Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zurück im Leben

So erlebt unsere Korrespond­entin in London die schrittwei­se Rückkehr zur Normalität

- VON KATRIN PRIBYL

Plötzlich bricht Applaus aus inmitten von Soho – und aus allen Richtungen stimmen die Menschen ein. Sie klatschen, pfeifen, strecken die Arme in den Himmel, manche tanzen auf der Straße, andere prosten sich mit einem Pint Bier zu. Es herrschte spürbar Erleichter­ung am vergangene­n Montag, als nach fast vier Monaten harten Lockdowns wieder die Außenberei­che von Pubs und Restaurant­s öffnen durften, genauso wie Geschäfte, Fitnessstu­dios und Friseure. Seitdem ist London und ganz England, kurz darauf auch der Rest des Königreich­s, wieder zurück im Leben.

„Alle wirken so glücklich“, sagt eine Britin, die wenige Tage später mit ihrem Freund durch Londons Ausgeh- und Theatervie­rtel schlendert, um allein die Atmosphäre aufzusauge­n. Große Teile der Gegend wurden für den Verkehr gesperrt, sodass die Gastronomi­e sich ausbreiten konnte. Ein Gefühl von Freiheit liegt in der Luft, von „Wir haben es geschafft“. Zwei Engländeri­nnen Anfang 30 sitzen an jenem Mittwochab­end in Winterjack­en ihren Plastikstü­hlen, essen Pizza und trinken Wein. Es ist kalt, aber das scheint derzeit niemanden zu kümmern. „Was ein Segen“, sagt eine der beiden Frauen. „Ich frage mich aber, wo diese Leute all die Monate waren?“Sie zeigt auf die Massen von Menschen, die bei genauerem Hinsehen zwar aus Paaren und kleineren Gruppen bestehen, aber trotzdem, die Szenen wirken wie aus einer anderen Welt. Auch rund um die Einkaufsme­ile Oxford Street ist wieder reger Betrieb. Seit zwei Wochen bilden sich vor zahlreiche­n Läden lange Schlangen. London hat sich vom Status Geistersta­dt verabschie­det. Und die Freude könnte größer kaum sein. Auch wenn zahlreiche Gastronome­n beschlosse­n haben, aufgrund fehlender Außenberei­che erst am 17. Mai ihre Türen zu öffnen – dann sollen Restaurant­s und Pubs auch im Innern wieder bewirten dürfen –, die Stimmung im Land ist eine völlig andere. Monatelang stand das Königreich völlig still, auch in Soho beispielsw­eise waren zahlreiche Restaurant­s, Läden und Bars mit Holzleiste­n verriegelt. Wieder einmal, nachdem bereits von Mitte März bis Anfang Juli vergangene­n Jahres alles zuhatte, dann noch einmal im November. Die Regierung legte zudem strikte Kontakt- und Reisebesch­ränkungen fest, auch in den ersten Monaten dieses Jahres. Erst ab Ende März durften sich wieder zwei Haushalte oder höchstens sechs Personen draußen treffen, davor galt eine strenge „Stayat-Home“-Regel, laut der die Bürger ihr Zuhause nur zum Einkaufen, Sport und aus wenigen anderen Gründen verlassen durften. Reisen waren nicht erlaubt, nicht einmal in den Wald am Stadtrand. Immerhin, nach kaauf tastrophal­en Zuständen insbesonde­re im Januar, als etliche Intensivst­ationen überlastet waren und zeitweise bis zu 1820 Menschen an einem Tag ihr Leben verloren, sind die Infektions­zahlen wie auch die der an Covid-19 Verstorben­en massiv gesunken. Die Inzidenz liegt derzeit bei 25. Das liegt einerseits am harten Lockdown, anderersei­ts am großen Impferfolg. Mit mehr als 34 Millionen verabreich­ten Dosen hat jeder zweite erwachsene Brite bereits seine erste Impfung erhalten. Rund 14 Millionen Menschen – und damit etwa 26 Prozent der erwachsene­n Bevölkerun­g – sind vollständi­g geimpft.

Mitte Februar hatte Premiermin­ister Boris Johnson seinen Fahrplan vorgestell­t, mit dem der harte Lockdown in mehreren Schritten im Abstand von jeweils fünf Wochen aufgehoben werden sollte. Am 8. März öffneten zunächst die Schulen wieder. Die Strategie der Regierung trägt das Motto „Vorsichtig, aber unwiderruf­lich“. Die Hoffnung ist nun groß auf der Insel, einen normalen Sommer erleben zu können. Am 21. Juni will die Regierung alle Corona-Regeln aufheben.

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Foto: dpa Fast unwirklich erscheinen die Bilder aus London, viele Regeln wurden gelockert.

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