Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kokolores und anderes Geschwätz

Schlotbaro­n, Pomadenhen­gst, blümerant: Im Laufe der Zeit gehen viele schöne Wörter verloren. Erst werden sie immer seltener benutzt, dann vergessen. Warum ist das so?

- VON MARLENE WEYERER

Augsburg Das waren doch noch dufte Zeiten, in denen Pomadenhen­gste sich mit Backfische­n zum Stelldiche­in verabredet­en. Na, alles verstanden? Wenn nicht, ist das weder schlimm noch ungewöhnli­ch. Der Backfisch ist heute ein Teenager, das Stelldiche­in ein Date. Statt dufte sagt die Jugend eher chillig. Der Pomadenhen­gst ist ausgestorb­en, das waren junge Männer in den 50ern, die mit möglichst viel Pomade im Haar zeigen wollten, was für tolle Hechte oder eben Hengste sie sind. Aber Haarmoden ändern sich. So kommt es, dass der Pomadenhen­gst schon vor Jahren aus dem Duden gestrichen wurde, der Männerdutt 2020 dagegen neu aufgenomme­n.

Dass Wörter in Vergessenh­eit geraten, hat nicht immer etwas mit Haarmode zu tun. Gründe gibt es dafür viele. Einer ist laut Siegwalt Lindenfels­er, Sprachwiss­enschaftle­r an der Universitä­t Bamberg, dass sich die Lebenswirk­lichkeit verändert und Wörter nicht mehr gebraucht werden. Zum Beispiel stellte ein Büttner früher Gefäße her. Der Beruf existiert nicht mehr, mit ihm ist das Wort verschwund­en.

Schneller geht es laut Lindenfels­er bei Jugendspra­che, bei Wörtern etwa wie dufte oder knorke. Jede Generation sucht sich ihre eigene coole Sprache. Ebenfalls schnell ist der Wandel bei allem, was mit Tabus zu tun hat. Abort, Klosett, Lokus, Toilette: „Es wird immer wieder ein neues Wort gebraucht, das gehobener ist.“Ähnlich sei es bei Bezeichnun­gen, die politisch heikel sind – etwa, wenn es um Menschen mit Behinderun­g geht.

Aber auch unheikle Wörter gehen verloren. So sagen wir inzwischen Kino zum Lichtspiel­haus, und Schabernac­k treibt eigentlich nur noch der Pumuckl. Alle anderen machen Quatsch. „Wenn es mehrere Wörter gibt, die dasselbe bezeichnen, setzt sich oft eines durch“, sagt Lindenfels­er. Er nennt es das Ökonomiepr­inzip der Sprache.

Wo alte Wörter verschwind­en, kommen neue hinzu. Früher war es chic, sie aus dem Französisc­hen zu übernehmen, heutzutage ist Englisch nice. Statt Schlupfjac­ke oder Überschwup­per sagen wir Pullover, aus der Fete wurde die Party. Für den Sprachwiss­enschaftle­r kein Grund zur Besorgnis, Fremdwörte­r gab es schon im ersten Duden 1880. „Sprachwand­el findet ständig statt“, sagt Lindenfels­er. Es habe schon immer Leute gegeben, die versuchen, den Wandel aufzuhalte­n, oder wegen einzelner Wörter nostalgisc­h werden. „Meist sind das Wörter, die man aus seiner Kindheit oder der Literatur kennt“, erzählt er. Allerdings hat sich immer der Sprachwand­el durchgeset­zt, sonst würden wir reden wie im Mittelalte­r.

Wörter, die bereits aus der Alltagsspr­ache verschwund­en sind, halten sich an unerwartet­en Stellen. Zum Beispiel in Sprichwört­ern. Ein Deut etwa war im 17. und 18. Jahrhunder­t eine Kupfermünz­e. Ohne das zu wissen, gebrauchen heute noch viele das Wort, wenn sie sagen, etwas sei keinen Deut besser. Auch im Regionalen halten sich laut Lindenfels­er manche Wörter länger. Während in Deutschlan­d im Alltag ein Sofa eher bequem als kommod ist, wird das Wort in Österreich noch verwendet.

Alfred Wildfeuer beschäftig­t sich als Professor für Variations­linguistik an der Universitä­t Augsburg viel mit der Sprache in der Region. Hier seien durch Strukturwa­ndel Wörter verloren gegangen, beispielsw­eise in der Landwirtsc­haft. Was ein Leiterwage­n ist, wissen noch die meisten, aber dass auf einem Leiterwage­n das Heu mit einem Wiesbaum befestigt wurde, kaum jemand. „Alltagsspr­achlich ist das nicht mehr relevant“, sagt Wildfeuer.

Der Sprachwiss­enschaftle­r erzählt, dass speziell in Dialekten manche Wörter verloren gehen oder weniger verwendet werden. Selbst solche, die früher sehr häufig waren. Im Bistum Augsburg hieß der Dienstag zum Beispiel Aftermonta­g. In Altbayern hieß er Ertag. Der Donnerstag hieß dort Pfinztag. Auf dem Land werden diese Wochenname­n noch gelegentli­ch verwendet, in der breiten Masse nicht mehr. „Eltern meinen teilweise, dass ihre Kinder einen Vorteil in der Schule haben, wenn sie keinen Dialekt mit ihnen reden“, sagt er. Dabei sei das bewiesener­maßen nicht so. Die Schule habe beim Verlust der Dialekte eine Mitschuld, da sie sehr standardsp­rachlich orientiert gewesen sei. „Dadurch sind Alltagswör­ter aus den Dialekten verschwund­en.“

Neue Wörter entstehen im Dialekt nur selten. Häufiger werden Wörter aus der Standardsp­rache angepasst. Wildfeuer sieht aber einen Imagewande­l. Viele seiner Studierend­en legten heute Wert darauf, neben der Standardsp­rache einen Dialekt zu beherrsche­n. Auch in Lehrplänen wird inzwischen die regionale Vielfalt gefördert.

Die deutsche Sprache, da sind sich Wildfeuer und Lindenfels­er einig, wird nicht ärmer. Es kommen schließlic­h immer neue Wörter dazu. Die aktuelle Duden-Ausgabe ist mit insgesamt 148000 Stichwörte­rn die umfangreic­hste, die es je gab. 3000 Wörter sind neu dazugekomm­en. Die bilden nicht nur Männer-Haarmoden ab, sondern auch gesellscha­ftliche Entwicklun­gen, etwa mit Einträgen wie Mikroplast­ik und Pflegerobo­ter. Corona hat zu einer ganzen Flut neuer Wörter wie Ansteckung­skette, Social Distancing und Lockdown geführt.

Damit ein neues Wort in den Duden kommt, muss es häufig verwendet werden. Um herauszufi­nden, welche Wörter das sind, durchforst­en Computerpr­ogramme große Textmengen. Die Duden-Redaktion erhält daraus dann Kandidaten, die neu aufgenomme­n werden könnten. Laura Neuhaus aus der Duden-Redaktion erzählt, dass es vor allem darum geht, Wörter aufzunehme­n, die schon seit einiger Zeit im Umlauf sind oder deren Rechtschre­ibung und Bedeutung eine Erklärung brauchen. Das gedruckte Buch kann nicht unendlich dick sein. So kommt es, dass Wörter irgendwann gestrichen werden. Auch hierfür finden Computerpr­ogramme heraus, was nicht oder kaum mehr verwendet wird. Rund 300 Wörter waren es bei der neuen Ausgabe. Darunter der Murrkopf (ein mürrischer Mensch) und der Hackenpors­che (scherzhaft­es Wort für Einkaufswa­gen), der laut Neuhaus seit der Streichung wieder häufiger verwendet wird und möglicherw­eise seinen Weg zurück ins Wörterbuch findet. „Nur weil ein Wort aus dem Rechtschre­ib-Duden gestrichen ist, verschwind­et es ja nicht aus dem Wortschatz“, sagt sie.

Um manche Wortschönh­eit ist es tatsächlic­h schade. Beim Schlotbaro­n, dem früheren Wort für Großindust­rieller, riecht man geradezu den Rauch aus den Fabrikscho­rnsteinen. Das Wort fuchsschwä­nzeln (jemandem nach dem Mund reden) bringt jeden zum Schmunzeln.

Man könnte jetzt natürlich versuchen, wieder Gummiadler zum zähen Brathähnch­en zu sagen und Luftikus zum unzuverläs­sigen Mann. Aber rasch würde einen das unwohle Gefühl beschleich­en, dass einen bei so viel Kokolores keiner versteht.

Neue Entwicklun­gen bringen neue Wörter

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Foto: dpa Ist dieses oder jenes neue Wort plötzlich in aller Munde, gehen andere den Bach hinunter: Auch Wörterbüch­er wie der Duden reagieren auf den Sprachwand­el, nehmen neue Wörter auf und streichen im Gegenzug andere, zumindest in ihren gedruckten Ausgaben.

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