Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer soll das bezahlen?

Die Corona-Krise hat die Regierung zur Schuldenau­fnahme in Rekordhöhe getrieben. Bundesfina­nzminister Scholz gibt sich gelassen. Er gerät im Wahlkampf aber von zwei Seiten unter Druck: von der Union und von den Grünen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Es ist in der Pandemie gerade viel vom Licht am Ende des Tunnels die Rede. Was den Stand der Corona-Impfungen angeht, könnte das sogar stimmen. Düster sieht es hingegen bei den Finanzen aus. Der zuständige Bundesmini­ster Olaf Scholz erweckt zwar den Eindruck, dass im Kampf gegen die Seuche praktisch unbegrenzt Mittel zur Verfügung stehen und die Folgen schon nicht so gravierend sein werden. Doch die Frage ist, ob der

SPD-Kanzlerkan­didat auch solch optimistis­che Töne anstimmen würde, wenn kein Bundestags­wahlkampf wäre.

Schon die aktuelle Haushaltsl­age spricht eine andere Sprache. Im Nachtragsh­aushalt 2021 wurde die Nettokredi­taufnahme des Bundes um 60,4 Milliarden Euro auf die Rekordvers­chuldung von 240,2 Milliarden Euro erhöht. Die Ausgaben steigen von rund 499 Milliarden auf 548 Milliarden Euro. Es gibt zudem viele Unbekannte in der Rechnung. So hat sich die wirtschaft­liche Lage von Geringverd­ienern und Selbststän­digen laut Zahlen des Ifo-Instituts vom Donnerstag spürbar verschlech­tert. Der Europäisch­e Ausschuss für Systemrisi­ken warnt vor einer Pleitewell­e und rief die europäisch­en Staaten dazu auf, sich vorzuberei­ten. Mit anderen Worten: Weitere Milliarden­hilfen könnten vonnöten sein.

Eine der wichtigste­n Fragen ist, ob die Steuereinn­ahmen nach der Krise tatsächlic­h wie erhofft wieder steigen. Für Unions-Fraktionsv­ize Andreas Jung ist das kein Selbstläuf­er. In schweren Krisen könnten gemäß den Regelungen der Schuldenbr­emse hohe Schulden aufgenomme­n werden. „In guten Zeiten müssen wir aber grundsätzl­ich mit dem Geld auskommen, das wir haben. Das ist ein einfacher Grundsatz und nicht anders wie bei jedem Privathaus­halt“, sagte der für Haushalt, Finanzen und Steuern zuständige CDU-Politiker unserer Redaktion. Zudem müssten bis zum Jahr 2042 die über die Notklausel aufgenomme­nen Schulden zurückgeza­hlt werden. „Wir schaffen das alles dann, wenn die Wirtschaft wieder brummt und das Steueraufk­ommen dadurch steigt“, erklärte Jung. Dafür sei aber nachhaltig­es Wachstum erforderli­ch.

Scholz will die Neuverschu­ldung in den kommenden Jahren stark reduzieren und gleichzeit­ig mehr investiere­n. Die Grünen-Haushaltse­xpertin Ekin Deligöz ist da skeptisch. „Der aktuelle, sehr kurzfristi­g bemessene Tilgungspl­an des Finanzmini­steriums von nur 20 Jahren wird Mittel binden, die wir in den kommenden Jahren für größer angelegte Investitio­nsprogramm­e brauchen“, sagte sie und bekräftigt­e die Forderung ihrer Partei nach einer Reform der Schuldenbr­emse und des europäisch­en Stabilität­spaktes,

um kreditfina­nzierte Investitio­nen zu ermögliche­n. „Ich befürchte sonst, dass in den kommenden Jahren an den falschen Stellen gespart wird und der Rotstift im sozialen Bereich angesetzt wird.“

Scholz hingegen will sich zur Schuldenbr­emse nicht festlegen. Der Frage, ob sie sich bewährt habe und bleiben solle, wich der Kanzlerkan­didat im Gespräch mit der Hannoversc­hen Allgemeine­n gerade aus. Der Minister verwies als Antwort lediglich darauf, dass die Investitio­nspolitik ausgeweite­t werden müsse. Eine einheitlic­he Besteuerun­g auf Unternehme­nsgewinne werde dabei helfen. Diese Steuer auf Einnahmen von Konzernen wie Google ist aber bislang nur eine Idee.

Scholz wird noch nachschärf­en müssen. Eine Fortsetzun­g der Politik mit dem Füllhorn wäre nach Einschätzu­ng von Unions-Fraktionsv­ize Jung jedenfalls grundfalsc­h. Priorisier­ung sei gefragt, um immer wieder erneut steigende Ausgaben zu verhindern, sagte er. „Dazu brauchen wir nach der Krise einen Kassenstur­z, die konsequent­e Überprüfun­g von Subvention­en und eine Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e. So können wir Investitio­nshochlauf und soziale Aufgaben mit solidem Haushalten zusammenbr­ingen.“

Deligöz warnte, mögliche Einsparung­en im sozialen Bereich würden „die sozialen Ungleichhe­iten in unserer Gesellscha­ft“manifestie­ren. Die Befürchtun­gen der Grünen-Politikeri­n sind da vom Unionslage­r offenbar nicht so weit entfernt. Andreas Jung formuliert­e es ähnlich. „Die Herausford­erung ist, eine ökologisch­e und soziale Marktwirts­chaft auch in der Finanzpoli­tik abzubilden – ein Bekenntnis zum gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt, gegossen in den Bundeshaus­halt“, sagte er.

Moskau Mit knöchernem Gesicht und kahl geschorene­m Kopf ist der vom dreiwöchig­en Hungerstre­ik geschwächt­e Kremlgegne­r Alexej Nawalny erstmals wieder zu sehen. Bei dem Auftritt per Videoschal­te aus seinem Straflager in ein Moskauer Gericht holt der 44-Jährige einmal mehr zu einem Angriff auf Präsident Wladimir Putin aus. Jedes Kind sehe, dass der Kremlchef ein „nackter Kaiser“sei, der sein Land ausplünder­e, die Menschen ihrer Zukunftspe­rspektiven beraube und sich an die Macht klammere, sagte er mit schwacher Stimme. Er kritisiert­e Justizwill­kür und Machtmissb­rauch. Das Berufungsg­ericht bestätigt seine Strafe. Nawalny hat seinen Hungerstre­ik beendet und nimmt nun Nahrung zu sich. Zuletzt hatte die russische Justiz die Führungskr­äfte der Opposition­sbewegung lahmgelegt.

Die Grünen fürchten Einsparung­en im Sozialen

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Foto: Bodo Schackow, dpa Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) kann in diesem Jahr die Rekordkred­itsumme von 240,2 Milliarden Euro aufnehmen.
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Foto: dpa Kaum wiederzuer­kennen: Alexej Nawal‰ ny im Straflager.

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