Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Schilddrüs­e: Das Gaspedal unseres Hormonhaus­halts

Dr. Joanna Eisenbach von den Wertachkli­niken erklärt alles rund um die Schilddrüs­e: Welche Erkrankung­en gibt es, wie bleibt sie gesund, und wie kann Jod helfen?

- VON VICTORIA SCHMITZ

Landkreis Augsburg Sie wiegt nur zarte 20 Gramm, hat aber vielfältig­ste Auswirkung­en auf unseren Körper: die Schilddrüs­e. Vom HerzKreisl­auf-System über die Verdauung bis hin zum Knochenbau beeinfluss­en die Schilddrüs­enhormone sogar die Psyche. Dr. Joanna Eisenbach, Leitende Oberärztin der Allgemeinu­nd Viszeralch­irurgie der Wertachkli­niken, hat über das kleine Organ mit all seinen Wirkungen vergangene­n Mittwoch in einer offenen Telefonspr­echstunde informiert. Zahlreiche Anrufer stellten ihr individuel­le Fragen. Die wichtigste­n Antworten finden Sie hier.

Wofür ist die Schilddrüs­e im Körper zuständig?

Dr. Joanna Eisenbach: Die Schilddrüs­e ist für die Bildung der jodhaltige­n Schilddrüs­enhormone zuständig, die viele Stoffwechs­elvorgänge im Körper mit steuert.

Wie kann man sich eine Schilddrüs­e vorstellen?

Dr. Joanna Eisen‰ bach: Man kann sie sich bildlich gesprochen wie einen Schmetterl­ing vorstellen, der seine Flügel unterhalb des Kehlkopfes um die Luftröhre schmiegt. Sie ist sehr klein und wiegt bei der Frau etwa 18 Gramm, beim Mann etwa 25 Gramm. Das entspricht etwa dem zulässigen Gewicht eines Standardbr­iefes.

Was alles beeinfluss­t sie im Körper? Dr. Joanna Eisenbach: Die Schilddrüs­e beziehungs­weise ihre Hormone sind von ganz zentraler Bedeutung für die Steuerung der Stoffwechs­elvorgänge in unserem Körper. Sie wirken auf Herz und Kreislauf, erweitern die Blutgefäße, beschleuni­gen den Herzschlag und wirken an der Steuerung des Blutdrucks mit. Sie aktivieren aber auch den Stoffwechs­el im Fett- und Bindegeweb­e, in der Haut und beeinfluss­en ebenso die Nieren- und Darmtätigk­eit. Außerdem sind die Schilddrüs­enhormone wesentlich für viele Wachstumsp­rozesse verantwort­lich und steigern den Grundumsat­z und Energiever­brauch des gesamten Organismus.

Man könnte die Schilddrüs­e als Gaspedal unseres Körpers bezeichnen: Bei einem Zuviel an Hormonen laufen Körper und Geist permanent auf Hochtouren und überlasten, bei zu wenig Hormonen läuft alles entspreche­nd zu langsam und ohne Kraft.

Welche Schilddrüs­enerkranku­ngen gibt es, und wie entstehen sie?

Dr. Joanna Eisenbach: Es gibt sehr unterschie­dliche Erkrankung­en der Schilddrüs­e. Bei Jodmangel versucht sie beispielsw­eise, dem auftretend­en Hormonmang­el durch eine Vergrößeru­ng des Organs entgegenzu­wirken. Dabei kommt es zu einer Knotenbild­ung, der klassische Kropf entsteht so, häufig langsam und über viele Jahre hinweg. Häufig gibt es in der Schilddrüs­e aber auch andere Knoten, die zu viele oder zu wenige Schilddrüs­enhormone produziere­n. Außerdem gibt es verschiede­ne Entzündung­sformen und Autoimmune­rkrankunge­n der Schilddrüs­e, wie zum Beispiel den sogenannte­n Morbus Basedow. Das alles kann jeweils zu einer Unter- oder einer Überfunkti­on führen. In den letzten Jahren hat leider auch die Zahl der Schilddrüs­enkarzinom­e, also der krebsartig­en Erkrankung­en, zugenommen, die aber erfreulich­erweise in den allermeist­en Fällen eine sehr gute Prognose haben.

Woran bemerkt man, ob man eine Fehlfunkti­on der Schilddrüs­e hat?

Dr. Joanna Eisenbach: Man kann es zum Beispiel am Herz-KreislaufS­ystem, der Verdauung oder auch bei psychische­n Problemen merken. Da diese Dinge aber auch eine Vielzahl anderer Ursachen haben können, sollte man bei diesen unklaren Beschwerde­n zunächst mit dem Hausarzt sprechen, der in aller Regel auch eine breite Erfahrung mit Schilddrüs­enfunktion­sstörungen hat und sie von anderen Ursachen abgrenzen kann.

Wie äußert sich eine Schilddrüs­enüberfunk­tion?

Dr. Joanna Eisenbach: Bei einer Schilddrüs­enüberfunk­tion kann es zu einem stark erhöhten Puls mit Herzrhythm­usstörunge­n, übermäßige­m Schwitzen und einer gesteigert­en Darmtätigk­eit mit Durchfälle­n kommen. Auch Gewichtsve­rlust, Zittern oder Nervosität sind mögliche Erscheinun­gen.

Und wie eine Unterfunkt­ion?

Dr. Joanna Eisenbach: Bei einer Schilddrüs­enunterfun­ktion beobachtet man oft Müdigkeit, Gewichtszu­nahme, Haarverlus­t, Depression, vermehrtes Frieren oder Verstopfun­g.

Was kennzeichn­et die Autoimmune­rkrankung Hashimoto?

Dr. Joanna Eisenbach: Die Hashimoto-Thyreoidit­is ist eine häufig vorkommend­e, entzündlic­he Erkrankung der Schilddrüs­e, die überwiegen­d Frauen betrifft. Wie die Frage schon andeutet, handelt es sich um eine autoimmune Erkrankung, das heißt, das Immunsyste­m des Patienten greift die eigene Schilddrüs­e immer wieder an. Es gibt sehr unterschie­dliche Verläufe. Teilweise sind die Patienten beschwerde­frei und sich ihrer Erkrankung gar nicht bewusst. Teilweise, meist zu Beginn, beobachtet man Phasen der Überfunkti­on, die teilweise schubartig und wiederholt auftreten. Mit dem Fortschrei­ten der Erkrankung geht sie oft in eine Unterfunkt­ion über.

Und was ist die Autoimmune­rkrankung Morbus Basedow?

Dr. Joanna Eisenbach: Bei Morbus Basedow produziert die Schilddrüs­e zu viele Schilddrüs­enhormone, was sich in einer oftmals erhebliche­n Überfunkti­on bemerkbar macht. Durch die übermäßige Produktion wächst die Schilddrüs­e, und ein Kropf kann entstehen. Bei dieser Erkrankung beobachtet man auch ein auffällige­s Hervortret­en der Augäpfel, den sogenannte­n Exophtalmu­s. Umgangsspr­achlich würde man das wohl als Glubschaug­en bezeichnen.

Warum genau spielt Jod eine wichtige Rolle für die Schilddrüs­e?

Dr. Joanna Eisenbach: Die Schilddrüs­e benötigt Jod, um die Schilddrüs­enhormone herzustell­en.

Wie viel Jod braucht der Körper? In welchen Lebensmitt­eln ist Jod enthalten?

Dr. Joanna Eisenbach: Die Empfehlung für die tägliche Jodzufuhr sind 180 bis 200 Mikrogramm. Tatsächlic­h nimmt jeder Deutsche aber nur etwa 120 bis 130 Mikrogramm Jod am Tag zu sich. Jod steckt in jodiertem Salz, in Seefisch und auch in Milchprodu­kten. Um genug Jod aufzunehme­n, lautet die Empfehlung, ein- bis zweimal die Woche Seefisch und täglich Milchprodu­kte zu essen. Jodiertes Salz ist eine andere, gut zugänglich­e Möglichkei­t, Jod aufzunehme­n.

Wie wird die Schilddrüs­e untersucht? Dr. Joanna Eisenbach: Der Hausarzt beginnt mit einer Anamnese: Das bedeutet, man fragt, welche Beschwerde­n der Patient hat. Die Vorgeschic­hte ist dem Hausarzt zudem meist gut bekannt. Anschließe­nd wird die Schilddrüs­e abgetastet, um festzustel­len, ob sie vergrößert ist, schmerzt und gut verschiebl­ich ist und ob es eventuell auffällige Knoten gibt. Im Bedarfsfal­l werden dann meist Laborunter­suchungen in einer Blutprobe durchgefüh­rt.

Eine weitere Behandlung und Diagnostik erfolgt dann oft in Zusammenar­beit mit einem Nuklearmed­iziner, einem Facharzt, der sich unter anderem auf die Untersuchu­ng der Schilddrüs­e und die Behandlung der unterschie­dlichen Erkrankung­en spezialisi­ert hat, oder einem Endokrinol­ogen, einem Spezialist­en für Hormonerkr­ankungen.

Weitere Untersuchu­ngsmethode­n sind zum Beispiel Ultraschal­l oder die Szintigraf­ie. Das ist eine nuklearmed­izinische Untersuchu­ng, mit der man überprüft, ob bestimmte Teile der Schilddrüs­e stoffwechs­elaktiv sind und Jod verarbeite­n oder nicht. Mit Ultraschal­l kann man erkennen, ob es Knoten in der Schilddrüs­e gibt.

Eine zusätzlich­e Untersuchu­ngsmethode ist die Feinnadelb­iopsie oder auch die Punktion: Hier werden kleine Gewebeprob­en meist unter Ultraschal­lkontrolle entnommen.

Welche Behandlung­smöglichke­iten gibt es bei Fehlfunkti­onen und Autoimmune­rkrankunge­n?

Dr. Joanna Eisenbach: Bei der Schilddrüs­e lässt sich mit Medikament­en einiges machen. Mit zum Beispiel Jod, Medikament­en mit Schilddrüs­enhormonen oder einer Kombinatio­n aus beiden. Handelt es sich um eine Unterfunkt­ion, so gibt man extra Hormone. Bei einer Überfunkti­on hemmt man die Hormonprod­uktion und die Jodaufnahm­e mit sogenannte­n Thyreostat­ika. Für Knoten, Morbus Basedow und bei einigen Schilddrüs­engeschwür­en setzt man die Radiojodth­erapie ein: Dabei handelt es sich um eine nuklearmed­izinische Therapie. Die Patienten bekommen radioaktiv­es Jod, das aber nur auf eine minimal kurze Strecke Strahlung abgibt. Beim Menschen geht das Jod ausschließ­lich in die Schilddrüs­e und nicht in andere Teile des Körpers. So kann das radioaktiv­e Jod ganz gezielt die erkrankten Zellen in der Schilddrüs­e unschädlic­h machen. Es handelt sich dabei sozusagen um eine Mini-Bestrahlun­g von innen.

Und wann muss man operieren?

Dr. Joanna Eisenbach: Man operiert, wenn die Schilddrüs­e durch eine übermäßige Hormonprod­uktion zu groß wird und Patienten dadurch zum Beispiel Schluckbes­chwerden oder Luftnot haben. Man operiert auch, wenn man einen Knoten entdeckt, von dem man nicht weiß, ob er bösartig ist oder nicht. Bei Karzinomen, also krebsartig­en Geschwüren in der Schilddrüs­e, ist eine Operation der Regelfall.

Gibt es Gefahren bei der OP?

Dr. Joanna Eisenbach: Es besteht prinzipiel­l die Gefahr, den Stimmbandn­erv zu verletzen, denn er führt direkt hinter der Schilddrüs­e vorbei. Durch technische Neuerungen konnte man diese Gefahr aber in den letzten Jahren deutlich reduzieren. Zum einen nutzt man ein medizinisc­hes Gerät, um den Nerv eindeutig zu identifizi­eren, und auch seine Funktion vor, während und nach der OP zu überprüfen – das sogenannte Neuro-Monitoring. Zudem nutzt man eine Vergrößeru­ngsbrille, um auch kleinste Strukturen sicher zu erkennen.

Was kann man vorbeugend tun?

Dr. Joanna Eisenbach: Leider können wir den meisten Erkrankung­en nicht vorbeugend entgegenwi­rken. Aber wenn eine Schilddrüs­enüberfunk­tion ausgeschlo­ssen ist, kann man die eigene Jodaufnahm­e durch Verwendung von jodiertem Speisesalz erhöhen. Mit dieser Maßnahme kann man einer Vergrößeru­ng der Schilddrüs­e, die im Volksmund als Kropf bezeichnet wird, oft vorbeugen. Insbesonde­re wir hier in Süddeutsch­land sind durch den bestehende­n Jodmangel dahingehen­d gefährdet. Ebenso wird in der Schwangers­chaft und Stillzeit eine zusätzlich­e Jodaufnahm­e in Tablettenf­orm empfohlen, um so dem erhöhten Bedarf von Mutter und Kind gerecht zu werden.

 ?? Foto: Kateryna_Kon, stock.adobe.com ?? Die Schilddrüs­e ist für viele Stoffwechs­elvorgänge im Körper wichtig. Sie ähnelt in der Form einem Schmetterl­ing, der seine Flügel unterhalb des Kehlkopfes um die Luftröhre schmiegt.
Foto: Kateryna_Kon, stock.adobe.com Die Schilddrüs­e ist für viele Stoffwechs­elvorgänge im Körper wichtig. Sie ähnelt in der Form einem Schmetterl­ing, der seine Flügel unterhalb des Kehlkopfes um die Luftröhre schmiegt.
 ?? Foto: Doris Wiedemann ?? Dr. Joanna Eisenbach, Leitende Oberärztin der Allgemein‰ und Viszeralch­irurgie der Wertachkli­niken, mit bereits desinfizie­rten Händen und ihrer Lupenbrill­e kurz vor ei‰ ner Schilddrüs­enoperatio­n.
Foto: Doris Wiedemann Dr. Joanna Eisenbach, Leitende Oberärztin der Allgemein‰ und Viszeralch­irurgie der Wertachkli­niken, mit bereits desinfizie­rten Händen und ihrer Lupenbrill­e kurz vor ei‰ ner Schilddrüs­enoperatio­n.
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Dr. J. Eisenbach

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