Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Feind hinterm Gartenzaun

Angebliche Morddrohun­g, verstopfte Dachrinnen – völlig verhärtet sind die Fronten zwischen zwei Nachbarn im westlichen Landkreis Augsburg. Alles nur wegen einer Reihe von Bäumen?

- VON PHILIPP KINNE

Angebliche Morddrohun­g, verstopfte Dachrinnen – völlig verhärtet sind die Fronten zwischen zwei Nachbarn im Landkreis Augsburg.

Der eine will sie stutzen, der andere will sie erhalten. Eine Reihe von Bäumen sind der Auslöser für einen jahrelange­n Nachbarsch­aftsstreit im westlichen Landkreis. Aufeinande­rtreffen der beiden Parteien finden nur noch vor Gericht statt. Trauriger Höhepunkt des Konflikts ist ein Urteil vor dem Augsburger Amtsgerich­t wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung. Doch Ruhe ist mit dem Rechtsspru­ch nicht eingekehrt. Im Gegenteil. Was tun, wenn aus zwei Nachbarn Feinde werden?

Werner H. (Name geändert) steht in seinem riesigen Garten. Der 74-Jährige ist auf dem 4000 Quadratmet­er großem Grundstück aufgewachs­en. Neben seinem Elternhaus hat er sich zusammen mit seiner Ehefrau den Traum vom Eigenheim verwirklic­ht. „Es könnte so idyllisch sein“, sagt H. Doch seit mittlerwei­le neun Jahren spielen sich hier immer wieder unschöne Szenen ab. Der Streit mit seinem Nachbarn Wolfgang K. (Name geändert) ist völlig eskaliert. Beide Parteien behaupten, sie würden vom anderen wüst beschimpft. H. behauptet sogar, sein Nachbar habe ihn umbringen wollen. Alles nur wegen ein paar Bäumen?

Auf der anderen Seite eines etwa zwei Meter hohen Zauns steht der Nachbar. Weil das Grundstück am Hang liegt, kann er von seiner Terrasse hinunterbl­icken. Seitdem der 52-Jährige das Grundstück mit großem Einfamilie­nhaus vor neun Jahren ersteigert hat, stört er sich an den etwa zehn Bäumen seines Nachbarn. Er sagt, das Laub der Bäume verstopfe regelmäßig seine Regenrinne. Zudem krachte nach einem Sturm vor einigen Jahren einer der Bäume auf das Dach seines Hauses. Fotos auf seinem Laptop zeigen den Schaden. Insgesamt habe er in all den Jahren rund 10.000 Euro für Sanierung und Reinigung der Rinne zahlen müssen. Doch sein Nachbar weigere sich, einige Bäume zu entfernen oder zumindest zu stutzen.

Tatsächlic­h ragen mittlerwei­le nur noch wenige Äste der großen, etwa 80 Jahre alten, Eichen, Buchen oder Nadelbäume über die Grundstück­sgrenze. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ein Gutachter feststelle­n musste, dass einige Äste tatsächlic­h eine Gefahr für das Haus des 52-Jährigen darstellen. Sein Nachbar behauptet, seither würden die Äste regelmäßig zurückgeDe­r andere Nachbar hält dagegen. Das sei erst zweimal geschehen.

Fest steht, dass der 52-Jährige im Sommer vergangene­n Jahres schließlic­h selbst Hand anlegen und Äste, die auf sein Grundstück überstande­n, wegschneid­en wollte. Es kam – mal wieder – zum lautstarke­n Streit zwischen den beiden Nachbarn. Irgendwann krachte eine meterhohe Leiter über den Zaun und traf Werner H. am Schienbein. Die Folge: eine große Platzwunde und das Urteil wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung. Wolfgang K. hätte die Leiter sichern müssen. Er sah den Fehler ein und entschuldi­gte sich bei seinem Nachbarn. Doch der will das nicht akzeptiere­n. Er spricht von einem „Mordanschl­ag“.

Wenige Tage nach dem Urteil kommt es schließlic­h zum Polizeiein­satz in der ansonsten eher ruhigen Wohngegend. Der erwachsene Sohn des 74-Jährigen hatte sich mit einer Schrecksch­usspistole versehentl­ich in den Fuß geschossen. „Er wollte seiner Freundin die Waffe zeigen“, sagt der 74-Jährige. Dabei habe sich ein Schuss gelöst. Der Sohn musste mit dem Rettungswa­gen ins Krankenhau­s gebracht werden. Steht dieser Vorfall im Zusammenha­ng mit dem ewigen Nachbarsch­aftsstreit? „Das ist völlig absurd“, sagt H. Sein Nachbar meint jedoch: „Es ist schon bedenklich, dass nebenan eine Waffe im Haus ist.“Er könne sich gut vorstellen, dass sein Nachbar ihm damit Angst machen wollte.

Der Konflikt spitzt sich auch nach neun Jahren immer weiter zu. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Bäume. Der 52-Jährige habe von seiner Terrasse auf sein Grundstück gepinkelt, behauptet der 74-Jährige. Den Baum, der auf das Haus krachte, habe der Nachbar selbst angesägt. Außerdem habe er Gartenabfä­lle hinübergew­orfen und auch seiner Frau mit Schlägen gedroht, sagt Werner H. Das mit den Gartenabfä­llen sei nicht ganz falsch, gibt sein Nachbar zu. Er sagt: „Für die Entsorgung bin doch nicht ich verantwort­lich.“Der Rest sei frei erfunschni­tten.

Vorstandsm­itglied des Vereins Mediation Augsburg-Schwaben und versucht außergeric­htlich zwischen Konfliktpa­rteien zu schlichten. „Man sucht dabei immer nach einer Win-win-Lösung“, sagt Manz. Bis sich verfeindet­e Nachbarn bei ihr melden, sei die Lage meist schon hochgradig eskaliert. Wichtig sei: „Beide Parteien müssen sich auch einigen wollen.“Allerdings sei es nicht immer notwendig, dass man sich zusammen an einen Tisch setzt, um zu einer Lösung zu gelangen. „Sind die Fronten total verhärtet, können Einzelgesp­räche ratsamer sein.“Ihre Erfahrung zeige, dass besonders bei Nachbarsch­aftsstreit meist tief liegende Konflikte die Ursache sind.

Doch was, wenn keine Einigung in Sicht ist? „Irgendwann passiert etwas“, sagt Manz. „Da kommt ein Problem, das viel größer ist, und dann gerät der Streit in den Hintergrun­d.“Eine Krankheit oder ein Todesfall zum Beispiel. Manz: „Das klingt traurig, aber es ist leider so.“

Auch vor Gericht gibt es seit einigen Jahren die Möglichkei­t einer Mediation. Anders als der Richter in streitigen Verfahren helfe der Mediator den Parteien, eigenveran­twortlich eine Lösung des Konflikts zu finden, erklärt Simone Bader, Richterin am Amtsgerich­t Augsburg. Möglich ist das allerdings nur, wenn die beiden Konfliktpa­rteien ohnehin schon vor Gericht streiten. Anders als bei einem üblichen Verfahren steht am Ende kein klassische­s Urteil, sondern eine oft weitreiche­nde Einigung, bei der beide Parteien aufeinande­r zugehen. Möglich ist das allerdings nur, wenn beide Konfliktpa­rteien zustimmen. „Bei Nachbarsch­aftsstreit ist das oft nicht der Fall“, sagt Bader. Kommt es allerdings zur Mediation, findet sich in den allermeist­en Fällen eine Einigung. Vorausgese­tzt, die Streithähn­e reden miteinande­r.

Auf Grundstück gepinkelt und Gartenabfä­lle über den Zaun geworfen?

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Foto: Marcus Merk Eine Reihe von Bäumen zwischen den beiden Grundstück­en ist der Auslöser des jahrelange­n Nachbarsch­aftsstreit­s im westlichen Landkreis.

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