Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit Musik für mehr Menschenre­chte

Vor neun Jahren floh der Musiker Farhad Sidiqi aus Afghanista­n nach Augsburg. Seine ersten Kontakte knüpfte er zu anderen Musikern, es entstand die Idee für ein Soloalbum. Die hat er jetzt umgesetzt

- VON CHRISTINA HELLER‰BESCHNITT

Wenn der Musiker Farhad Jooyenda Sidiqi erzählt, spricht er ruhig, bedacht und ernst. Und viele Dinge, von denen er erzählt, sind auch ernst: Es geht um Krieg, Diskrimini­erung, Gleichbere­chtigung und Freiheit. Um seine Kindheit und Jugend im Krieg in Afghanista­n, um Flucht. Themen, die sein Leben prägen – und deshalb auch seine Musik. Es gibt aber eine Ausnahme. Wenn er über seine Arbeit spricht als Sänger, Komponist, Pianist und Texter, über sein neues Soloalbum, dann lächelt er. Redet viel schneller. „Das Album ist wie mein zweites Kind“, sagt der 39-jährige Vater einer kleinen Tochter.

Vor neun Jahren kam Sidiqi nach Augsburg. Er war aus Afghanista­n geflohen, weil er dort als Künstler nicht mehr leben konnte. „Das radikale Regime hat uns jede Freiheit genommen. Das ging nicht mehr als Künstler“, sagt er. Doch zunächst sah es so aus, als könnte er auch in Augsburg nicht bleiben. Sidiqi sollte abgeschobe­n werden. Das Grandhotel Cosmopolis startete eine Petition, der sich viele tausende Augsburger anschlosse­n – und so konnte Sidiqi bleiben. Heute lebt er zusammen mit seiner Frau und ihrer gemeinsame­n kleinen Tochter in der Innenstadt, engagiert sich für das Grandhotel Cosmopolis, hat eine Band. Und hat während der Corona-Pandemie sein erstes Soloalbum aufgenomme­n.

Die Idee dazu entstand schon, als er 2012 in Augsburg ankam, erzählt Sidiqi. Ein paar Lieder, die jetzt auf dem Album zu hören sind, sind auch schon auf Youtube veröffentl­icht. 2012 habe er Anschluss gesucht, einen Ort, an dem er Musik machen konnte. „Ich saß den ganzen Tag in der Unterkunft mit vier anderen Männern und hatte nichts zu tun. Aber ich bin kein Mensch, der herumsitzt und wartet.“Also machte er sich auf die Suche nach einem Ort, an dem er musizieren, andere Künstler treffen konnte und fand erst das Grandhotel Cosmopolis und dann das Kulturcafé Neruda.

Vor der Corona-Pandemie fanden im Neruda regelmäßig Jam-Sessions statt. Jeder, der Lust hatte, konnte sich beteiligen. Alle spielten gemeinsam. „Wir haben zwei Stunden oder länger zusammenge­spielt, ohne uns zu kennen, ohne uns zu unterhalte­n. Und es kam tolle Musik dabei heraus“, erinnert sich Sidiqi. Nach und nach kam er in Kontakt mit verschiede­nen Künstlern aus der Stadt, und irgendwann entstand der Gedanke: „Ich würde gerne mit all diesen Musikern zusammenar­beiten und ein Album aufnehmen“, erzählt er. Es sollte ähnlich sein wie die Jam-Sessions.

Doch daraus wurde erst einmal nichts. Zunächst, weil nicht klar war, ob Sidiqi in Augsburg bleiben kann. Dann, weil andere Projekte kamen. Er gründete eine Rockband, begann eine Ausbildung zum Musikpädag­ogen, trat auf Festivals auf.

er tat viel, um anderen Geflüchtet­en die Ankunft in Augsburg zu erleichter­n. „2015 kam es zum Beispiel immer wieder vor, dass Geflüchtet­e ohne Ticket Straßenbah­n gefahren sind“, erzählt Sidiqi. „Sie wussten einfach nicht, dass man sich ein Ticket kaufen muss und wie das geht.“Also hat er sich eine Stadtführu­ng für Geflüchtet­e ausgedacht.

Im Team boten sie die Führungen in acht Sprachen an. Erzählten bei dem Rundgang, was wichtig ist, etwa für einen Termin auf dem Sozialamt, oder wie man ein Konto eröffnet und Fahrkarten kauft.

Zudem rief Sidiqi vor sieben Jahren das Drachenfes­t ins Leben. Jedes Jahr im Herbst findet es im Siebentisc­hwald statt. Kinder, JugendUnd liche und ihre Eltern können Drachen aus Seidenpapi­er und Bambusstäb­en bauen. Dazu gibt es Essen und Musik, und am Ende der Woche lassen alle gemeinsam ihre Drachen steigen. In Afghanista­n sei das Drachenfes­t sehr beliebt, erzählt der Musiker. „Aber Drachen gibt es überall auf der Welt, und überall sehen sie ein bisschen anders aus.“Auch diese Idee hatte er, weil er Geflüchtet­e und Augsburger näher zusammenbr­ingen wollte. Inzwischen ist das Drachenfes­t zu einem kleinen Festival geworden. „Vergangene­s Jahr hat es zehn Tage gedauert, über 400 Menschen haben Drachen gebaut“, sagt Sidiqi. Auch dieses Jahr soll es wieder stattfinde­n, wenn die Corona-Vorschrift­en es zulassen.

Überhaupt hat sich durch Corona das Leben des Musikers ziemlich verändert – und so kam ihm das Soloalbum wieder in den Sinn. „Ich hatte keine Auftritte, konnte nicht mehr in dem Café arbeiten, in dem ich bediene. Und vielen anderen Musikern ging es wie mir.“In diesem Fall ein Glück für das Album. Denn der 39-Jährige nahm es zusammen mit über 20 Musikerinn­en und Musikern auf. „In normalen Zeiten hätten niemals so viele für mich Zeit gehabt.“Vor allem, weil zwar ein Großteil der Künstler in Augsburg lebt, manche aber auch in anderen Städten wie Hamburg oder Köln.

Am Ende ist das Album „Nafas“– auf Deutsch „Atem“– mit 15 Titeln entstanden. Mal klingt es weich und verspielt, mal hart und elektrisch. Mal klassisch, mal nach Rock, mal nach Hip-Hop, mal nach Filmmusik – immer orientalis­ch. Sidiqi singt alle Lieder. Die Texte sind in seiner Mutterspra­che Dari. Sie alle enthalten Kritik an politische­n Zuständen, an Korruption, an Diskrimini­erung, an fehlender Gleichbere­chtigung. „Ich könnte natürlich auch einfach Popmusik machen, die Menschen zum Tanzen bringen. Aber das möchte ich nicht. Ich bin im Krieg aufgewachs­en, bin mit meiner Familie nach Pakistan geflohen und später nach Deutschlan­d. Ich habe so viele Tote gesehen. Kritische Musik ist mein Beitrag als Künstler, dass sich vielleicht etwas ändert in unserer Welt“, sagt Sidiqi.

Um das Album zu finanziere­n, ist Sidiqi in Vorleistun­g gegangen. Eine finanziell­e Belastung. Auch, weil ihm wegen der Pandemie ein Großteil der Einnahmen weggebroch­en ist. „Die Situation ist so unsicher gerade, dass ich mich jetzt entschiede­n habe, mir eine Arbeitsste­lle außerhalb der Kunst- und Kulturszen­e zu suchen“, sagt er. Er denke zum Beispiel darüber nach, als Busfahrer zu arbeiten. „Die Musik mache ich dann nebenher.“

Aber das Album will er noch fertig machen. Um einen Teil der Ausgaben zu decken, hat er deshalb eine Crowdfundi­ng-Kampagne auf Startnext begonnen. 8000 Euro sollen so bis Mai zusammenko­mmen. Wer sich beteiligt, bekommt eine CD oder eine Schallplat­te.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Der aus Afghanista­n stammende und jetzt in Augsburg lebende Musiker Farhad Sidiqi hat ein eigenes Album herausgebr­acht.
Foto: Ulrich Wagner Der aus Afghanista­n stammende und jetzt in Augsburg lebende Musiker Farhad Sidiqi hat ein eigenes Album herausgebr­acht.

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