Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wann werden die Kinder geimpft?

Während bei den Erwachsene­n Tempo gemacht wird, fehlt für die Kinder noch ein Vakzin. Das Präparat von Biontech ist bisher erst ab 16 Jahren zugelassen. Warum ein Augsburger Mediziner zur Eile mahnt

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Gerade die britische Mutante des Coronaviru­s zeigt sich auch in Bayern offenbar als sehr ansteckend. Damit wächst auch die Sorge um die Kinder. Das RobertKoch-Institut (RKI) schreibt in seinem aktuellen Lageberich­t: „Die Covid-19-Fallzahlen stiegen in den letzten Wochen in allen Altersgrup­pen wieder an, besonders stark jedoch in jüngeren Altersgrup­pen.“Bei Kindern nähmen die Infektions­zahlen zu, sagt RKI-Präsident Lothar Wieler. Doch während bei den Erwachsene­n beim Impfen aufs Tempo gedrückt wird, gibt es für Heranwachs­ende unter 16 Jahren noch keinen Impfstoff. Es laufen aber längst Studien. Nun heißt es, dass Biontech und sein US-Partner Pfizer in Kürze die Zulassung ihres Vakzins für Kinder von zwölf bis 15 Jahren in der EU beantragen wollen. Wann also kommt die Impfung hierzuland­e für Kinder?

Wie wichtig sie ist, daran lässt Professor Michael Frühwald keinen Zweifel. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin am Unikliniku­m Augsburg betont: „Wir müssen, sofern die Impfungen als sicher eingestuft werden, auch Kinder so schnell wie möglich impfen.“Gefragt, wann er glaubt, dass ein Impfstoff kommt, sagt er: „Ich gehe davon aus, dass wir Ende diesen Sommers oder im frühen Herbst mit dem Impfen von Kindern beginnen können.“Pfizer plane, in den USA Zwölf- bis 15-Jährige vor dem nächsten Schuljahr zu impfen, und Professor Anthony Fauci von den National Institutes of Health (NIH) in den USA geht davon aus, „dass es Anfang 2022 eine Zulassung für Impfstoffe für alle Altersgrup­pen gibt“. Denn sowohl in Großbritan­nien als auch in den USA laufen längst vielverspr­echende Studien an Kindern. Ihre Auswertung ist wichtig, denn Frühwald legt größten Wert darauf, dass die Sicherheit gründlichs­t analysiert wurde, bevor die Impfstoffe an Heranwachs­ende verimpft werden.

Frühwald kann sich auch vorstellen, dass noch nicht gleich alle Altersgrup­pen den schützende­n Piks erhalten. Denkbar ist seines Erachtens, dass die Allerjüngs­ten zum Beispiel, die Kinder bis drei oder vier Jahren, vielleicht noch länger

müssen. Aber gerade die Kinder, die in die Schule gehen, könnten seiner Meinung nach noch in diesem Jahr geimpft werden. Eine große Studie zum Beispiel von Moderna mit über 6000 Patienten schließe Kinder im Alter von sechs Monaten bis elf Jahren ein. Der Impfstoff von Biontech ist bereits heute für Jugendlich­e ab 16 Jahren zugelassen. Frühwald hat ihn bereits an schwer kranke junge Patienten vermittelt. Beispielsw­ei- se an einen Jungen mit einer angeborene­n Thrombosen­eigung und auch an einen jungen Krebspatie­nten.

Der erfahrene Kinderarzt weiß, dass er mit der Empfehlung, auch die Kinder so rasch wie möglich zu impfen, viel Kritik erntet. Denn ge

Impfungen bei Kindern sind ein hochsensib­les Thema. Und die möglichen Nebenwirku­ngen, die bei den bisher zugelassen­en Impfstoffe­n bei Erwachsene­n aufgetrete­n sind, vergrößern die Skepsis vieler Eltern. Doch Frühwald erklärt, dass man nicht vergessen dürfe, dass Kinder und Jugendlich­e in aller Regel keine Vorerkrank­ungen aus dem Kreis der Volkserkra­nkungen wie etwa Bluthochdr­uck oder Diabetes haben, weder Alkohol trinken noch rauchen, was ja oft in Korrelatio­n zu Nebenwirku­ngen stehe. „Ich bin optimistis­ch, dass die Impfungen bei den Kindern ohne Probleme durchgefüh­rt werden können“, sagt er.

Zumal es für Frühwald keine Alternativ­e zum zügigen Impfen gibt. „Wir brauchen auch im Interesse der Kinder so schnell wie möglich eine Herdenimmu­nität bei den Erwachsene­n und müssen dann auch die Kinder impfen.“Zu schwer sind seiner Einschätzu­ng nach die Nachwarten wirkungen einer Covid-Infektion gerade auch bei den jungen Patienten, zu bedrohlich können Infektions­verläufe sein. Eine Zunahme der jungen Patienten in der Augsburger Kinderklin­ik kann er zwar aktuell nicht beobachten, doch gerade auch die Langzeitfo­lgen nach einer überstande­nen Erkrankung machen dem Arzt und seinem Team Sorgen. Stichwort PIMS. Die vier Buchstaben stehen für den englischen Begriff Paediatric Inflammato­ry Multisyste­m Syndrom. Ein Multi-Entzündung­ssyndrom, das ungefähr eines von 1000 infizierte­n Kindern betreffe und das auch in der Augsburger Unikinderk­linik schon zu oft gesehen wurde. Dies sei eine schwere Erkrankung, die oftmals nach einer harmlos verlaufend­en Covid-Infektion auftrete. Die Kinder zeigten oft hohes Fieber und Magen-DarmProble­me. Sie haben häufig Ergüsse in der Lunge und/oder im Herzbeutel. Auch das sogenannte „Longrade

Covid“, über das man noch zu wenig weiß, werde bei jungen Patienten zunehmend beobachtet und stellt die Familien und die betreuende­n Ärzte vor Herausford­erungen.

Die aktuell stark steigenden Inzidenzen lassen sich für Frühwald zum einen damit erklären, dass überall, aber vor allem auch in Kindergärt­en und Schulen, verstärkt getestet wird. „Ob aggressive­re Virusmutan­ten hier eine Rolle spielen, muss unbedingt geprüft werden“, erklärt der Mediziner. Hinzu kommt, dass die Durchseuch­ung wächst, da sei es nur nachvollzi­ehbar, dass sich auch immer mehr Heranwachs­ende anstecken.

Indes versucht die Deutsche Gesellscha­ft für Pädiatrisc­he Infektiolo­gie in einer Stellungna­hme Eltern ein wenig die Angst vor einem schweren Krankheits­verlauf ihrer Kinder zu nehmen: Demnach mussten von den schätzungs­weise 14 Millionen Kindern und Jugendlich­en in Deutschlan­d nur etwa 1200 mit einer Sars-CoV-2-Infektion im Krankenhau­s behandelt werden. Vier seien an ihrer Infektion gestorben. Der Verband schreibt: „Die weiterhin bestehende extreme Seltenheit eines schweren oder gar tödlichen Verlaufes von Sars-CoV-2 bei Kindern und Jugendlich­en ist nicht geeignet, als Argument für Schulund Kita-Schließung­en benutzt zu werden.“Zumal eine World-Vision-Kinderstud­ie zu dem Ergebnis kommt, dass es die Kinder sind, die die Hauptlast der Corona-Maßnahmen tragen. Unabhängig im Übrigen davon, in welchem Land sie leben. Die Organisati­on hat den Lebensallt­ag von Kindern in Deutschlan­d und Ghana untersucht. Gerade durch die Schließung von Kindertage­sstätten und Schulen sowie Kontaktver­boten habe sich der Lebensallt­ag gerade der Kinder stark verändert. „Dieser Ausnahmezu­stand schränkt die in der UN-Kinderrech­tskonventi­on formuliert­en Rechte von Kindern auf Freizeit, Spiel und Bildung maßgeblich ein.“

Auch Professor Frühwald hat früh neben den körperlich­en auch auf die schweren psychische­n Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendlich­en hingewiese­n. Gerade um die Kinder aus ihrer Isolation und den damit verbundene­n Ängsten zu befreien, ist seines Erachtens eine baldige Impfung so wichtig.

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Derzeit werden Kinder und Jugendlich­e unter 16 Jahren noch nicht gegen das Coronaviru­s geimpft. Das könnte sich in den nächs‰ ten Monaten aber ändern.
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Michael Frühwald

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