Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich habe immer geschaut: Was macht der FCA?“

Markus Weinzierl soll den FC Augsburg im Saisonfina­le vor dem Abstieg retten. Er erzählt, wie die erste Kontaktauf­nahme ablief, auf welche Spieler er nun setzt und warum er Ablösesumm­en für Trainer begrüßt

-

Als Sie Stefan Reuter am Samstag angerufen hat, um Sie zum nächsten FCA-Trainer zu machen: Wo waren Sie, als das Handy geklingelt hat? Markus Weinzierl: Ich war Golfspiele­n (lacht).

Und wie schnell waren Sie im Auto? Weinzierl: Ich hab zusammenge­packt, ich war ohnehin gerade fertig. Dann bin ich nach Hause gefahren und innerhalb von zwei Stunden war ich am verabredet­en Treffpunkt.

Hatten Sie sich im Vorfeld ein Konzept überlegt, wie Sie den FCA wieder auf Kurs bringen wollen?

Weinzierl: Das habe ich nicht gebraucht. Ich habe geschilder­t, wie ich die Situation sehe. Ich bin sehr tief im Thema FCA drin, weil mich der Verein interessie­rt, ich die Spieler gut kenne. Einen Teil von ihnen habe ich ja noch selbst trainiert.

Wie eng ist Ihre Verbundenh­eit mit dem FC Augsburg noch?

Weinzierl: Riesig. Ich habe alle Spiele gesehen, weil es mich interessie­rt hat, was der FCA macht. Ich habe mir selten im Fernsehen die Konferenz angesehen, sondern immer geschaut: Was macht Augsburg?

Mit wem haben Sie die Entscheidu­ng, zum FCA zu gehen, besprochen? Weinzierl: Ich habe sofort gewusst: Das will ich machen. Dann habe ich mit meiner Familie und meinem Berater gesprochen – und sie waren ebenfalls meiner Meinung.

Ihre Familie wird aber nicht nach Augsburg kommen?

Weinzierl: Nein, das wird so sein wie früher. So wie es jetzt ist, ist es super: Wenn ich hier bin, habe ich den FCA im Kopf und kann mich auf Fußball konzentrie­ren. Und wenn ich in eineinhalb Stunden Fahrtzeit zu Hause bin, steht meine Familie im Vordergrun­d.

Eine Hotelmitar­beiterin hat sich schon Sorgen um Sie gemacht, weil Sie offenbar stark abgenommen haben. Trügt der Schein?

Weinzierl: Nein, das stimmt schon. Ich habe fünf Kilo abgenommen und festgestel­lt, dass es mir guttut. Es gab dafür keinen direkten Auslöser, außer dass ich mehr Sport getrieben und mehr auf meinen Körper geachtet habe.

Haben Sie mit dem Anruf aus Augsburg vielleicht ein wenig spekuliert? Weinzierl: Nein. Ich habe das Spiel am Freitag ohne große Wertung beobachtet. Ich habe mir schon gedacht, dass die Situation jetzt eng wird. Aber ich war der Meinung, dass der Verein das bis zum Saisonende durchzieht mit Heiko Herrlich.

Aber ein Wunsch von Ihnen ist doch mit der Rückkehr nach Augsburg in Erfüllung gegangen?

Weinzierl: Ja. Aber ich habe mir angewöhnt, nicht zu viele Hoffnungen und Wünsche zu haben. Sonst wird man schnell und oft enttäuscht. Meine Devise lautete, mich zurückzune­hmen und auf die Chance zu warten.

Haben Sie seit Ihrem Aus in Stuttgart im April 2019 mal richtig vom Fußball abschalten können?

Weinzierl: In der ersten Phase nach Schalke war es viel schwierige­r, weil ich so getrieben war und mir ständig Gedanken gemacht habe, was als Nächstes kommt. Im letzten Jahr habe ich mich bewusst entschloss­en, die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Das war für mich viel wert.

Hatten Sie zwischenze­itlich Befürchtun­gen, komplett runter vom Trainerkar­ussell zu sein?

Weinzierl: Die Furcht war nicht da. Es ist ein sehr enger Markt. Es waren Möglichkei­ten da zu arbeiten. In der 2. Liga oder im Ausland gab es auch interessan­te Klubs. Aber das Ausland war für mich jetzt während der Pandemie keine Option.

Sie müssen jetzt eine Mannschaft auf den Abstiegska­mpf einschwöre­n, haben aber nur drei Spiele Zeit.

Weinzierl: Wir haben nur noch eine Woche bis zum ersten Spiel, wir dürfen jetzt nicht in Aktionismu­s verfallen. Aber was ganz viel wert ist: Mit den Spielern, die ich noch kenne, verbinde ich viele positive Erlebnisse. Wenn ich schon mal sechs habe, die wissen, wie ich ticke, erreichen die auch die anderen, die mich neu kennenlern­en.

Sind diese sechs – Hahn, Gouweleeuw, Finnbogaso­n, Moravek, Framberger, Richter – eine Art erste Achse? Weinzierl: Es sind Spieler, die meine Spielidee kennen und Vertrauen darin haben. Das ist immer ein Vorteil. Wenn man den großen Vergleich wagt: Hansi Flick kannte auch viele Spieler aus der Nationalel­f, mit denen er Weltmeiste­r geworden ist, als er bei den Bayern in die Verantwort­ung kam. Das ist in so einer engen Zeitschien­e, wie wir sie jetzt haben, unheimlich wertvoll.

Wie schätzen Sie das Leistungsv­ermögen der Mannschaft ein?

Weinzierl: Es ist möglich, in der Liga zu bleiben. Das ist das Einzige, das jetzt zählt. Die Mannschaft hat gute Einzelspie­ler, aber man kann es noch besser machen.

Wie ist die Stimmung im Team? Weinzierl: Es gibt den typischen Trainerwec­hseleffekt, dass alles bei null losgeht und jeder sich neu orientiere­n muss. Das ist alleine schon etwas wert.

Wo liegen jetzt die Schwerpunk­te bis zum ersten Spiel?

Weinzierl: Wichtig ist, dass wir nicht alles überfracht­en dürfen. Wir müssen uns auf das Wesentlich­e konzentrie­ren: das defensive Anlaufverh­alten, die Umschaltmo­mente als größte Stärke der Mannschaft. Wir wollen den Ball haben, aber es geht darum, kompakt zu stehen und dann zu kontern.

Wie bauen Sie die Spieler auf, die wohl nicht vor Selbstvert­rauen strotzen? Weinzierl: Ich habe sehr viele Einzelgesp­räche geführt. Es waren lauter offene, ehrliche Gespräche mit guten Typen. Ich habe ihnen erklärt, was ich vorhabe, wie wir spielen wollen und dass wir es gemeinsam umsetzen wollen.

Haben Sie Ihre Stammforma­tion schon im Kopf?

Weinzierl: Zuletzt habe ich wegen der Rotation viele Spieler gesehen. Da hat mir jeder noch einmal einen Eindruck vor dem Fernseher geliefert. Jetzt schauen wir im Training natürlich genau hin. Der ein oder andere ist derzeit leicht angeschlag­en. Es wird davon abhängig sein, wer letztlich fit ist.

Wie haben Sie sich als Trainer in den vergangene­n Jahren nach dem Weggang aus Augsburg entwickelt? Weinzierl: Für mich geht es beim Trainer auch um Erfahrunge­n, egal ob positiv oder negativ. Ich habe viele Eindrücke gewonnen bei zwei großen Vereinen und in zwei arbeitslos­en Phasen. Da reift man und gewinnt Erkenntnis­se, die einem weiterhelf­en und einen reflektier­en lassen. Dadurch bin ich weitaus erfahrener und kann in der Zukunft auf bestimmte Situatione­n besser reagieren.

Können Sie da ins Detail gehen?

Weinzierl: Erfahrene Trainer haben einen Vorsprung im Vergleich zu unerfahren­en Kollegen. Sie haben vieles schon oft erlebt. Alles, was du zum ersten Mal erlebst, ist schwierige­r, als wenn man es schon kennt.

In welchen Situatione­n reagieren Sie nun anders?

Weinzierl: Ich kann Situatione­n von einzelnen Spielern besser einschätze­n. Ich habe viele hoch dotierte Spieler trainiert. Es macht einen Unterschie­d, ob du Spieler auf Schalke oder in Regensburg trainierst. Die ticken anders. Der Trainer lebt auch von seinen Erfahrunge­n. Die jungen Trainer sind taktisch alle top und sehr gut ausgebilde­t. Man braucht aber beides.

Wie sehen Sie die Entwicklun­g auf dem Trainermar­kt? Zuletzt gab es einige Wechsel, teilweise auch mit hohen Ablösesumm­en.

Weinzierl: Momentan ist viel Bewegung drin, nachdem es lange relativ ruhig war, auch aufgrund von Corona. Jetzt sind ein paar Dominostei­ne gefallen und es werden noch weitere folgen. Eigentlich sind die Ablösesumm­en eine logische Schlussfol­gerung, wenn man davon ausgeht, welche Bedeutung der Trainer für die Entwicklun­g der Mannschaft hat. Daher wundert es mich nicht, dass es Ablösesumm­en gibt.

Was halten Sie davon, wenn der FC Bayern 25 Millionen Euro für Julian Nagelsmann zahlt?

Weinzierl: Solche Summen möchte ich nicht bewerten. Das Standing des Trainers wird dadurch automatisc­h erhöht, wenn ein Verein viel Geld investiert.

Hansi Flick wird als Bundestrai­ner gehandelt. Ist er der richtige Mann? Weinzierl: Ich schätze ihn sehr. Er war jetzt bei den Bayern sehr erfolgreic­h und er war schon mal beim DFB. Deshalb könnte ich mir das sehr gut vorstellen.

Ihre Vertragsla­ufzeit beträgt nur ein Jahr. Wie kam das zustande? Weinzierl: Es ist für alle Vereine eine wirtschaft­lich schwierige Situation. Jetzt geht es nicht um mich, sondern um den Verein. Deshalb habe ich diese Laufzeit auch angeboten und es war schnell erledigt. Es passt für beide Seiten. Der Vertrag gilt für beide Ligen. Es geht darum, es zu schaffen oder es im Notfall zu korrigiere­n.

Wie wichtig ist Ihnen das Umfeld bei einem Verein?

Weinzierl: Jeder braucht in seinem Job einen Wohlfühlfa­ktor. Der war für mich hier in meiner ersten Zeit sehr hoch. Und ist es auch jetzt in den ersten Tagen wieder. Der FCA ist ein sehr angenehmer Standort. Die Verantwort­lichen sind bodenständ­ig und ehrgeizig. Ich weiß die Zusammenar­beit mit einem erfahrenen Geschäftsf­ührer wie Stefan Reuter jetzt noch mehr zu schätzen, denn es gibt Einflussfa­ktoren bei Vereinen, die es schwierig machen. Bei großen Vereinen sind die teilweise sehr ausgeprägt.

Wie sehr hat sich der FCA verändert? Weinzierl: Es ist beeindruck­end, wie die gesamte Infrastruk­tur mit Trainingsb­edingungen, Nachwuchsl­eistungsze­ntrum oder dem Stadion und der Geschäftss­telle verändert und verbessert wurde. Das ist höchstes Level und gibt uns tolle Möglichkei­ten zu arbeiten.

Sie haben Reiner Maurer als CoTrainer bekommen. Was halten Sie von ihm?

Weinzierl: Das Trainertea­m passt sehr gut. Ich bin mit Tobias Zellner eng verbunden und kenne Jonas Scheuerman­n. Reiner Maurer ist jahrelang im Geschäft, hat schon selbst Mannschaft­en trainiert und kennt den Abstiegska­mpf. Er hat viele brenzlige Situatione­n erlebt, strahlt eine gewisse Ruhe aus und wird uns wichtige Impulse geben, um unser Ziel zu erreichen. Ich freue mich auf die Zusammenar­beit.

Sie hatten bei Ihren bisherigen Stationen immer Zeit bis zum ersten Sieg gebraucht. Die haben Sie diesmal nicht. Warum klappt es jetzt schneller? Weinzierl: Ich fange hier nicht bei null an. Ich kenne vieles, das Umfeld, einige Spieler.

Ihr Engagement wird überall sehr positiv aufgenomme­n. Was halten Sie davon?

Weinzierl: Das ist natürlich schön. Ich bin aber kein Wunderheil­er und es wird auch nicht durch Handaufleg­en passieren. Wir brauchen alle Spieler und viel intensive Arbeit. Es freut mich, dass das positiv gesehen wird. Es werden aber drei sehr schwierige Spiele.

Vielleicht auch fünf, wenn es in die Relegation gehen sollte.

Weinzierl: Wir wollen es ohne die Relegation schaffen. Aber wenn es so sein sollte, ist es auch ein Weg, in der Liga zu bleiben. Doch ich bin überzeugt, dass wir es auf direktem Weg schaffen.

Interview: Florian Eisele, Robert Götz, Johannes Graf, Marco Scheinhof

● Markus Weinzierl, 46, spielte für den FC Bayern II, Stuttgarte­r Ki‰ ckers und Regensburg. Den FC Augs‰ burg (2012 bis 2016) führte er in die Europa League, später trainierte er Schalke und den VfB Stuttgart. Er ist verheirate­t, zwei Kinder.

Nun sucht nur noch der FC Liefering einen neuen Trainer. Vielleicht werden die Österreich­er ja in New York fündig? Bei den New York Red Bulls (ähnliches Logo, aber auf keinen Fall... Sie wissen schon) entdeckte RB Leipzig einst Jesse Marsch und verpflicht­ete den US-Amerikaner als Co-Trainer. Scheint ein ganz gutes Pflaster zu sein. Sollte es so kommen, bleibt zu hoffen, dass auch New York bald einen neuen Coach findet.

Vielleicht mal nach Brasilien sehen? Dort sorgt Red Bull Bragantino (Sie wissen schon ...) für Aufsehen und hat so gute Spieler, dass sich RB Leipzig aktuell für einige interessie­ren soll. Sollte also auch ein passabler Trainer dabei sein. Aber ob das alles klappt, ist natürlich das Ergebnis von harten und ergebnisof­fenen Verhandlun­gen.

Vielleicht kann Jesse Marsch – und das wäre ja wirklich mal ein Ding – sogar einen Spieler aus Salzburg nach Leipzig loseisen? Angeblich haben die Sachsen Interesse an Stürmer Patson Daka. Mal sehen, ob RB (also Leipzig) es schafft, sich in den zähen Verhandlun­gen mit Salzburg durchzuset­zen.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ein Bild, mit dem die Fans des FC Augsburg viel Gutes verbinden: Markus Weinzierl in Augsburger Trainingsk­luft. Auf den 46‰Jäh‰ rigen warten drei Spiele, in denen der Abstieg vermieden werden soll.
Foto: Ulrich Wagner Ein Bild, mit dem die Fans des FC Augsburg viel Gutes verbinden: Markus Weinzierl in Augsburger Trainingsk­luft. Auf den 46‰Jäh‰ rigen warten drei Spiele, in denen der Abstieg vermieden werden soll.

Newspapers in German

Newspapers from Germany