Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zurück im Leben
So erlebt unsere Korrespondentin in London die schrittweise Rückkehr zur Normalität
Plötzlich bricht Applaus aus inmitten von Soho – und aus allen Richtungen stimmen die Menschen ein. Sie klatschen, pfeifen, strecken die Arme in den Himmel, manche tanzen auf der Straße, andere prosten sich mit einem Pint Bier zu. Es herrschte spürbar Erleichterung am vergangenen Montag, als nach fast vier Monaten harten Lockdowns wieder die Außenbereiche von Pubs und Restaurants öffnen durften, genauso wie Geschäfte, Fitnessstudios und Friseure. Seitdem ist London und ganz England, kurz darauf auch der Rest des Königreichs, wieder zurück im Leben.
„Alle wirken so glücklich“, sagt eine Britin, die wenige Tage später mit ihrem Freund durch Londons Ausgeh- und Theaterviertel schlendert, um allein die Atmosphäre aufzusaugen. Große Teile der Gegend wurden für den Verkehr gesperrt, sodass die Gastronomie sich ausbreiten konnte. Ein Gefühl von Freiheit liegt in der Luft, von „Wir haben es geschafft“. Zwei Engländerinnen Anfang 30 sitzen an jenem Mittwochabend in Winterjacken ihren Plastikstühlen, essen Pizza und trinken Wein. Es ist kalt, aber das scheint derzeit niemanden zu kümmern. „Was ein Segen“, sagt eine der beiden Frauen. „Ich frage mich aber, wo diese Leute all die Monate waren?“Sie zeigt auf die Massen von Menschen, die bei genauerem Hinsehen zwar aus Paaren und kleineren Gruppen bestehen, aber trotzdem, die Szenen wirken wie aus einer anderen Welt. Auch rund um die Einkaufsmeile Oxford Street ist wieder reger Betrieb. Seit zwei Wochen bilden sich vor zahlreichen Läden lange Schlangen. London hat sich vom Status Geisterstadt verabschiedet. Und die Freude könnte größer kaum sein. Auch wenn zahlreiche Gastronomen beschlossen haben, aufgrund fehlender Außenbereiche erst am 17. Mai ihre Türen zu öffnen – dann sollen Restaurants und Pubs auch im Innern wieder bewirten dürfen –, die Stimmung im Land ist eine völlig andere. Monatelang stand das Königreich völlig still, auch in Soho beispielsweise waren zahlreiche Restaurants, Läden und Bars mit Holzleisten verriegelt. Wieder einmal, nachdem bereits von Mitte März bis Anfang Juli vergangenen Jahres alles zuhatte, dann noch einmal im November. Die Regierung legte zudem strikte Kontakt- und Reisebeschränkungen fest, auch in den ersten Monaten dieses Jahres. Erst ab Ende März durften sich wieder zwei Haushalte oder höchstens sechs Personen draußen treffen, davor galt eine strenge „Stayat-Home“-Regel, laut der die Bürger ihr Zuhause nur zum Einkaufen, Sport und aus wenigen anderen Gründen verlassen durften. Reisen waren nicht erlaubt, nicht einmal in den Wald am Stadtrand. Immerhin, nach kaauf tastrophalen Zuständen insbesondere im Januar, als etliche Intensivstationen überlastet waren und zeitweise bis zu 1820 Menschen an einem Tag ihr Leben verloren, sind die Infektionszahlen wie auch die der an Covid-19 Verstorbenen massiv gesunken. Die Inzidenz liegt derzeit bei 25. Das liegt einerseits am harten Lockdown, andererseits am großen Impferfolg. Mit mehr als 34 Millionen verabreichten Dosen hat jeder zweite erwachsene Brite bereits seine erste Impfung erhalten. Rund 14 Millionen Menschen – und damit etwa 26 Prozent der erwachsenen Bevölkerung – sind vollständig geimpft.
Mitte Februar hatte Premierminister Boris Johnson seinen Fahrplan vorgestellt, mit dem der harte Lockdown in mehreren Schritten im Abstand von jeweils fünf Wochen aufgehoben werden sollte. Am 8. März öffneten zunächst die Schulen wieder. Die Strategie der Regierung trägt das Motto „Vorsichtig, aber unwiderruflich“. Die Hoffnung ist nun groß auf der Insel, einen normalen Sommer erleben zu können. Am 21. Juni will die Regierung alle Corona-Regeln aufheben.