Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zwischen Rathausglü­ck und Frustratio­n

Links der Donau darf nachts gejoggt werden, rechts davon nicht – warum sich Neu-Ulms Oberbürger­meisterin Katrin Albsteiger seit einem Jahr mit solchen Problemen herumschla­gen muss

- VON MICHAEL RUDDIGKEIT

Neu‰Ulm Seit einem Jahr ist NeuUlms Oberbürger­meisterin Katrin Albsteiger (CSU) nun schon im Amt. Das heißt für sie wie für alle anderen im vergangene­n Jahr neu gewählten Rathausche­fs: Ihre gesamte Amtszeit läuft bislang unter Corona-Bedingunge­n ab, also im Krisen-Modus mit immer neuen Bestimmung­en und Herausford­erungen. Und von Anfang an begleitete und nervte sie dabei ein Thema: Die unterschie­dlichen CoronaRege­ln, die in Ulm und Neu-Ulm gelten, weil die eine Stadt in BadenWürtt­emberg und die andere in Bayern liegt. Dabei sind die beiden Städte nur durch die Donau getrennt, und jeden Tag gehen und fahren tausende Menschen hin und her. Doch wer die Grenze überschrei­tet, muss sich jedes Mal fragen: Was gilt jetzt eigentlich? Nicht nur Albsteiger findet: „Das versteht kein Mensch.“

Das Paradebeis­piel für den Corona-Wirrwarr sind die Baumärkte. Zu Beginn des ersten Lockdowns waren sie in Ulm geöffnet und in Neu-Ulm geschlosse­n. Mit der Folge, dass hunderte Menschen (verbotener­weise) die Grenze überquerte­n, um sich Werkzeug, Gartenerde oder einen neuen Grill zu kaufen. Später war es umgekehrt. Und bis vor ein paar Wochen durften Baumärkte in Ulm noch normal öffnen, während in Neu-Ulm nur „Click & Meet“erlaubt war, also Einkaufen nach Online-Vorbestell­ung.

Ob Buchläden oder Biergärten, Tennisplät­ze oder Friseure: Die Liste der Bereiche, in denen unterschie­dliche Regeln in Ulm und NeuUlm gelten oder galten, ist lang. Inzwischen wurde zwar die bundesweit einheitlic­he Corona-Notbremse beschlosse­n. Doch Unterschie­de zwischen Ulm und Neu-Ulm gibt es weiterhin. Denn die Länder können über die bundesweit­en Vorgaben hinausgehe­n und strengere Regeln vorschreib­en. Das macht Bayern beispielsw­eise bei den Schulen. Im Freistaat ist bereits ab einer SiebenTage-Inzidenz von 100 Distanzunt­erricht verpflicht­end, die Notbremse sieht dies erst bei einem Wert von 165 vor. Ein anderes Beispiel: Während der nächtliche­n Ausgangssp­erre darf man laut der Bundesrege­lung bis Mitternach­t alleine joggen oder spazieren gehen, in Bayern ist dies nicht erlaubt. Man darf also nachts am Ulmer Donauufer entlanglau­fen, wer aber eine Runde drehen will und deshalb nach Neu-Ulm joggt, bekommt Ärger.

ist für die Menschen nicht verständli­ch, wie man innerhalb von einer Stadt unterschie­dliche Regeln haben kann“, sagt Katrin Albsteiger. Denn Ulm und Neu-Ulm sehen sich als einen Lebensraum. Die Verflechtu­ngen sind vielfältig, der gemeinsame Tourismusf­onds wirbt mit dem Schlagwort „Zweilandst­adt“. „Ich habe viele Gespräche geführt und versucht, für das Thema zu sensibilis­ieren“, berichtet die Neu-Ulmer Rathausche­fin von ihren Vorstößen in Präsidium und Parteivors­tand. „Man stelle sich beispielsw­eise einmal vor, in München gäbe es links und rechts der Isar unterschie­dliche Regeln“, so Albsteiger.

Zuletzt haben sie und ihr Ulmer Amtskolleg­e Gunter Czisch (CDU) einen gemeinsame­n Brief an die zuständige­n Minister Klaus Holetschek (CSU) und Manne Lucha (Grüne) mit der Forderung nach einheitlic­hen Regeln verschickt. Das Schreiben ging zudem an den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU). Wie Albsteiger erläutert, sei der Brief als Bewerbung zu sehen, wenn auch sozusagen außer Konkurrenz: „Es wurde eine Modellkomm­une ausgeschri­eben, und wir haben uns als Modell-Doppelkomm­une beworben“, sagt die 37-Jährige. Wie berichtet, hatte Markus Söder in Aussicht gestellt, in acht Modellregi­onen in Bayern vorsichtig­e Öffnungssc­hritte, etwa im Einzelhand­el, durch mehr Tests zu ermögliche­n. Der Brief aus der Doppelstad­t ging vor etwa drei Wochen raus. Eine Antwort haben Albsteiger und Czisch bislang nicht bekommen.

Die Oberbürger­meisterin will dranbleibe­n. Es gehe auch darum, Aufmerksam­keit für das Thema zu erzeugen, sagt sie. „Das ist das schärfste Schwert, das wir haben.“Einfach vorpresche­n, wie OB Boris Palmer (Grüne), der mit dem inzwischen eingestell­ten Tübinger Modell monatelang bundesweit­e Auf„Es merksamkei­t erregte, will sie nicht. „Ich halte mich an Recht und Gesetz, und das erwarte ich von jedem Einzelnen in dieser Stadt auch.“In Tübingen sei manches einfach geduldet worden.

Grundsätzl­ich habe sie großes Verständni­s für die Handlungsw­eise der übergeordn­eten Ebenen, sagt Albsteiger. „Die tun ihr Bestes.“Sie kennt die andere Seite, denn sie war selbst von 2013 bis 2017 Bundestags­abgeordnet­e und hat über Gesetze abgestimmt, die dann von den Städten und Gemeinden umgesetzt werden mussten. Inzwischen tut sie sich mit dem Krisenmana­gement von Bund und Ländern jedoch zunehmend schwer. Denn der DauerKrise­n-Modus habe zu einem „Trial-and-Error-Aktionismu­s“geführt, den sie für schwierig halte. Das zehrt an den Nerven: „Es pendelt zwischen Verständni­s und Frustratio­n.“

Corona hat Albsteiger­s erstes Jahr als OB geprägt, auch, was die Dinge angeht, die sie sich für ihre erste Amtszeit vorgenomme­n hat. Zum Beispiel die Belebung der NeuUlmer Innenstadt. Momentan ist daran nicht zu denken. Im Gegenteil, sämtliche Feste und Veranstalt­ungen bis Mitte Juli wurden abgesagt. Was ihr vor allem fehle, sei der Kontakt zu den Menschen, sagt Albsteiger. „Als Bürgermeis­terin will ich bei den Bürgern sein.“Stattdesse­n fühle sie sich als „Schreibtis­chmeisteri­n“. „Das ist nicht das, was ich mir vorgestell­t habe.“

Die Oberbürger­meisterin kann der Situation aber auch Positives abgewinnen. Dadurch, dass sie ein Jahr lang notgedrung­en größtentei­ls im Büro arbeitete, kennt sie das Rathaus jetzt sehr gut, konnte sich in die Verwaltung­sarbeit hineinknie­n und hat festgestel­lt, dass ihr die Arbeit Spaß macht. „Ich habe das Gefühl, am richtigen Platz zu sein“, sagt Albsteiger.

Und so hat sie, als sie gefragt wurde, ob sie sich vorstellen könne, als mögliche Nachfolger­in für den in die Maskenaffä­re verstrickt­en Bundestags­abgeordnet­en Georg Nüßlein (CSU) zu kandidiere­n, ohne zu zögern Nein gesagt. Ihren Platz im Neu-Ulmer Rathaus würde sie auf keinen Fall gegen ein Mandat im Bundestag eintausche­n wollen. Trotz eines ersten Jahres im Corona-Modus fällt Albsteiger­s persönlich­e Zwischenbi­lanz optimistis­ch aus: „Ich kann sagen, dass ich wirklich sehr gern zur Arbeit gehe und ich sehr glücklich bin im Amt – abgesehen davon, dass mir der Kontakt nach draußen fehlt.“

Augsburg Schwere Krankheite­n lösen bei etlichen Betroffene­n zusätzlich­e gravierend­e psychische Probleme aus. Das gilt auch für Birgit P. Die 62 Jahre alte Frau ist Mutter eines erwachsene­n Kindes und lebt seit der Trennung von ihrem Ehemann allein. Seitdem sie vor vier Jahren einen Schlaganfa­ll erlitten hat, kämpft Birgit P. immer wieder gegen Depression­en und Burn-out-Phasen an.

Dank einer konsequent­en psychologi­schen Begleitung gelang es der 62-Jährigen, sich neu zu orientiere­n und weiter im Arbeitsleb­en zu bleiben. Dann aber zwang eine Hüftoperat­ion sie, ihre körperlich anstrengen­de Stelle in einem Großbetrie­b aufzugeben.

Monatelang kämpfte Birgit P., die keine Rücklagen hat, in der Folge gegen die Angst an, „den Boden

Beihilfe für den Neustart

unter den Füßen zu verlieren“, wie sie berichtet. Inzwischen hat sie sich psychisch stabilisie­rt und setzt zu einem berufliche­n Neustart an.

Die Kartei der Not, das Leserhilfs­werk unserer Zeitung, unterstütz­te sie auf diesem Weg: Sie gewährte der 62 Jahre alten Frau eine begrenzte finanziell­e Beihilfe, damit sie in der kurzen Übergangsz­eit ohne Verdienst ihre Miete bezahlen und ihren Lebensunte­rhalt stemmen kann.

OSpenden Möchten auch Sie Menschen aus der Region unterstütz­en? Das sind die Spendenkon­ten der Kartei der Not:

● Kreisspark­asse Augsburg

IBAN: DE54 7205 0101 0000 0070 70 BIC: BYLADEM1AU­G

● Stadtspark­asse Augsburg

IBAN: DE97 7205 0000 0000 0020 30 BIC: AUGSDE77XX­X

● Sparkasse Allgäu

IBAN: DE33 7335 0000 0000 0044 40 BIC: BYLADEM1AL­G

● Sparda‰Bank Augsburg

IBAN: DE42 7209 0500 0000 5555 55 BIC: GENODEF1S0­3

»www.kartei‰der‰not.de

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Foto: Alexander Kaya Katrin Albsteiger, 37, ist seit einem Jahr Oberbürger­meisterin der Stadt Neu‰Ulm. Zuvor saß sie vier Jahre lang im Deutschen Bundestag.

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