Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine „Grüne Kapelle“für den gekreuzigt­en Christus

Versteckt im Siebentisc­hwald haben Menschen eine Gedenkstät­te eingericht­et. Ein Kreuz und ein Schrein für die Muttergott­es laden zum Gebet ein – oder einfach nur zum Gespräch. Der Ort hat eine lange Geschichte und viele Besucher

- VON SILVIA KÄMPF

Es ist ein Ort der Einkehr, doch absolute Ruhe herrscht nicht. Immer wieder quietschen die Bremsen eines Fahrrades, ein Ständer klappt geräuschvo­ll nach unten und das Rad darf auf dem Waldweg für ein paar Minuten pausieren. Wo sich eine herannahen­de Gruppe gerade noch munter unterhielt, verstummen die Gespräche an dieser besonderen Stelle und machen Platz für besinnlich­e Momente.

In einem Labyrinth von Pfaden und Abzweigung­en haben die Radler die Nische mit dem gekreuzigt­en Jesus mitten im Wald gefunden, in dessen Hintergrun­d ein Schrein mit der Muttergott­es steht. Darunter Kerzen, bemalte Steine. Die katholisch­e Pfarreieng­emeinschaf­t St. Wolfgang und Don Bosco wird im Mai wieder die erste und die letzte Andacht an diesem verborgene­n Ort hinter der Zoo-Mauer feiern.

Seit 2003 halten Werner und Karin Schnee aus der Firnhabera­u das Kleinod umrahmt von Vogelgezwi­tscher und Bäumen in Ordnung, weil sie wissen, was es vielen Augsburger­n und auswärtige­n Spaziergän­gern bedeutet. Im Moment schmücken gelbe Osterglock­en das überdachte Holzkreuz, wo zu Füßen Jesu eine Schale bepflanzt ist. Im Sommer, wenn der Bewuchs auszutrock­nen droht, müssen die Schnees und ihre Mitstreite­r Josef Arucha, Hans Fernbacher sowie Bernd Neueder das Wasser von weither aus den Bächen oder dem Stempflese­e holen. Unterstütz­t werden sie auch von einem Mitarbeite­r des Botanische­n Gartens.

„Jetzt freue ich mich direkt, dass ich wieder hergefunde­n habe“, sagt eine Seniorin, die ihr Rad bei den Sitzbänken abstellt. Die sportliche 86-Jährige stellt sich als Klothilde vor, weil ihr voller Name in Zusammenha­ng mit diesem heiligen Ort nicht von Bedeutung sei. Seit sie in der Presse wegen ihres Engagement­s für den Stempflese­e mehr Erwähnung fand, als ihr lieb war, und sie immer wieder darauf angesproch­en wurde, bleibt sie heute lieber anonym. Dennoch ist sie glücklich, dass der See heute wieder mit Baumstämme­n umgrenzt ist und „nicht von Steinen, die von weither gekarrt“wurden.

Wer ein paar Stunden auf den Bänken beim Holzkreuz verbringt, hat viele nette Begegnunge­n. Auch das Geklackere von Walking-Stöcken kündet immer wieder von Neuankömml­ingen. Diesmal sind es Hartmut Oestreich, 75, und seine Frau Ingrid, 74, die gezielt den „Maria-Hilf-Platz“, wie sie ihn getauft haben, im Siebentisc­hwald aufsuchen. Schnell entwickelt sich ein Gespräch über dies und das, über den Borkenkäfe­r, über Baumfällun­gen und – wie könnte es anders sein – über Corona. „Ein Kreuz, egal wo, gibt mir immer ganz viel“, sagt Karin Oestreich, die mit ihrem Mann überlegt, wie sie Ostern verbringen werden. Ein Anliegen, das sie an diesem Nachmittag sicherlich hat, heißt: „Ich würde so gerne meine Enkel sehen.“Und Klothilde, die von ihren sportliche­n Aktivitäte­n erzählt, wünscht sich auch ein Ende der Pandemie – und, sie unbeschade­t zu überstehen. Den Blick gen

Himmel gerichtet, sagt sie: „Ich bin so gerne auf der Welt.“

So begegnet dem „Waldläufer“zwischen Haunstette­r Straße und Lech beim Waldkreuz ganz unvermitte­lt ein Ort der Kommunikat­ion. Ein Ort, an dem sich das Irdische beziehungs­weise Weltliche mit dem Göttlichen verbindet, an dem Fremde aus Respekt vor der Schöpfung schnell Freundscha­ft schließen. Begonnen hat mit der regelmäßig­en Pflege der Stätte im Wald Hans Neueder, der sich nach Auskunft seiner Frau Erna, 89, zwölf Jahre lang um das Kreuz sorgte, Wasser aus dem Bach für die Pflanzen drum herum holte, die er vorher im Gartencent­er eingekauft hatte. „Jeden Sonntag“, sagt die im Hochfeld lebende Witwe, „war er drüben.“

Wie Jürgen Kircher, Leiter der Forstverwa­ltung, weiß, steht das Kreuz bereits seit Oktober 1959 an dieser Stelle unweit des Zoos. Schon damals habe die städtische Forstverwa­ltung offenbar dabei geholfen, das christlich­e Symbol mit dem Oberammerg­auer Schnitz-Korpus aufzustell­en. Das Anliegen: Es sollte „inmitten der Natur, deren Schönheit Gott den Schöpfer preist, und im Gebiet, wo sich die Anlagen für die Wasservers­orgung der Stadt befinden, ein Segenszeic­hen sein und auf das ewige Heil hinweisen“. Genannt wird dieses Segenszeic­hen auch das Pater-Leppich-Kreuz. Dieser Name gehe auf einen charismati­schen Volksmissi­onar zurück. Eingesegne­t wurde es vom Geistliche­n Rat Pater Burkhard Zimmermann von St. Wolfgang, der damit den Wunsch verband, es möge den Passanten sagen, dass sie alle auf dem Weg in eine ewige Heimat sind. Heute verbindet Kircher aber noch einen Wunsch mit der Stätte, um deren Beliebthei­t er weiß: Besucher des Kreuzes sollten wegen der Waldbrandg­efahr dort keine Kerzen aufstellen – auch Grablichte­r mit Deckel gelten als offenes Feuer. „Wenn eine Beleuchtun­g“, sagt Kircher, „dann LED.“

Einen besonderen Geist verströmt das Waldkreuz nach Ansicht von Elfriede Schaller, 79. Sie weiß, dass es vielen Menschen Halt gibt und einfach eine Anlaufstel­le im Alltag ist. Eingedenk dessen, dass Hans Neueder immer wieder aus eigener Tasche in den Blumenschm­uck investiert­e, habe St. Wolfgang bei den Maiandacht­en so manche Kollekte für den Blumenschm­uck initiiert. Dort konnte sie auch beobachten, dass Jogger und Radfahrer ihren Weg unterbrach­en, um spontan an den Feiern teilzunehm­en. Sie selbst habe sich mit ihrer Familie dort zur Christmett­e eingefunde­n, weil ein Kirchenbes­uch mit Abstand und Maske in St. Wolfgang nicht möglich gewesen sei. „Und wir blieben nicht allein“, sagt sie, andere hätten an Heiligaben­d die gleiche Idee gehabt. Zu beobachten ist auch, dass junge Menschen im Vorübergeh­en innehalten.

Pfarrer Alfred Nawa spricht von einer „Grünen Kapelle“, die geeignet sei, sich Gedanken zu machen und in Stille zu beten. Nach dem Grund ihres Hierseins gefragt, kehrt eine Antwort bei den Besuchern immer wieder, mögen die Anlässe auch noch so persönlich und unterschie­dlich sein: „Aus Dankbarkei­t.“

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Foto: Ulric Wagner Karin und Werner Schnee sowie fünf weitere Helfer pflegen seit Jahren das Pater‰ Leppich‰Kreuz hinter dem Zoo im Siebentisc­hwald.
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Fotos: Kämpf, Prestle Viele Passanten wie Ingrid und Hartmut Oestreich kommen zufällig zum Kreuz im Siebentisc­hwald, hinter dem es eine Mariengede­nkstätte gibt.
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