, der damit den Wunsch verband, es möge den Passanten sagen, dass sie alle auf dem Weg in eine ewige Heimat sind. Heute verbindet Kircher aber noch einen Wunsch mit der Stätte, um deren Beliebtheit er weiß: Besucher des Kreuzes sollten wegen der Waldbrandgefahr dort keine Kerzen aufstellen – auch Grablichter mit Deckel gelten als offenes Feuer. „Wenn eine Beleuchtung“, sagt Kircher, „dann LED.“
Einen besonderen Geist verströmt das Waldkreuz nach Ansicht von Elfriede Schaller, 79. Sie weiß, dass es vielen Menschen Halt gibt und einfach eine Anlaufstelle im Alltag ist. Eingedenk dessen, dass Hans Neueder immer wieder aus eigener Tasche in den Blumenschmuck investierte, habe St. Wolfgang bei den Maiandachten so manche Kollekte für den Blumenschmuck initiiert. Dort konnte sie auch beobachten, dass Jogger und Radfahrer ihren Weg unterbrachen, um spontan an den Feiern teilzunehmen. Sie selbst habe sich mit ihrer Familie dort zur Christmette eingefunden, weil ein Kirchenbesuch mit Abstand und Maske in St. Wolfgang nicht möglich gewesen sei. „Und wir blieben nicht allein“, sagt sie, andere hätten an Heiligabend die gleiche Idee gehabt. Zu beobachten ist auch, dass junge Menschen im Vorübergehen innehalten.
Pfarrer Alfred Nawa spricht von einer „Grünen Kapelle“, die geeignet sei, sich Gedanken zu machen und in Stille zu beten. Nach dem Grund ihres Hierseins gefragt, kehrt eine Antwort bei den Besuchern immer wieder, mögen die Anlässe auch noch so persönlich und unterschiedlich sein: „Aus Dankbarkeit.“