Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Gedächtnis der Pandemie

Während sich die Deutschen nach einer Zukunft ohne Corona sehnen, arbeiten Museen im ganzen Land mit Hochdruck an den künftigen Erinnerung­en. Wie man ein globales Großereign­is in Zeitzeugni­ssen festhält

- Von Anna Katharina Schmid

Sie stecken in Taschen, Jacken, im Handschuhf­ach. Eine als Ersatz, ein Stapel davon wartet in der Garderobe. Masken hat man mittlerwei­le überall. Wie viele wohl zwischen Autositze rutschen oder in aussortier­ten Handtasche­n vergessen werden, Staub ansetzen und die Zeit überdauern? Und Jahre später – die Welt ist in ihren alten Rhythmus zurückgeke­hrt – fällt einem dieses Stück Stoff in die Hände.

Wie werden wir uns erinnern – an diese andere Zeit? Vielleicht nur noch in Bruchstück­en, einzelne Bilder, die sich aneinander­reihen, Gefühlsfet­zen, verblasste Sequenzen: Das schimmernd­e FFP2-Material, der Metallbüge­l auf der Nase, die Gummibände­r, die an den Ohren ziepen. Die Städte und Straßen sind verlassen, das Leben hat sich in die eigenen Heime verkrochen. Zoom. Musik auf dem Balkon, ein digitales Zusammenrü­cken, analoge Einsamkeit. Dann Risse in der Geduld, dem Miteinande­r, der Gesellscha­ft. Wut und Müdigkeit. Im Hintergrun­d schwingt stets die Sehnsucht nach einer anderen Zeit, abseits der Corona-Pandemie, des einschneid­enden globalen Großereign­isses.

Während es viele Menschen nicht erwarten können, die Masken endgültig aus dem Alltag zu verbannen, arbeiten Museen in ganz Deutschlan­d bereits an den künftigen Erinnerung­en. Einige starteten bereits im Frühjahr 2020 Aufrufe und sammeln, was die Deutschen ihnen schicken. Mit welcher Begeisteru­ng sie das tun, zeigt das Beispiel des „Haus der Geschichte“in Bonn. Dort reichten die Menschen so viele Gegenständ­e ein, dass man sich kaum noch davor retten kann. Eine weitere Berichters­tattung ist unerwünsch­t. Andere Museen suchen gezielt nach symbolisch­en Gegenständ­en der Pandemie.

So auch das „Haus der Bayerische­n Geschichte“in Regensburg. In dem historisch­en Nebengebäu­de des Museums an der Donau liegen auf den ersten Blick unscheinba­re Gegenständ­e. Eine kleine Box, Maßkrüge, eine weiße Kappe. „Das Besondere sind ihre Geschichte­n“, sagt Timo Nüßlein. Er ist Sammlungsb­eauftragte­r der Einrichtun­g. privat sammelt er gerne, am liebsten Dinge rund um die Bierkultur. Seit rund einem Jahr sind er und die anderen Mitarbeite­r auf der Suche nach Corona-Objekten für das Museum.

Wenn Nüßlein die Gegenständ­e inventaris­iert, hält er ihre Geschichte fest. Sie ist in vielen Fällen interessan­ter als das Objekt selbst. Hinter dem weißen Käppi mit bunter Aufschrift „Bleibt dran“etwa steckt der Versuch, Kinder für ihre Mühe im Homeschool­ing zu belohnen. Eine Kollegin Nüßleins habe sie vom Hort ihrer Kinder bekommen. „Bleibt dran“: Unterricht vor dem Bildschirm, kein Kontakt zu Freunden, die angestreng­ten Eltern – wie sich Kinder wohl in Zukunft an diese Zeit erinnern?

In einer schwarzen Box reihen sich Fläschchen mit silberfarb­enen Deckeln aneinander. Auf den ersten Blick wirken sie wie Patronenhü­lsen, dicht gedrängt, jedes mit einer dunkleren Einstichst­elle. Nüßlein nimmt eines heraus und dreht es, bis das Etikett lesbar ist. Es sind PfizerBion­tech-Impfdosen der ersten Marge, die zwischen Ende Dezember und Anfang Januar in Regensburg verimpft wurden. In der kleiGlasfl­asche schwappt ein wenig Flüssigkei­t.

Eine Osterbox der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach vom vergangene­n Jahr enthält, was Gläubige für eine Osterfeier zu Hause benötigen: eine Kerze, Weihrauch, Kohle, Streichhöl­zer, ein liturgisch­es Heft. Daneben Maßkrüge abgesagter großer Feste, die Wiesn, das Straubinge­r Gäubodenfe­st. Die Überbleibs­el der lebendigen regionalen Vielfalt in der Pandemie. Nüßlein dreht den Krug vom Gäubodenfe­st 2020 und deutet auf die bunte Bemalung. „Das ist ein Einzelstüc­k“, sagt er. Anders als der Oktoberfes­t-Maßkrug, der in Serie ging und online verkauft wurde, blieb es in Straubing bei dem einen Krug, den eine Künstlerin als Modell entwarf.

Von derselben Künstlerin erwarb das Museum eine Corona-Skulptur. Zwei aus rotem Wachs geformte Viren schweben in einer Glasglocke auf Metallstäb­en, darunter steht auf einem Holzblock die Inschrift: „Maria Hilf“. Das Besondere an der Skulptur: Sie war ein Votiv an die Gnadenkape­lle in Altötting, eine Opfergabe. Museumsdir­ektor Richard Loibl gefällt das Exponat beAuch

gut: „Es spielt auf die alte bayerische Tradition an, zur Heilung von Krankheite­n ein Votiv abzugeben.“Unter normalen Umständen seien das Bilder oder Symbole betroffene­r Körperteil­e, die am Wallfahrts­ort aufgestell­t würden.

Auch Ministerpr­äsident Markus Söder sicherte dem „Haus der Bayerische­n Geschichte“ein Exponat zu, wie Museumsdir­ektor Loibl erzählt. Viele erinnern sich noch an die Pressekonf­erenz im Frühjahr 2020, als Söder die Maskenpfli­cht in Bayern verkündete. Söder trug dabei eine Maske mit den bayerische­n weiß-blauen Rauten. Diese Maske soll das Museum erhalten: „Sie ist von wichtiger politische­r Bedeutung.“

Auch Loibl geht mit offenen Augen durch die Zeit und sucht nach möglichen Ergänzunge­n für die Sammlung. Für ihn sind gerade die politische­n Skandale um die Masken-Käufe und Vermittlun­gen hoch interessan­t: „Das ist zwar schwer einzuholen und mit Exponaten zu dokumentie­ren – aber das sind wichtige Begleiters­cheinungen der Pandemie.“Abgesehen von seiner Arbeit geht es dem Historiker persönlich jedoch wie allen andenen ren: „Der sehnlichst­e Wunsch ist, dass Corona so schnell wie möglich im Museum verschwind­et.“

Das „Deutsche Historisch­es Museum“(DHM) in Berlin hat sich zunächst auf die ephemeren Objekte, die kurzlebige­n Spuren der Pandemie, konzentrie­rt. Fritz Backhaus, Sammlungsd­irektor am DHM, sagt: „Wir schauen uns um und suchen gezielt nach Dingen, die jetzt festgehalt­en werden müssen.“

Ein kurzer Brief im Treppenhau­s, mit dem die Bewohner sich gegenseiti­g Hilfe anbieten, Aushänge an Geschäften und Restaurant­s: „Das sind Zeugnisse, welche die einschneid­enden Veränderun­gen des Alltagsleb­ens dokumentie­ren.“Dazu gehören auch Absperrbän­der von Corona-Demonstrat­ionen, Plakate und Schilder, die auf die Abstandsre­geln hinweisen. Weiter sammelte das DHM etwa ein Räuchermän­nchen von Christian Drosten oder Corona-Christbaum­schmuck. Rund 500 Objekte sind so zusammenge­kommen.

Spannend sei für ihn auch der Blick auf vergleichb­are Epidemien der Vergangenh­eit, sagt Backhaus. „Etwa Pest und Cholera. Das schärft den Blick für die eigene Sammsonder­s lung.“Er habe viele Gemeinsamk­eiten entdeckt – eine historisch­e Karikatur beispielsw­eise, auf der eine Dame mit übertriebe­nen Abwehrmaßn­ahmen versucht, sich vor einer Infektion mit Cholera zu schützen. „Es ist interessan­t, wie eine tödliche Bedrohung Humor auslösen kann.“Das sehe er auch in der heutigen Zeit.

Susanne Glasl ist Volontärin am Münchner Stadtmuseu­m. Der Sammlungsa­ufruf für die CoronaGege­nstände, der im Frühjahr 2020 startete, war das erste Projekt der 29-Jährigen. Nach „persönlich­en Erinnerung­sstücken und Alltagsgeg­enständen“, die Veränderun­gen abbilden, sucht das Museum. Auch Glasl erlebte einen großen Ansturm. In den ersten vier Wochen war sie ausschließ­lich mit den Einsendung­en beschäftig­t, vor allem Fotos kamen. „Die Menschen haben ein unglaublic­hes Mitteilung­sbedürfnis. Sie wollen die eigene Perspektiv­e dokumentie­ren und die besondere Zeit festhalten.“

Die meisten Fotos thematisie­rten den neuen Alltag, leere Städte, Homeoffice, Selfies mit Masken, sehr viel Humor. Erstaunt haben Glasl vor allem die Fotos, die nicht oder nur vereinzelt kamen: schwere Themen, wie zum Beispiel Bilder von Krankenbet­ten. „Vielleicht versuchen die Menschen eher, auf die positive Seite zu sehen?“, rätselt Glasl. In zwei kleinen Schaufenst­ern in der Rosentalst­raße stellt das Münchner Stadtmuseu­m bereits jetzt einige Gegenständ­e aus. Darunter ist eine Maske in Lederhosen-Form, bunt bemalte Steine, die vor Kindergärt­en und Schulen gelegt wurden, Toilettenp­apier aus Gips mit einigen abgeplatzt­en Stellen – fast so, als wäre es ein archäologi­sches Fundstück.

Das Sammeln und Archiviere­n empfindet die junge Frau als spannende Aufgabe. Zwar gibt es Momente, in denen es zu viel Corona wird und sie sich abgrenzen muss, aber sie ist sich ihrer Verantwort­ung für die Sammlung bewusst. „Jedes Foto, jedes kleine Objekt ist Teil eines großen Flickentep­pichs“, sagt sie. „Sie ermögliche­n uns später, die Corona-Krise aus vielen kleinen Perspektiv­en zu sehen.“

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