Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Aufseherin mit der Peitsche
Wer sind die Menschen, die von der Nazi-Diktatur im Dritten Reich profitiert haben? Um sie geht es im jetzt erschienenen Buch „Täter, Helfer und Trittbrettfahrer“
Landkreis Augsburg Als junge Frau arbeitete Josefa Keller in verschiedenen Konzentrationslagern. Auch in Burgau und Türkheim bewachte sie jüdische Häftlinge.
Student Andreas Rau zeichnete für seinen Beitrag im Buch „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“den Lebensweg der Frau nach, die eine Peitsche bei sich gehabt haben soll. Damals gab es eine weitere Burgauer Aufseherin mit einer Peitsche: Sie hatte offenbar Drähte aus der Flugzeugproduktion des Waldwerks Kuno als Waffe verwendet.
Versteckt im Wald wurde in den letzten Kriegsmonaten Messerschmitts Düsenjäger Me 262 montiert. Die Arbeit mussten unter einfachsten Bedingungen im Scheppacher Forst vor allem jüdische KZHäftlinge erledigen. Sie waren im KZ Burgau, einer Außenstelle von Dachau, untergebracht.
Im Wald fertigten sie die Düsenjäger, die dann über die Autobahn abheben sollten. Heute erinnert ein Gedenkweg an die vermeintliche Wunderwaffe der Nazis und an das geheime Waldwerk. An den ehemaligen Fundamenten der Rüstungsanlage unweit der Autobahn wird gezeigt, was damals im Wald passierte. Auch Häftlinge wurden dort geschlagen. Beispielsweise, wenn es in der Produktion einen Fehler gegeben hatte. Auch Josefa Keller soll zugeschlagen haben. Beim Entnazifizierungsverfahren 1948 vor der Hauptkammer Augsburg gab die Überlebende Hela Bonhart an, dass Keller ihr einen Zahn ausgeschlagen habe.
Eine andere Frau behauptete, sie sei von Keller mit dem Kochlöffel auf den Kopf geschlagen worden. Die gebürtige Augsburgerin habe außerdem zugeschlagen, wenn jemand nicht Schritt halten konnte. Einmal soll sie Häftlingen Brot aus der Hand gerissen und sie anschließend geprügelt haben. Das Essen war über den Zaun ins Lager geworfen worden. Vom KZ Burgau gibt es eine ähnliche Begebenheit: An Ostern warfen Bauern den weiblichen Häftlingen Äpfel über den Zaun zu. Das Wachpersonal schoss daraufhin mit dem Maschinengewehr auf die Bauern.
Vor der Hauptkammer berichteten mehrere Zeugen, dass Josefa
Keller Häftlingen die Haare mit einem Messer abgeschnitten hätte. Zwei Frauen wollten sich daran erinnern, dass die Aufseherin auch Kranke an den Haaren zum Appell zog. Mehrere Frauen sagten aus, dass Keller die Schlimmste beziehungsweise die Gefürchtetste unter den Aufseherinnen war. Nur eine Überlebende meinte, dass es noch Schlimmere gegeben habe.
Josefa Keller bestritt alle Vorwürfe. Sie sei niemals gewalttätig gegen Häftlinge gewesen. Sie räumte allerdings ein, dass sie Gefangenen, die sie beim Stehlen von Lebensmitteln erwischt hatte, eine Ohrfeige gab. Nach den Recherchen von Andreas Rau legte Josefa Keller in der zweiten Sitzung unter anderem einen ominösen Brief eines Mannes vor. Ihm hätten Häftlinge angeblich erklärt, dass Keller ihnen Gutes getan hätte. Josefa Keller beteuerte, dass sie „dienstverpflichtet“worden sei und gar keine Wahl gehabt hätte. Als 22-Jährige wurde sie in Ravensbrück zur Aufseherin ausgebildet. Dann kehrte sie nach Augsburg zurück und bewachte Häftlinge der Michel-Werke. Auf dem Werksgelände an der Ulmer Straße gab es ein eigenes Außenlager. 4000 Menschen fertigten unter anderem elektrische Bordgeräte.
Im Urteil hieß es, dass Keller ihre Machtstellung benutzt habe, um Häftlinge zu misshandeln. Die Spruchkammer verurteilte sie schließlich zu zweieinhalb Jahren Arbeitslager. Kellers Rechtsbeistand legte Berufung ein – das Verfahren wurde schließlich eingestellt. In der Begründung hieß es, dass Josefa Keller ein Kind einfacher Eltern war und eine jugendliche, unreife Haltung gehabt hätte. Eine politische Motivation sei ihr nicht nachzuweisen gewesen. Die juristische Auseinandersetzung war damit aber noch nicht zu Ende. Die Vorwürfe landeten schließlich beim Landgericht München – und wurden 1951 wieder eingestellt. Die Zeugen waren längst ausgewandert und nicht mehr auffindbar.
Im neuen Buch „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“, mit dem Herausgeber Wolfgang Proske die Täterforschung voranbringen und die NS-Vergangenheit aufarbeiten will, sind noch weitere Lebensläufe aus Nordschwaben zu finden. Zum Beispiel geht es um einen Landwirt und späteren KZ-Leiter aus HorgauAuerbach. Thema ist auch der frühere Leiter von NS-Schulungsstätten, der nach dem Krieg lange als Betonfabrikant in Großaitingen arbeitete.