Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Feind hinterm Gartenzaun
Angebliche Morddrohung, verstopfte Dachrinnen – völlig verhärtet sind die Fronten zwischen zwei Nachbarn im westlichen Landkreis Augsburg. Alles nur wegen einer Reihe von Bäumen?
Angebliche Morddrohung, verstopfte Dachrinnen – völlig verhärtet sind die Fronten zwischen zwei Nachbarn im Landkreis Augsburg.
Der eine will sie stutzen, der andere will sie erhalten. Eine Reihe von Bäumen sind der Auslöser für einen jahrelangen Nachbarschaftsstreit im westlichen Landkreis. Aufeinandertreffen der beiden Parteien finden nur noch vor Gericht statt. Trauriger Höhepunkt des Konflikts ist ein Urteil vor dem Augsburger Amtsgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung. Doch Ruhe ist mit dem Rechtsspruch nicht eingekehrt. Im Gegenteil. Was tun, wenn aus zwei Nachbarn Feinde werden?
Werner H. (Name geändert) steht in seinem riesigen Garten. Der 74-Jährige ist auf dem 4000 Quadratmeter großem Grundstück aufgewachsen. Neben seinem Elternhaus hat er sich zusammen mit seiner Ehefrau den Traum vom Eigenheim verwirklicht. „Es könnte so idyllisch sein“, sagt H. Doch seit mittlerweile neun Jahren spielen sich hier immer wieder unschöne Szenen ab. Der Streit mit seinem Nachbarn Wolfgang K. (Name geändert) ist völlig eskaliert. Beide Parteien behaupten, sie würden vom anderen wüst beschimpft. H. behauptet sogar, sein Nachbar habe ihn umbringen wollen. Alles nur wegen ein paar Bäumen?
Auf der anderen Seite eines etwa zwei Meter hohen Zauns steht der Nachbar. Weil das Grundstück am Hang liegt, kann er von seiner Terrasse hinunterblicken. Seitdem der 52-Jährige das Grundstück mit großem Einfamilienhaus vor neun Jahren ersteigert hat, stört er sich an den etwa zehn Bäumen seines Nachbarn. Er sagt, das Laub der Bäume verstopfe regelmäßig seine Regenrinne. Zudem krachte nach einem Sturm vor einigen Jahren einer der Bäume auf das Dach seines Hauses. Fotos auf seinem Laptop zeigen den Schaden. Insgesamt habe er in all den Jahren rund 10.000 Euro für Sanierung und Reinigung der Rinne zahlen müssen. Doch sein Nachbar weigere sich, einige Bäume zu entfernen oder zumindest zu stutzen.
Tatsächlich ragen mittlerweile nur noch wenige Äste der großen, etwa 80 Jahre alten, Eichen, Buchen oder Nadelbäume über die Grundstücksgrenze. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ein Gutachter feststellen musste, dass einige Äste tatsächlich eine Gefahr für das Haus des 52-Jährigen darstellen. Sein Nachbar behauptet, seither würden die Äste regelmäßig zurückgeDer andere Nachbar hält dagegen. Das sei erst zweimal geschehen.
Fest steht, dass der 52-Jährige im Sommer vergangenen Jahres schließlich selbst Hand anlegen und Äste, die auf sein Grundstück überstanden, wegschneiden wollte. Es kam – mal wieder – zum lautstarken Streit zwischen den beiden Nachbarn. Irgendwann krachte eine meterhohe Leiter über den Zaun und traf Werner H. am Schienbein. Die Folge: eine große Platzwunde und das Urteil wegen fahrlässiger Körperverletzung. Wolfgang K. hätte die Leiter sichern müssen. Er sah den Fehler ein und entschuldigte sich bei seinem Nachbarn. Doch der will das nicht akzeptieren. Er spricht von einem „Mordanschlag“.
Wenige Tage nach dem Urteil kommt es schließlich zum Polizeieinsatz in der ansonsten eher ruhigen Wohngegend. Der erwachsene Sohn des 74-Jährigen hatte sich mit einer Schreckschusspistole versehentlich in den Fuß geschossen. „Er wollte seiner Freundin die Waffe zeigen“, sagt der 74-Jährige. Dabei habe sich ein Schuss gelöst. Der Sohn musste mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. Steht dieser Vorfall im Zusammenhang mit dem ewigen Nachbarschaftsstreit? „Das ist völlig absurd“, sagt H. Sein Nachbar meint jedoch: „Es ist schon bedenklich, dass nebenan eine Waffe im Haus ist.“Er könne sich gut vorstellen, dass sein Nachbar ihm damit Angst machen wollte.
Der Konflikt spitzt sich auch nach neun Jahren immer weiter zu. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Bäume. Der 52-Jährige habe von seiner Terrasse auf sein Grundstück gepinkelt, behauptet der 74-Jährige. Den Baum, der auf das Haus krachte, habe der Nachbar selbst angesägt. Außerdem habe er Gartenabfälle hinübergeworfen und auch seiner Frau mit Schlägen gedroht, sagt Werner H. Das mit den Gartenabfällen sei nicht ganz falsch, gibt sein Nachbar zu. Er sagt: „Für die Entsorgung bin doch nicht ich verantwortlich.“Der Rest sei frei erfunschnitten.
Vorstandsmitglied des Vereins Mediation Augsburg-Schwaben und versucht außergerichtlich zwischen Konfliktparteien zu schlichten. „Man sucht dabei immer nach einer Win-win-Lösung“, sagt Manz. Bis sich verfeindete Nachbarn bei ihr melden, sei die Lage meist schon hochgradig eskaliert. Wichtig sei: „Beide Parteien müssen sich auch einigen wollen.“Allerdings sei es nicht immer notwendig, dass man sich zusammen an einen Tisch setzt, um zu einer Lösung zu gelangen. „Sind die Fronten total verhärtet, können Einzelgespräche ratsamer sein.“Ihre Erfahrung zeige, dass besonders bei Nachbarschaftsstreit meist tief liegende Konflikte die Ursache sind.
Doch was, wenn keine Einigung in Sicht ist? „Irgendwann passiert etwas“, sagt Manz. „Da kommt ein Problem, das viel größer ist, und dann gerät der Streit in den Hintergrund.“Eine Krankheit oder ein Todesfall zum Beispiel. Manz: „Das klingt traurig, aber es ist leider so.“
Auch vor Gericht gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit einer Mediation. Anders als der Richter in streitigen Verfahren helfe der Mediator den Parteien, eigenverantwortlich eine Lösung des Konflikts zu finden, erklärt Simone Bader, Richterin am Amtsgericht Augsburg. Möglich ist das allerdings nur, wenn die beiden Konfliktparteien ohnehin schon vor Gericht streiten. Anders als bei einem üblichen Verfahren steht am Ende kein klassisches Urteil, sondern eine oft weitreichende Einigung, bei der beide Parteien aufeinander zugehen. Möglich ist das allerdings nur, wenn beide Konfliktparteien zustimmen. „Bei Nachbarschaftsstreit ist das oft nicht der Fall“, sagt Bader. Kommt es allerdings zur Mediation, findet sich in den allermeisten Fällen eine Einigung. Vorausgesetzt, die Streithähne reden miteinander.
Auf Grundstück gepinkelt und Gartenabfälle über den Zaun geworfen?