Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Streit am Zaun eskaliert: „Das war ein Mordanschlag“
Seit Jahren haben sich zwei Nachbarn wegen einer Reihe von Bäumen an der Grundstücksgrenze in der Wolle
Landkreis Augsburg „Manchmal bin ich einfach fassungslos“, sagte Richterin Rita Greser. Dass ein Nachbarschaftsstreit so eskaliert, sei bedauernswert und unnötig. Doch befrieden konnte auch sie den Konflikt zwischen den beiden Männern aus dem westlichen Landkreis Augsburg nicht. Seit Jahren liegen sich die beiden wegen einer Reihe von Bäumen in den Haaren. Der eine will sie stutzen, der andere will sie schützen. Trauriger Höhepunkt dieses jahrelangen Konflikts ist nun ein Urteil wegen fahrlässiger Körperverletzung. Das Opfer spricht sogar von einem „Mordanschlag“. Doch der Reihe nach.
Auslöser des Konflikts sind etwa zehn Bäume am Rand eines Grundstücks im westlichen Landkreis. Schon etwa 80 Jahre seien die alt, sagte einer der Nachbarn vor Gericht. Deshalb wolle er sie auch nicht ummachen oder zu sehr zurückschneiden, so der 74-Jährige. Der andere Nachbar, ein 52 Jahre alter Mann, sieht in den Bäumen allerdings eine Gefahr. Aus seiner Sicht müssten sie deutlich mehr gestutzt werden. Einer der Bäume sei vor einiger Zeit sogar auf das Dach seines Hauses gekracht. Jahrelang streiten sich die beiden deshalb schon. Im Juni vergangenen Jahres wollte der 52-Jährige schließlich selbst Hand anlegen und Äste, die auf sein Grundstück überstanden, wegschneiden. Dazu stellte er eine Leiter an einer Mauer zwischen den Grundstücken auf und machte sich an die Arbeit.
Als der 74-Jährige auf dem gegenüberliegenden Grundstück das bemerkte, soll es – mal wieder – zum Streit gekommen sein. Beide Parteien sagten aus, beschimpft worden zu sein. Weil sein Nachbar ihn aufgefordert habe, das Stutzen zu unterlassen, habe er schließlich damit aufgehört, sagte der 52-Jährige. Doch als er von der Leiter stieg, krachte diese auf den 74-Jährigen auf der anderen Seite. Die Leiter traf den Mann zunächst am Schienbein. Dort zog sich der 74-Jährige eine etwa zwölf Zentimeter lange Platzwunde zu. Weil er die Leiter nicht richtig gesichert hatte, musste sich der 52-Jährige nun vor dem Augsburger Amtsgericht verantworten.
Er räumte den Fehler ein: „Mir tut die Geschichte total leid“, sagte der Angeklagte. Er habe seinen Nachbar nicht verletzten wollen. Von seinem Grundstück aus habe er seinen Nachbar auch nicht gesehen, konnte also nicht wissen, dass die Leiter auf ihn krachen könnte. Ganz anders sah das der 74-Jährige. Aus seiner Sicht, hat es der Angeklagte schon seit Jahren auf ihn abgesehen. „Das war ein Mordanschlag“, sagte der 74-Jährige vor Gericht. Immer wieder habe ihm sein Nachbar gedroht. Auch seiner Frau soll er Schläge angedroht haben. Deshalb habe er seinen Nachbarn auch schon bei der Polizei angezeigt. Neben dem Verfahren vor dem Amtsgericht läuft zur Zeit noch ein Zivilprozess.
Aus Sicht des Angeklagten sind diese Behauptungen schlichtweg falsch. Nie habe er seinem Nachbarn gedroht, auch seiner Frau nicht. Vielmehr bemühe er sich um eine Lösung des Konflikts. Außerdem habe er sich schriftlich bei seinem Nachbar für den Unfall mit der Leiter
entschuldigt. Auch vor Gericht wiederholte der Mann die Entschuldigung. Doch der 74-Jährige wollte davon nichts hören. „Ich nehme das nicht an“, sagte er. Und weiter: „Der wollte mich totschlagen, und da soll ich mich auf eine Entschuldigung einlassen?“
Befrieden konnte Richterin Greser diesen tiefgreifenden Nachbarschaftsstreit nicht. Das sei auch nicht ihre Aufgabe an diesem Verhandlungstag. Schließlich gehe es um die fahrlässige Körperverletzung – und da war die Sachlage eindeutig. Der Angeklagte hatte die Leiter nicht ausreichend gesichert, deshalb kam es zum Unfall. „Ein Mordanschlag war das aber sicher nicht“, sagte die Richterin. Sie sah keinen Anhaltspunkt für einen Vorsatz. Schließlich verurteilte sie den 52-Jährigen zu einer Geldstrafe von 2800 Euro und merkte an: „Leider sind die Fronten total verhärtet. Da sehe ich keine Möglichkeit, Frieden zu stiften.“