Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Extremismus in Bayern
Spezialeinheit der bayerischen Justiz berichtet über einen deutlichen Anstieg der Ermittlungsverfahren
Die bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus hat in vier Jahren 1036 Verfahren eingeleitet. In 60 Prozent der Fälle ging es um einen islamistischen Hintergrund.
München Die Bedrohungslage in Bayern hat sich geändert. Als vor vier Jahren die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) gegründet wurde, hatten es die Staatsanwälte dieser Spezialeinheit vor allem mit islamistisch motivierten Tätern der Terrorgruppe „Islamischer Staat“zu tun. Seit sie auch Hass und Hetze im Internet verfolgen, liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit im Bereich des Rechtsextremismus, wie Justizminister Georg Eisenreich (CSU), Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle und der Chef der ZET, Leitender Oberstaatsanwalt Georg Freutsmiedl, am Montag in München berichteten.
Insgesamt 1036 Verfahren hat die ZET seit dem Jahr 2017 eingeleitet. In rund 60 Prozent der Fälle gingen die Ermittler von islamistischen
Tatmotiven aus. Rund 30 Prozent der Fälle waren den Angaben zufolge rechtsextremistisch motiviert. Allerdings zeigt die jüngste Entwicklung, dass es nicht nur eine starke Zunahme der Fallzahlen, sondern auch eine deutliche Verschiebung gibt. Die Bedrohung durch den „Islamischen Staat“etwa sei deutlich zurückgegangen, die kriminellen Aktivitäten von Rechtsextremen hätten zugenommen.
Von den 408 Ermittlungsverfahren, die allein im vergangenen Jahr neu hinzukamen, gehen laut Eisenreich 186 auf das Konto von Rechtsextremisten, 63 Straftaten waren islamistisch, 18 linksextremistisch und elf antisemitisch motiviert. Der große Rest, bei dem es sich ebenfalls überwiegend um Hass und Hetze im Internet handelt, kann nach Angaben von Freutsmiedl keiner Extremismus-Kategorie eindeutig zugeordnet werden. Gleichwohl stellte der Justizminister fest: „80 Prozent der Hass-Posts kommen aus dem rechtsextremen Bereich.“
Ein Gesamtbild der Bedrohungslage gibt die Statistik der ZET allerdings nur bedingt. Die ZET ist nicht nur eine Spezialeinheit der Justiz in Bayern. Sie ist auch als eine Schnittstelle
zwischen über- und nachgeordneten Behörden organisiert, die zugleich die Kompetenzen in der Terror- und Extremismusbekämpfung in Bayern bündelt. Die besonders schweren Fälle staatsgefährdender Gewalttaten werden vom Generalbundesanwalt verfolgt, die große Masse kleinerer Delikte übernehmen die Staatsanwaltschaften vor Ort.
Zu den größeren Ermittlungserfolgen der ZET gehören die Aufdeckung von Anschlägen auf ICE-Züge im Jahr 2018, was schließlich in Wien dazu führte, dass dort ein Islamist zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes verurteilt wurde. Auch die Festnahme eines Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Anschlägen auf türkische Geschäftsleute im oberbayerischen Waldkraiburg geht auf Ermittlungen der ZET zurück. Der Mann, der mit Rohrbomben und Sprengstoff gefasst wurde, steht derzeit unter anderem wegen versuchten Mordes vor Gericht. Und auch das bundesweite Verbot der neonazistischen Organisation „Combat 18“– frei übersetzt: „Kampfgruppe Adolf Hitler“– wurde durch Ermittlungen der ZET möglich.