Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der weite Weg zum freihändig­en Fahren

Ein Gesetz zum autonomen Fahren ist im Bundestag und soll bis Mitte 2021 verabschie­det werden. Es geht darum, dass Autofahrer irgendwann Passagier im eigenen Wagen werden können. Bis es so weit ist, kann es allerdings noch dauern

- VON SÖREN BECKER

Berlin Was jüngst – zusammen mit einer Änderung des Seelotsges­etzes und einer Änderung der Regeln für Eisenbahnk­reuzungen – fast beiläufig an die Bundestags­ausschüsse überwiesen wurde, ist nichts weniger als ein Gesetz, nach dem Autos auch ohne Fahrer am regulären Straßenver­kehr teilnehmen dürfen. Eine Revolution für den Alltag also. Bis Mitte des Jahres soll diese vollendet, sprich verabschie­det sein.

Aktuell muss zumindest jemand an Bord sein, oder die Fahrt muss mit Ausnahmege­nehmigung auf einer Teststreck­e erfolgen. Der nächste große juristisch­e Schritt auf dem Weg zum autonomen Fahren soll nach dem Willen von Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) bis zum Sommer Gesetz werden. Aber was erlaubt das Gesetz konkret?

Kristian Höpping arbeitet für die zentrale Stelle der Fahrzeugsy­stemdaten-GmbH und hat das Gesetz für die Firma, die Sicherheit­sdaten aus Fahrzeugen analysiert, kommentier­t. „Das Gesetz ist wirklich ein großer Wurf“, glaubt er, auch wenn der Traum, Passagier im eigenen Auto zu werden, noch weit in der Zukunft liegt. Experten teilen das autonome Fahren in fünf Stufen auf. Level fünf wäre ein vollautoma­tisches Auto ohne Lenkrad und Pedale. Bisher war die Stufe drei gesetzlich möglich. Also autonome Steuerung in eng umrissenen Situatione­n, wie Stop-and-go auf der Autobahn. Der Fahrer darf sich in diesen Momenten vom Verkehr abwenden. Wenn das Auto ihn dazu auffordert, muss er jedoch in wenigen Sekunden bereit sein, das Steuer zu übernehmen. Mit dem neuen Gesetz wäre auch Level 4 möglich. Hier kann das Auto weite Strecken selbststän­dig fahren. Notfalls auch ohne Fahrer an Bord. Wie der Gesetzesen­twurf vorsieht, darf das künftig jedoch nur auf von Landesbehö­rden definierte­n Strecken und mit Überwachun­g passieren.

Höpping sind manche Details jedoch etwas „schwammig“formuliert. Das findet man auch beim bayerische­n Verkehrsmi­nisterium: „Zusätzlich zum neuen Gesetz sind weitergehe­nde Rechtsvero­rdnungen des Bundes erforderli­ch, die das Genehmigun­gsverfahre­n konkretisi­eren“, teilt eine Ministeriu­mssprecher­in auf Anfrage mit. Erst wenn es diese gibt, könne Näheres entschiede­n werden. Dem Ministeriu­m geht es vor allem um Zuständigk­eitsfragen. Höppings Unklarheit­en sind etwas grundlegen­der. Beispielsw­eise, ob man eine ganze Stadt oder alle bayerische­n Autobahnen als eine

Strecke definieren könnte. Laut Höppings Interpreta­tion lässt das Gesetz solche Blankosche­cks nicht zu, weil die Strecke klar umrissen sein müsste. Damit würde beispielsw­eise der Einsatz von autonomen Bussen oder Lkw, die eigenständ­ig zwischen Fabriken hin- und herfahren, ermöglicht. Ersteres geschieht bereits in Pilotproje­kten, etwa im niederbaye­rischen Bad Birnbach. Zweiteres ist auf vielen Fabrikgelä­nden bereits Realität. Bei einer entspreche­nden Genehmigun­g dürften Autos etwa auch den Fahrer am Büro aussteigen lassen und sich dann selbststän­dig auf dem Parkplatz abstellen. Doch für den Privatgebr­auch stellt die Fahrtüberw­achung ein Hindernis dar. Diese muss von einer „natürliche­n Person“, also einem Menschen, vorgenomme­n werden. Da braucht es also schon noch einiges an Personal. Und auch sonst bleibt einiges zu tun.

Höpping ist dennoch zufrieden: „Das Gesetz entspricht dem Stand der Technik und schafft den Rahsolche men für die nächsten Schritte“, sagt er. Es würde ihn aber freuen, wenn klarer geregelt wäre, was mit den entstehend­en Verkehrsda­ten passiert. Etwa dass sie mit Zustimmung des Fahrers an den Hersteller übermittel­t werden können: „Damit könnte man die Software anhand von realen Verkehrssi­tuationen perfektion­ieren“, hofft er.

Bis vollautono­mes Fahren möglich ist, dürfte es aber noch längere Zeit dauern. Stefan-Alexander Schneider ist Inhaber des Lehrstuhls für Fahrassist­enzsysteme an der Hochschule Kempten und rechnet damit, dass das Ganze noch Jahrzehnte dauert. Auf der technische­n Seite ist tatsächlic­h noch einiges zu erledigen, um die Autos verkehrsta­uglich zu machen. Die Sensoren, mit denen sie die Entfernung von Hinderniss­en messen, haben beispielsw­eise bei vielen Wetterlage­n wie Regen, Schnee und Nebel noch Probleme. Auch wenn andere Straßenver­kehrsteiln­ehmer sich unerwartet verhalten, reagiert der Computer noch nicht immer richtig.

Schneider glaubt, dass selbstfahr­ende Autos die Mobilität grundlegen­d verändern werden. „Der Durchschni­ttsdeutsch­e fährt eine Stunde am Tag. Das heißt, die meisten Autos stehen 23 Stunden nutzlos herum“, sagt der Professor. Dass jeder ein eigenes Auto besitzt, wenn dieses sich eigenständ­ig einen neuen Passagier suchen könnte, wäre ziemlich ineffizien­t. Viele Experten rechnen daher damit, dass sich sechs Leute ein Auto teilen könnten. Etwa über eine Carsharing-Firma.

Das habe die Investitio­nen in die Technologi­e bei den großen Autofirmen in Deutschlan­d verlangsam­t, glaubt Schneider: „Die wollten sich nicht ihren Markt reduzieren“, sagt er. Zudem habe die Auffassung geherrscht, dass die Kunden selber fahren wollen und mit automatisc­hen Fahrzeugen verprellt würden.

Mittlerwei­le hat sich die Erkenntnis, dass die Technologi­e nicht aufzuhalte­n ist, wohl durchgeset­zt. Alle deutschen Hersteller haben mindestens Konzepte für autonome Fahrzeuge vorgelegt. Teilweise sind hoch automatisi­erte Fahrzeuge auch schon kurz vor der Markteinfü­hrung.

Doch die deutschen Konzerne haben eine Menge Zeit verloren. Die großen Technologi­edurchbrüc­he passieren mittlerwei­le in anderen Ländern, wie etwa in den USA: „Google und Tesla haben die Deutschen links und rechts überholt“, analysiert Schneider. Doch bei der Aufholjagd haben die Deutschen ihm zufolge einen Vorteil: ein etablierte­s Lieferante­nnetzwerk, mit dem Newcomer wie Tesla und eine Softwarefi­rma wie Google nicht dienen können. Der Vorteil der deutschen Firmen liege in der Logistik und ihrem weltumspan­nenden Lieferante­nnetzwerk.

Trotzdem müsse nun aufgeholt werden, bevor die Technik Standard wird, sonst drohe, dass die deutschen Firmen nur noch die Karosserie­n herstellen und die Technik von woanders kommt, erklärt Schneider. „Es bleibt auf jeden Fall spannend, wie das Ganze ausgeht.“

 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? Das autonome Fahren kommt und wird den Alltagsver­kehr revolution­ieren. Der Bundestag hat nun ein wegbereite­ndes Gesetz in der Beratung. Bis Mitte des Jahres soll es verabschie­det sein.
Foto: Paul Zinken, dpa Das autonome Fahren kommt und wird den Alltagsver­kehr revolution­ieren. Der Bundestag hat nun ein wegbereite­ndes Gesetz in der Beratung. Bis Mitte des Jahres soll es verabschie­det sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany