Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was Kinder mit dem Pferd Rashani lernen
Schon seit ein paar Jahren gibt es das Projekt „Pferd und Natur“im Landkreis Augsburg. Welche Vorteile die Arbeit mit dem Schimmel Radshani nicht nur in der Pandemie hat
Gersthofen Für einige Schüler der Gersthofer Franziskusschule ist der Unterricht nicht wie in jeder anderen Schule: Denn zum Klassenzimmer wird immer wieder ein Stall, einer ihrer Lehrer ist der Schimmel Radhani. Die Buben und Mädchen, welche das Gersthofer sonderpädagogische Förderzentrum besuchen, dürfen sich unter Anleitung von Martina Katthän um das Pferd kümmern. Dabei lernen sie einiges, unter anderem Verantwortung zu unternehmen. Aber auch beim Ausritt im Freien, denn da sollen sie die Natur aufmerksamer wahrnehmen. Das ist ein Ziel beim pädagogischen Konzept „Pferd und Natur“. Und die Kinder sind mit Eifer dabei.
Zwar scheint auf den ersten Blick das Tier im Mittelpunkt zu stehen. Astrid Achter, Konrektorin der
Nach dem ersten Kontakt geht es an die Arbeit
Gersthofer Franziskusschule, welche an dem Projekt beteiligt ist, erklärt: „Es ist eigentlich eine Stärkung der Gesamtpersönlichkeit.“
Sobald sie das Pferd Radshani sehen, sind die drei Erstklässler vom sonderpädagogischen Förderzentrum in Gersthofen ganz aufgeregt. Eine Siebenjährige stürmt voraus und ruft den anderen beiden, einem Bub und einem Mädchen, und der Begleiterin zu: „Kommt schon!“Martina Katthän, die für die Franziskusschule und die Realschule Neusäß die „heilpädagogische Förderung mit dem Pferd“anbietet, erwartet die Kinder an der Koppel. „Wisst Ihr noch, wie Ihr euch Radshani nähert“, fragt sie. „Langsam“, erinnert sich die Grundschülerin.
Am Pferdestall hängen Regeln: „Ich bin leise, ich bin fair zu anderen und ich höre auf die Anweisungen des Lehrers.“Obwohl es erst ihr zweiter Besuch bei Radshani ist, haben die Kinder einige Regeln schon verinnerlicht. Nur auf den Abstand zum Pferd, wenn die Kinder hinter ihm vorbeilaufen, müssen Martina Katthän und Praktikantin Larissa Borchert hin und wieder hinweisen.
Das Projekt „Pferd und Natur“mit Radshani läuft immer nach dem gleichen Muster ab. Zuerst dürfen die Kinder das Pferd begrüßen und es ein wenig streicheln. Gleich zu Anfang merkt man, dass das Pferd in ihnen Neugierde weckt. Sie fahren durch das Fell, wundern sich, ob ihm nicht kalt wird und schauen fasziniert den Bewegungen seiner Kaumuskeln zu. Nach dem ersten Kontakt geht es an die Arbeit. Alle drei bekommen eine Bürste und Radshani wird auf beiden Seiten geputzt, so hoch die Kinder eben kommen.
Erst danach sattelt Martina Katthän Radshani und bricht mit den Kindern zum Spaziergang durch ein nahe gelegenes Waldstück bei Lützelburg auf. Sogar die Reihenfolge, in der die Kinder Radshani, geführt von der Pädagogin, reiten dürfen, ist klar festgelegt.
Der geregelte Ablauf der eineinhalb Stunden mit Radshani ist Teil
Konzepts. Gerade während der Pandemie fehle es vielen Schülern an Struktur, erklärt Martina Katthän. Die Hobbys fallen weg, in der Familie läuft es häufig nicht wie gewohnt und Freunde kann man kaum noch treffen. Vielen Kinder fehle die Nähe. Die Arbeit mit dem Pferd kann helfen: „Schon allein durch die Berührung werden Glückshormone ausgeschüttet.“Die Kinder nehmen das Angebot an. Eines der Mädchen, das erst etwas reserviert war, drückt sein Gesicht schon bald in das Fell des Schimmels.
Im pädagogischen Konzept steht: „Durch den gezielten Einsatz und Umgang mit dem Pferd sollen positive Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten des Kindes erreicht werden.“Die Arbeit mit Martina Katthän und Radshani könnte zum Beispiel zur „Stärkung der sozialemotionalen Kompetenzen“beitragen.
Die Kinder lernen, ihren Platz in einer Gruppe zu finden, und fühlen sich gemeinsam für das Pferd verantwortlich. Außerdem „nehmen sie Gefühle an sich und anderen wahr, lernen dabei, diese zu erkennen und können diese benennen“. Wenn Radshani stehen bleibt, zuckt oder schnaubt, versuchen die Kinder sein Verhalten zu deuten. Wer auf dem Pferd sitzt, gibt respektvolle Kommandos: „Radshani bitte Schritt“oder „Radshani bitte Stopp“. Die anderen führen das Pferd zusammen mit Martina Katthän am Zügel oder verhalten sich ruhig, damit der Schimmel nicht erschrickt.
Wichtig ist für die Projektleiterin und die Schule auch die Förderung der Motorik – das Sitzen auf dem Pferd erfordere Körperspannung, erklärt Katthän – und der Wahrnehmung. Die Kinder sehen viele Details im Wald: Sie fragen zum Beides spiel, was das „klebrige Zeug“an einem Baumstamm ist oder halten nach Rehen Ausschau. Außerdem lauscht Martina Katthän zusammen mit den Kindern auf die Geräusche des Waldes: Vogelgezwitscher, das Knacken von Ästen, der Wind in den Bäumen.
Am Ende der Einheit wollen sich vor allem die Mädchen kaum von Radshani trennen, obwohl der Schulbus, der sie zurück nach Gersthofen fährt, schon auf sie wartet. Nachdem die Kinder eingestiegen sind, erklärt Martina Katthän, dass sie sich noch mehr Förderung von tiergestützten Maßnahmen wünschen würde. „Das sind längerfristige Maßnahmen, die sich viele Eltern einfach nicht selbst leisten können“, erklärt sie.
Außerdem gebe es zu wenige Einrichtungen und Ställe, die ein Projekt wie das an der Franziskusschule ermöglichen würden.