Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wer ist dieser Mann?
Seit Markus Söder vom politischen Rabauken zum Diplomaten wurde, steigen seine Beliebtheitswerte. Doch in diesen Tagen fragen sich selbst Parteifreunde, wie viel vom früheren Söder noch in ihm steckt
München Es liegt in der Natur des Menschen, dass er beginnt, Dinge aus tiefstem Inneren zu glauben, wenn er sich nur oft genug selbst vergewissert. Markus Söder zum Beispiel ist der festen Überzeugung, dass er als Kanzlerkandidat für die Union bei der Bundestagswahl mehr Prozente rausholen würde als Armin Laschet. Und je öfter er das sagt, umso glaubhafter findet er sich selbst. In der Tat liegt der Franke in sämtlichen Umfragen ja meilenweit vor dem Rheinländer. Umfragen seien nicht alles, betont Söder immer wieder mit ernster Miene – und meint in Wahrheit: Schaut euch doch mal die Umfragen an! Sie sagen, dass die Mehrheit der Deutschen Söder will. Die Frage ist nur, welchen? Den alten, der mit seinem brachialen, testosteronhaltigen Politikstil selbst die eigenen Leute bisweilen irritiert hat? Oder den neuen, der sich als Ministerpräsident und Krisenmanager scheinbar zum souveränen, fast nachdenklichen Staatsmann entwickelt hat?
Jetzt ist wieder offenkundig geworden, dass der eine Söder ohne den anderen nicht zu haben ist. In den vergangenen Tagen hat das mühsam zurechtgezimmerte Image eines Mannes, der gelassener geworden ist und dem es in erster Linie um das Land und dann erst um sich selbst geht, einige Schrammen bekommen. Die entscheidende Frage wird also lauten: Macht sich der CSU-Chef gerade mit dem ständigen Verweis auf seine Beliebtheit womöglich bei manchen Wählern schon wieder unbeliebt?
Als Söder am Montagabend im Studio des Bayerischen Rundfunks sitzt, erreicht der Prozess der Selbstvergewisserung einen vorläufigen Höhepunkt. Dass ihm die CDU-Spitze wenige Stunden vorher eindeutig zu verstehen gegeben hatte, dass sie sein Angebot, Kanzlerkandidat der Union zu werden, wohlwollend geprüft, aber abschlägig beschieden hat, kann sein Selbstbewusstsein nicht erschüttern. Und mancher fühlt sich an den legendären Fernsehauftritt von Gerhard Schröder nach seiner Wahlniederlage gegen Angela Merkel 2005 erinnert. Berauscht von sich selbst, sich der gerade abgewählte Kanzler damals vor laufenden Kameras selbst ins Aus geschossen. Erlebt nun Söder seinen Schröder-Moment? An diesem Montagabend wäre jedenfalls wohl kaum noch jemand überrascht, wenn der bayerische Ministerpräsident gleich in bester Basta-Attitüde sagen würde: „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass meine Partei einem Angebot von Armin Laschet zustimmen würde, in dem er sagt, dass er Kanzlerkandidat der Union werden will?“
Überschätzt Söder seine Verhandlungsposition oder versucht er nur, aus der Sache wieder herauszukommen, ohne wie ein Verlierer dazustehen? Der 54-Jährige geht davon aus, dass nicht nur die CSU, sondern auch die „breite Mehrheit“der großen Schwesterpartei hinter steht. Die Sache hat nur zwei Haken: Erstens kann er das bislang nicht beweisen. Und zweitens steht die CDU-Spitze zumindest offiziell eben in breiter Mehrheit hinter Armin Laschet, so wie auch das CSU-Präsidium zumindest offiziell hinter Markus Söder steht.
Das führt zu kuriosen Redeweisen. Söder hat einen offenen Machtkampf losgetreten, aber er darf es nicht zugeben. Also gibt er den Diplomaten und sagt: „Das alles ist ein kluger, umsichtiger Abwägungsprozess.“Söder weiß, dass sein gerade erst zum CDU-Vorsitzenden gekürter Kollege Laschet sofort wieder einpacken kann, wenn er auf die Kanzlerkandidatur verzichtet. Also kaschiert er seine Attacke auf den CDU-Chef mit Sätzen wie: „Wir schätzen uns und wir unterhatte stützen uns.“Söder glaubt schon lange nicht mehr daran, dass unter der Führung der in vielen Landesverbänden schwächelnden CDU bei der Bundestagswahl noch ein Blumentopf zu gewinnen ist. Aber auch das darf er nicht sagen. Also reagiert er auf Fragen nach dem Zustand und den Fähigkeiten der großen Schwesterpartei mit Gegenfragen wie: „Haben wir die Kraft dazu, ein Programm zu entwickeln?“
Zur Wahrheit gehört aber eben auch: Trotz aller Selbstsicherheit ist Söders Kalkül nicht aufgegangen. Bislang zumindest. Erst wollte er gemeinsam mit Laschet den Präsidien von CDU und CSU einen Vorschlag unterbreiten, wer als Kanzlerkandidat antreten soll. Laschet aber hat ihm trotz des Rückstands in den Umfragen nicht den Vortritt geihm lassen. Dann hoffte Söder auf ein Einsehen der CDU-Führung. Er erklärte seine „Bereitschaft“zur Kandidatur – verbunden mit der Zusage, „ohne Groll“zu verzichten, falls man ihn nicht wolle. Auch wenn er inzwischen betont, es sei nun wirklich keine Überraschung gewesen, dass das CDU-Präsidium sich dann geschlossen hinter Laschet stellte, hatte er eben genau auf das Gegenteil spekuliert. Er wusste, dass es in den vergangenen Tagen hinter verschlossenen Türen dort sehr wohl gebrodelt hat. Aber als die Türen wieder aufgingen, wollte eben keiner aus der CDU-Führung Laschet in den Rücken fallen. An diesem Punkt stieß Söder prompt an die Grenzen seiner diplomatischen Fähigkeiten – und mutierte wieder zum alten Haudrauf. Im Fernsehstudio kann er sich gerade noch zu einer halbherzigen Respektsbekundung für das Votum des CDU-Präsidiums aufraffen, packt aber im Nachsatz umgehend den Holzhammer aus und betonte, es sei klug, „dass man nicht nur in einem kleinen Hinterzimmer entscheidet“.
Das CDU-Präsidium, ein Hinterzimmer? Erfahrenen CSU-Leuten, die nicht mehr auf die Gunst des Parteichefs angewiesen sind, läuft es bei solchen Sätzen eiskalt den Rücken herunter. Dass Söder sich als Kanzlerkandidat angeboten hatte, war bei ihnen noch auf große Zustimmung gestoßen. Dass er sich nicht an seine Zusage hält und den Machtkampf nun auf die Spitze treibt, missbilligen viele Altvordere. Sie erkennen in Söder wieder den „ich-fixierten Machtmenschen“von früher und befürchten, seine „wilde Entschlossenheit“könnte für die gesamte Union in einem „selbstzerstörerischen Prozess“enden. Den Moment, sich ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen, habe Söder am Montag verpasst. Nun bliebe ihm nur noch eine Art Putsch, den die CDU-Basis gegen die eigene Parteispitze führen müsste.
Ist der Franke einfach immer der Alte geblieben und hat seinen Machthunger zuletzt nur besser kaschiert? Hat er sich verzockt? Selbst Kenner der bayerischen Landespolitik müssen in diesen ungewöhnlichen Tagen einräumen, dass sie alles für möglich halten – und immer auch das Gegenteil.