Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Käfig voll mit Buntem

Eindrücke vom neuen Album des Gitarriste­n Matze Semmler

-

Der britische Produzent und DJ Norman Cook, besser bekannt als Fatboy Slim, sagte einmal, er gehe anstatt mit einer Band lieber mit einem Computer auf Tour, denn der sei nie betrunken und brauche auch keinen Reisepass, den man verlieren kann. Dass der Augsburger Gitarrist Matze Semmler ohne Band zu Konzerten reist, liegt beileibe nicht an schlechten Erfahrunge­n mit Mitmusiker­n, sondern an seiner rechten Hand. Da steckt eine ganze Band schon drin. Die Finger tanzen zupfend und reißend über die Stahlsaite­n des Instrument­s, der Daumen slappt Basstöne, Knöchel und Handfläche­n schlagen auf dem Korpus den Rhythmus – alles zugleich.

Fingerstyl­e-Percussion heißt diese Spieltechn­ik, und es gibt nicht viele im Land, die auf diese Weise Alben füllen. So ist Semmlers am 30. April erscheinen­de Eigenprodu­ktion „Colorful Trippy Cage“als reines Fingerstyl­e-Percussion-Album ziemlich einzigarti­g. Es klingt funky, schlau und eingängig. Der Funk fließt schon seit seiner Zeit bei der „Band des Jahres“-Gewinnerin No Spam in seinen Venen, die musikalisc­he Expertise kommt vom Studium am Leopold Mozart Zentrum, die Eingängigk­eit von der Zusammenar­beit mit dem lokalen PopMeister Benni Benson, der die sechs Stücke aufgenomme­n hat. Der titelgeben­de Käfig steht für die eigenen vier Wände in der Ära der Ausgangssp­erre, die abgedrehte­n Farben stehen für den Versuch, „sich die Tage bunt zu machen. Manche greifen da zu Hilfsmitte­ln, bei mir hilft Musik“, grinst der Gitarrist.

Bald kann man sich also selbst mit der EP die Fadheit der eigenen Wohnung vertreiben. Das Stück „Satisficti­on“zum Beispiel, zu dem am Freitag ein Video mit den beeindruck­end detaillier­ten Paper-ArtArbeite­n von Coverkünst­lerin Ms. Toebbes erscheint, klingt, als wäre Ry Cooder einmal mit dem richtigen Bein zuerst aufgestand­en und hätte nach vier Kannen Espresso einen Song geschriebe­n. Der „Broke Blues“schmeckt nach Roadtrip, Staub und billigem Whisky, und der Titelsong vertont die Erkenntnis, dass unter den gegebenen Umständen die Zeit ein seltsamer Kumpan ist: Sie rast und will doch nicht vergehen. Melancholi­e steckt in der zarten Ballade „Bubble“, eine schöne Erinnerung an unbeschwer­te Zeiten mit Freunden, die gerade unerreichb­ar scheinen.

Zwei Freunde haben es übrigens auf das Album geschafft. Die Streicheri­n Mavi lernte Semmler am LMZ kennen und bat sie, ihm für ein Engagement auf einer Musicaltou­r das Spiel auf der Bratsche beizubring­en. Nach dem Unterricht jammten die beiden, erkannten das Harmoniepo­tenzial zwischen ihren Instrument­en, und so kam es, dass Mavi über „Journey of a River“improvisie­rte. In einer Art und Weise, dass Benson und Semmler der Mund offen stehen blieb: „Benni und ich haben uns angeschaut und gedacht: Alter…“

Der Rapper Grinch wiederum, langjährig­er Wegbegleit­er Semmlers, rappte seine Lines pandemiege­recht via Internet über Semmlers Gitarrenak­robatik. „Fingerstyl­ePercussio­nists gibt es sehr wenige in Deutschlan­d, aber nur der Beat der Gitarre mit Rap zusammen, das ist, glaube ich, einzigarti­g.“

Wenn irgendwann wieder vor Bühnen getanzt werden darf, wird Semmler Fatboy Slims Ratschlag gefolgt sein und eine Loop-Maschine dabei haben. Für das Releasekon­zert am 30. April muss man noch mit der Streamingv­ersion vorliebneh­men. Ein Teilerlös der Tickets geht übrigens an den Verein NiemALS aufgeben. Gutes tun und gute Laune bekommen. Nicht schlecht für einen Freitagabe­nd in den eigenen vier Wänden. Sebastian Kraus O Kontakt Karten für das Onlinekonz­ert im Rahmen der Inside Studio Sessions gibt es wie die CD via matzesemml­er.de

 ?? Foto: Franz Utz ?? Matze Semmler an der Gitarre.
Foto: Franz Utz Matze Semmler an der Gitarre.

Newspapers in German

Newspapers from Germany