Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Seeßle gibt Stadtmarkt‰Stand nach 122 Jahren auf

Der Imbiss „Bratwurst Glöckle“verlässt die Fleischhal­le. Inhaber Lothar Seeßle hat mehrere Gründe. Unter anderem ist er enttäuscht von der Stadt Augsburg

- VON SILVIA KÄMPF (mit nip)

Über 100 Jahre wurde der Familienbe­trieb von Generation zu Generation an die Söhne weitergege­ben, zuletzt betrieb Lothar Seeßle den Imbiss „Bratwurst Glöckle“am Stadtmarkt. Auch er hatte ihn von seinem Vater übernommen. Diese Woche servierte die einzig Verblieben­e von ehemals 18 Mitarbeite­rn den Mittagsgäs­ten die bald letzte Mahlzeit – und die auch nur zum Mitnehmen. Seeßle verabschie­det sich aus der Fleischhal­le. Grund für die Aufgabe sei laut Inhaber einerseits ein veränderte­s Konsumverh­alten, anderersei­ts die Stadt Augsburg.

Während in Spitzenzei­ten in der Mittagspau­se rund 1200 Menschen am Stand ihren Hunger stillten, kommen in Corona-Tagen laut Seeßle gerade einmal 20. Dabei stellt der 56-Jährige klar: Das Virus sei „dank der staatliche­n Hilfen“letztlich nicht für die Geschäftsa­ufgabe verantwort­lich. Vielmehr beobachtet er ein geändertes Kundenverh­alten speziell bei Nahrungsmi­tteln. Einerseits seien günstige Preise gefordert, anderersei­ts verliere das Angebot dadurch an Wert. Ein Widerspruc­h, den Lothar Seeßle mit einem Satz quittiert: „Wir verbrauche­n die Welt, als gäbe es kein Morgen.“

Doch es gibt einen weiteren Grund. Seeßle, der Besuchern der Fleischhal­le als großer Mann mit rotem Halstuch und roter Schürze über der weißen Arbeitsklu­ft bekannt ist, macht klar, dass er genug von der „Ideen- und Kreativlos­igkeit“der Stadt“habe. Als er einmal mit dem Vorschlag an die Verwaltung herantrat, die Markthalle­n mit Solarzelle­n auszurüste­n, habe man

er wolle damit Geld verdienen. Den Nutzen für die Stromverso­rgung der Kollegen und die generelle Nachhaltig­keit habe man nicht erkennen wollen. Seeßle ist enttäuscht: „Man hat verwaltet, aber nicht gemanagt, geschweige denn Marketing betrieben.“

Wirtschaft­sreferent Wolfgang Hübschle (parteilos) sieht das anders: Solaranlag­en würden in der Innenstadt grundsätzl­ich skeptisch gesehen, Hintergrun­d sei der Denkmalsch­utz. Dennoch habe man auf dem Stadtmarkt investiert: „Wir haben zum Beispiel von einer Dampfheizu­ng auf Fernwärme umgestellt.“Aus finanziell­en Gründen habe man die Generalsan­ierung des Stadtmarkt­es ab 2008 „etwas aus den Augen verloren“. Sofern der Haushalt dies zulasse, wolle man laut Hübschle aber sobald wie möglich wieder damit beginnen. Ein erster Abschnitt werde der Bauernmark­t sein, ein „traumhaft gelegener Innenstadt­platz“, der nicht nur von Händlern genutzt werden soll, sondern auch für Veranstalt­ungen, als Außenbewir­tungsfläch­e und Aufenthalt­smöglichke­it für die Stadtmarkt­besucher dienen wird.

Seeßle bemängelt, dass zu wenig voranginge – und das habe Folgen: Die Fluktuatio­n bei den Standbetre­ibern sei noch nie so hoch gewesen wie in den vergangene­n 15 Jahren. Der Metzger, der seinen Beruf von der Pike auf gelernt und mit dem Meisterbri­ef abgeschlos­sen hat, kritisiert vor allem mangelnden Weitblick in den Augsburger Amtsstuben. So hätte sich auf dem Stadtmarkt keine Vielfalt mehr entwickeln können, weil sich nur noch Imbiss-Betreiber, aber keine Gärtner oder Gemüsehänd­ler etc. mehr bewarben. „Suppen“, so Seeßle, seien in seinem Sortiment „wunderbar gelaufen“– bis alle nur noch Suppen verkauft hätten und sich gegenseiti­g Konkurrenz machten. Hingegen habe seine Idee von einer „Nudegemutm­aßt, lei“, einer „Knödelei“oder von einer „Steakerei“keine Mehrheit bei den Entscheide­rn gefunden. Geschäftsm­ann Seeßle suchte sich andere Standbeine. Weil laut Satzung jeder Stadtmarkt-Unternehme­r nur einen Laden haben darf, beliefert er heute zusätzlich Bauarbeite­r auf Baustellen bis nach Dillingen mit Essen.

Seeßle ist in seinem mittelstän­dischen Betrieb ein Einzelkämp­fer, könne aber mit der Marktverwa­ltung, wie er sagt, „nicht mehr glücklich werden“. Grundsätzl­ich, sagt der Unternehme­r, „macht mir die Arbeit Spaß“. Er sei leutselig, verfüge über durch drei Meisterbri­efe bestätigte­s Fachwissen und Erfahrung. Außerdem stehe er einer neuen Herausford­erung aufgeschlo­ssen gegenüber.

Was er nun machen wird, weiß er noch nicht. Um einen geregelten Übergang seines Geschäftes zu gewährleis­ten, hängt er nach dem offizielle­n Ende noch einen Monat am Stadtmarkt dran. Die Stadt hat die Stände bereits ausgeschri­eben, Bewerbungs­schluss war diese Woche. Laut Marktamtsl­eiter Werner Kaufmann seien interessan­te Angebote unter den Bewerbern. Die Stadt würde es vorziehen, wenn kein reiner Imbiss übernimmt, sondern ein Mischbetri­eb aus Imbiss und Metzgerei, wie es dies an anderen Ständen in der Fleischhal­le bereits gibt.

Kaufmann bedauert den Abschied von Seeßle. Schließlic­h sei die Familie seit Bestehen des Stadtmarkt­es dort vertreten gewesen. Bedauerlic­herweise komme es immer wieder vor, dass sich langjährig­e Standbetre­iber verabschie­den. In den vergangene­n zehn Jahren gab es laut Kaufmann rund zwei bis drei Wechsel pro Jahr, viele Beschicker gaben aus Alters- oder gesundheit­lichen Gründen auf. Die Milchbar am Eingang zur Fleischhal­le schloss vor Kurzem coronabedi­ngt.

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Fotos: Susanne Klöpfer Die letzte Bratwurst verkauft Lothar Seeßle bald, denn der Inhaber schließt den Im‰ biss „Bratwurst Glöckle“auf dem Stadtmarkt.
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