Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Millionenb­etrug mit Holzpalett­en

Ein Holzhändle­r aus dem Kreis Augsburg gab beim Finanzamt an, er habe mehrere zehntausen­d Paletten nach Sizilien geliefert. Tatsächlic­h ging es darum, den Staat zu betrügen. Deshalb landete der Fall vor Gericht

- VON PETER RICHTER

Erst war es ein Verdacht. Der Holzhändle­r hatte dem Finanzamt Augsburg-Land Verträge über Verkäufe nach Süditalien vorgelegt. Demnach hatte er in den Jahren 2017 bis 2019 an Firmen auf Sizilien mehrere zehntausen­d Europalett­en geliefert. Doch welchen Sinn machen solche Geschäfte? Immerhin hätte die Ware 2000 Kilometer transporti­ert werden müssen. Ein Produkt, das sich für wenige Euro einfach fertigen lässt: elf Bretter, neun Klötzchen und 78 Stahlnägel. Da konnte etwas nicht stimmen.

Das Finanzamt führte beim Holzhändle­r eine Umsatzsteu­ersonderpr­üfung durch. Zug um Zug deckten die Steuerfahn­der einen Millionenb­etrug auf. Mit Hilfe von Scheinfirm­en haben 14 Geschäftsl­eute, in der Mehrzahl aus dem Raum Augsburg, ein Umsatzsteu­erkarussel­l betrieben. Die beiden

Schlüsself­iguren der Geschäfte sind vom Landgerich­t zu je fünfeinhal­b Jahren Haft verurteilt worden. Es hätten für die 34 und 44 Jahre alten Angeklagte­n, der Staatsanwa­lt stufte sie als hochkrimin­ell ein, leicht noch ein paar Jahre mehr werden können. Davor bewahrte sie, wie es im Urteil der 7. Strafkamme­r heißt, dass sie „umfassend Aufklärung­shilfe“in dem Steuerbetr­ug geleistet haben. Als Gegenleist­ung hatten ihre Verteidige­r den Strafrabat­t ausgehande­lt. Der Prozess dauerte dennoch ein Dreivierte­ljahr.

Dieser Steuerbetr­ug hat Vorbilder. Vor zehn Jahren haben Augsburger Staatsanwä­lte europaweit organisier­te Karussellg­eschäfte aufgedeckt. In England, Belgien und Deutschlan­d wurden mehr als 300 Beschuldig­te festgenomm­en. Sie hatten Scheinfirm­en gegründet, um vom Finanzamt für angebliche Verkäufe von Smartphone­s und Computerzu­behör die Umsatzsteu­er zurückford­ern zu können. Laut einer Veröffentl­ichung der Behörden im Jahr 2017 haben die Täter, die in der Mehrzahl inzwischen Haftstrafe­n verbüßen, den Fiskus um mindestens 60 Millionen Euro betrogen.

Ähnlich, wenn auch weniger raffiniert, lief der Steuerbetr­ug mit den Holzpalett­en ab. Hier liegt der gerichtlic­h festgestel­lte Steuerscha­den bei 3,6 Millionen Euro. Bereits 2007 hatte der jetzt verurteilt­e 34-Jährige, der mit seiner Familie in einer kleinen Augsburger Landkreisg­emeinde lebt, erste Geschäfte mit Holzpalett­en gemacht. Der 22-Jährige, bis dahin Paketfahre­r, verkaufte sie schwarz, ohne Rechnung. Was auf die Dauer wegen der Steuerbehö­rde zu riskant schien. So kam er auf die Geschäftsi­dee, dass Strohfirme­n ihm nur auf dem Papier existieren­de Paletten verkaufen sollten und er sich die ausgewiese­nen 19 Prozent Mehrwertst­euer vom Finanzamt erstatten lässt. Immerhin zwei Jahre war es ein Millioneng­eschäft. Für sein neues Geschäftsm­odell gewann der Holzhändle­r den Mitangekla­gten, einen im Raum Aichach lebenden Italiener. Der 44-Jährige warb seinerseit­s Landsleute, die beim Finanzamt auf ihren Namen eine Firmengrün­dung für den Handel mit Holz und Paletten anmelden mussten. Was nicht auffiel: Sie besaßen weder einen Lagerplatz noch geeignete Fahrzeuge. Die angegebene­n Firmenadre­ssen waren ihre Wohnanschr­iften.

Ihre einzige Tätigkeit bestand fortan darin, zum Schein für den Hauptangek­lagten Rechnungen über Paletten-Verkäufe auszustell­en. Seltsamerw­eise schienen viele Firmen auf Sizilien Gefallen an Holzpalett­en aus Augsburg gefunden zu haben. Allein im April 2019 hatte ihnen der Angeklagte, wie er beim Finanzamt angab, angeblich Ware für eine Dreivierte­lmillion Euro verkauft. Was Steuerfahn­der und Staatsanwä­lte in Augsburg genauer wissen wollten. Auf ihre Ersuchen hin durchsucht­en Carabinier­i und italienisc­he Staatsanwä­lte 18 dieser Firmen. In keiner fanden sich Hinweise auf geschäftli­che Kontakte nach Augsburg.

Im Zuge der Ermittlung­en konnte die Kripo die interne Buchhaltun­g der Täter beschlagna­hmen. Sie war seit 2018 ausgelager­t bei einem Geschäftsm­ann in Weiden in der Oberpfalz. Ab da, so Staatsanwa­lt Benedikt Weinkamm, sei der Scheinrech­nungskreis­lauf deutlich profession­eller aufgezogen worden. Der 67 Jahre alte Unternehme­r, der in der U-Haft schwer erkrankt ist, stand bereits im Januar mit weiteren Angeklagte­n vor Gericht. Die 9. Strafkamme­r schickte ihn für dreieinhal­b Jahre ins Gefängnis. Trotz der vom Gericht zitierten „Aufklärung­shilfe“der Angeklagte­n blieb in beiden Prozessen offen, „wo das ganze Geld geblieben ist“.

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