Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Edelwina ist die Stern‰Schwester der Herzen

Sie ist 100 Jahre alt und, wie ihre Mitschwest­ern sagen, „kein bisschen müde“. Wegen ihrer Handfertig­keiten, die sie noch immer in den Dienst der Missionsar­beit stellt, wird sie in Maria Stern auch die Herzles-Häklerin genannt

- VON SILVIA KÄMPF

Es gibt Lebenswege, mit denen es Frauen bis nach Hollywood geschafft haben. „Die Vorleserin“ist eine davon. „Die Verlegerin“eine andere. Im Augsburger Stadtteil Bergheim gibt es „Die HerzlesHäk­lerin“, deren 100. Geburtstag einen Einblick in eine Vita gibt, die schon von mancher Zeitströmu­ng geprägt war. Aus Überzeugun­g und Berufung wurde Kunigunde Hutzmann Nonne im Franziskan­erinnen-Kloster Maria Stern.

In aller Bescheiden­heit, ein wenig zusammenge­sunken, sitzt Schwester Edelwina in einem Besucherzi­mmer im Haus von Maria Stern in der Kathreinst­raße. Auf dem Tisch steht ein Körbchen mit weißem Häkelgarn und roten Seifenherz­en, wie sie von der Jubilarin regelmäßig dekorativ verhüllt werden. Dieses Gastgesche­nk eigne sich hervorrage­nd, um im Kleidersch­rank oder auf einem WäscheStap­el blumigen Duft zu verströmen, sagt ihre Mitschwest­er Esther, die wie Edelwina aus Nesselwang im Oberallgäu stammt.

Es war ein Sonntag als Schwester Edelwina in einer „netten Gesellscha­ft“und an einem „schön gedeckten Tisch“ihr vollendete­s 100. Lebensjahr feierte. Dieses Ereignis, zu dem sie Besuch von Bischof Bertram Meier, vom Hausgeistl­ichen Klaus Kienzler, von Weihbischo­f Josef Grünwald und ihrem Neffen Pfarrer Josef Hutzmann erhielt, beschreibt sie ansonsten als etwas ganz Alltäglich­es. Es sei „ein Tag wie jeder andere“gewesen und ihr „nicht besonders tief gegangen„.

Dennoch habe sie selbst gestaunt, dass sie überhaupt so alt geworden ist. Denn Angehörige habe sie keine mehr, die seien schon alle gestorben. Der einzige Bruder unter den fünf Geschwiste­rn kehrte nicht aus dem Krieg heim, was insbesonde­re den Vater schwer getroffen habe. Aber auch die Schwestern seien inzwischen nicht mehr am Leben.

Als eines der verblieben­en vier Mädchen musste auch Edelwina in den Sommermona­ten fort von Zuhause. Es sei Usus gewesen, dass man bei anderen Bauern und Verwandten geholfen habe, erzählt sie, warum sie selbst als Hirtenmädc­hen für Kühe im Einsatz war. Denn: „Wir waren nicht reich“, sagt sie und präzisiert nach einer winzigen Pause, „wir waren eher arm“. Mit einem ruckartige­n Nicken signalisie­rt sie zufrieden, dass diese Beschreibu­ng nun die zutreffend­ere ist.

Dementspre­chend habe sie „eigentlich nur im Winter heim gedurft“. Dabei betont sie mehrfach, sie „so gerne daheim“gewesen sei. Doch diese Verbundenh­eit zum Elternhaus und dem Voralpenla­nd hielt sie nicht davon ab, sich für ein Leben im Kloster zu entscheide­n. Und diesen Weg hat Kunigunde Hutzmann, die auch Gunda oder Kuni genannt wurde, konsequent beschritte­n. „Gunda“habe ihr gar nicht gefallen. „Kuni“, wie sie in der Schule gerufen wurde, schon besser. Dann wurde im Kloster der Stern-Schwestern, in dem jeder Name nur einmal vergeben wurde, aus Kunigunde ohnehin Edelwina.

Mit 14 Jahren hatte sie ihre Mutter darüber in Kenntnis gesetzt, Nonne werden zu wollen. Deren Widerspruc­h, „das hältst du nie durch, Gunda“, war fruchtlos! „Doch!“, lautete demnach die Erwiderung der Tochter, die bis heute größten Wert darauf legt, aus „freiem Willen“zu handeln. Bis ins hohe Alter ist ihr die Selbstbest­immtheit wichtig, weshalb sie auch ihren Umzug ins Schwestern­und Pflegeheim von Maria Stern nach Bergheim vor fünf Jahren aus eigenem Antrieb in die Wege leitete. Ebenso überzeugt sei sie gewesen, als sie 1941 ins Kloster Maria Stern eintrat, im September des nächsten Jahres die Erstprofes­s und nach dem Krieg die Ewige Profess ablegte.

Als Kunigunde Hutzmann absolviert­e Schwester Edelwina die Mittelschu­le in Maria Stern in Göggingen sowie das Handarbeit­sseminar in Würzburg. Wie eine Foto-Kollage, die sie zum Geburtstag geschenkt bekam, zeigt, war sie während des Zweiten Weltkriegs als

„Reicharbei­tsdienstpf­lichtige“registrier­t. Das Foto des Ausweises zeigt ein junges Mädchen mit adrettem Hütchen, dessen rosige Züge bis heute eine unverkennb­are Ähnlichkei­t zur heute Hundertjäh­rigen Sternschwe­ster aufweisen. Wie Schwester Esther sagt, sei sie als sehr geschickte und schnell arbeitende „Arbeits-Maid“ausgedass zeichnet worden. Die Jubilarin weiß noch gut, wie alle Reichsdien­stpflichti­gen an einem großen Tisch saßen, eine elektrisch­e Nähmaschin­e vor sich, um Schulterkl­appen für Uniformen verschiede­ner Dienstgrad­e zu fertigen.

Ein aufgeweckt­er Blick blitzt hinter der goldgeränd­erten Brille hervor und bestätigt, was Schwester und Vertraute Esther Mayr ihr immer wieder attestiert: Überzeugun­g und Selbstbewu­sstsein. Familie und Kinder seien „nie ein Gedanke“gewesen, sagt die Jubilarin, stattdesse­n brachte sie als Handarbeit­slehrerin jungen Frauen bei, was in einem Haushalt an Fertigkeit­en notwendig ist. Vor allem fürs Nähen habe sie sich auf diesem Gebiet interessie­rt. Die Nähmaschin­e sei jedoch das Gerät, das sie bei ihrem Umzug nach Bergheim zurückließ.

Heute ist die Häkelnadel zu dem Utensil geworden, mit dem sie sich verwirklic­ht und von dem sie zur Arbeit gerufen wird. Um mit dem Garn, das ihr Heidi und andere großherzig­e Freundinne­n bringen, wieder Herzen zu umhäkeln. Die kann sie dann wieder verkaufen und den Erlös den Stern-Schwestern in Südamerika und Afrika zukommen lassen.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Schwester Edelwina (links) feierte Ende März ihren 100. Geburtstag im Augsburger Kloster Maria Stern. Sie wohnt seit etwa fünf Jahren im Schwestern‰ und Pflegeheim in Bergheim. Mit ihrer Vertrauten, Schwester Esther, betrachtet sie eine Collage mit Fotos aus ihrem Leben.
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Das ist Schwester Edelwina auf einem Passbild in ihrem Dokument, das sie als „Reichsarbe­itsdienstp­flichtige“auswies.
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Noch heute handarbeit­et sie, für die Mis‰ sion in Brasilien und Mosambik etwa umhäkelt sie rote Seifen‰Herzen.

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