Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf der Schulbühne entdeckt

Im theter Ensemble arbeitete Schauspiel­erin Daria Welsch schon in verschiede­nen Funktionen, am wohlsten fühlt sie sich auf der Bühne. Das hat auch mit ihrer Schüchtern­heit zu tun

- VON SEBASTIAN KRAUS

Sie sind jung, kommen aus der Region und haben ihre Karriere noch vor sich: „Junge Künstler“heißt unsere Serie, die dem kreativen Nachwuchs aus der Region auf den Spuren ist.

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In einer Polemik über die Nutzlosigk­eit des Theaters schrieb der streitbare Publizist Joachim Fest einmal von vergeudete­n Abenden, enttäuscht­en Erwartunge­n und gähnender Langeweile. Damit konfrontie­rt blitzt für einen Moment Irritation in Daria Welschs Augen, dann begegnet die junge Schauspiel­erin dem Frustausbr­uch aber mit einem schönen Bild: Theater sei „wie ein Ball aus Gummibände­rn, es vereint Handwerk, Musik, Literatur, Sprache, Körperlich­keit, Geschichte, wir brauchen es als Diskussion­sfläche und Alltagsflu­cht“.

Daria Welsch brennt für das Theater und ihr Ensemble, das im City Club beheimatet­e Kollektiv theter. Als sie dessen Aufführung der Tragödie „Bahnwärter Thiel“besuchte, war es ihr erster Kontakt mit der Kunstform Theater, doch der anarchisch­e Geist des Ensembles, die popkulture­llen Einflüsse in den Inszenieru­ngen und die unverputzt­e Wand des City Clubs zogen sie sofort in ihren Bann.

Dann ging es plötzlich sehr schnell. Welsch stand bei einer Aufführung im Rahmen eines P-Seminars an ihrer Schule auf der Bühne, an der das theter ensemble der Regie assistiert­e. Der künstleris­che Leiter Leif Eric Young holte sie von der Schulbühne herunter und besetzte sie in der allerletzt­en Aufführung von „Bahnwärter Thiel“und warf sie praktisch ins kalte Wasser. Seitdem war Daria Welsch in den verschiede­nsten Funktionen bei jedem Stück seit 2017 dabei, in der Requisite, der Organisati­on, als Regieassis­tenz oder eben auf der Bühne. Dort fühlt sie sich am wohlsten.

Und am sichersten, ist doch die Bühne für Daria Welsch auch eine Flucht vor einer steten Begleiteri­n ihrer Kindheit, der Schüchtern­heit. Sie tritt den Beweis an, dass Schüchtern­heit eben kein Hindernis für ein Leben auf der Bühne ist – im Gegenteil:

„Weil ich weiß, wie es ist, schüchtern zu sein, kann ich für meine Rollen einen Katalog an Gefühlen auspacken. Ich gehe Rollen so an, dass ich mir dazu die ganze Hintergrun­dgeschicht­e ausdenke“. In der Theorie nennt man diese Herangehen­sweise Method Acting. In der Praxis bedeutet das, sich in die Rolle einzufühle­n, eigene Erinnerung­en einzuflech­ten und ganz naturalist­isch zu spielen. So entwickelt­e sich die Studentin der Theaterwis­senschafte­n zu einer aufblühend­en Bühnenpers­önlichkeit, eine Entwicklun­g, die auch den Juroren des Kunstförde­rpreises der Stadt Augsburg 2020 nicht entgangen ist.

So profitiere­n heute das theter Ensemble und das Augsburger Publikum von einer facettenre­ichen Schauspiel­erin, die selbst den Zwängen der aktuellen Situation einiges abgewinnen kann, auch „wenn die Empathie, die man als Schauspiel­erin braucht, natürlich fehlt, genauso wie die Spannung vor und den Spannungsa­bfall nach dem Auftritt“. Die Produktion­en des Ensembles werden nun aufgezeich­net, das Theater

Ich wird ins Film-Ich übertragen. Während auf der Bühne groß gespielt werden muss, um alle Nuancen eines Charakters bis in die letzte Reihe zu transporti­eren, verlangt die Kamera ein kleineres, stilleres Spiel.

Wenn Daria Welsch im Beitrag des Ensembles zum diesjährig­en Brechtfest­ival der Begleiteri­n von Brecht, Ruth Berlau, ihre Stimme leiht, kündigt sich der kurze, aber heftige Wutausbruc­h über die ihr von Brecht gestohlene­n Jahre in einem kleinen Zucken um die Mundwinkel an, das ganz leise Zittern in der Stimme prophezeit die kurz darauf folgende Eruption. Ein beeindruck­ender Moment in einem intensiven Film – auch wenn dieses Format nicht die Spezialitä­t von theter ist. Aber das ist es, was Daria Welsch so schätzt an dieser Gruppe: „Wir sind zwar nicht alle ausgebilde­t, aber wir kriegen alles hin, weil wir sehr viel Arbeit reinstecke­n“. Und Herzblut. Was ist also dieses Theater nun, Herr Fest? Daria Welsch zögert keine Sekunde: „Theater ist mein Leben“.

 ?? Foto: Lina Meyn ?? In ihre Rollen fühlt sich Daria Welsch, hier in einer Szene aus der theter‰Produktion „Anarchie in Bayern“, mit ihrer ganzen Persönlich­keit ein.
Foto: Lina Meyn In ihre Rollen fühlt sich Daria Welsch, hier in einer Szene aus der theter‰Produktion „Anarchie in Bayern“, mit ihrer ganzen Persönlich­keit ein.

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