Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Unruhestifter
Boris Palmer bei den Grünen, Hans-Georg Maaßen bei der CDU – zwei Männer bringen die jeweiligen Kanzlerkandidaten beider Parteien in Bedrängnis. Der Blick auf die SPD lehrt, dass schneller Friede nicht in Sicht ist
Berlin Es ist der erste schwarze Fleck auf der bislang makellosen Wahlkampagne der Grünen. Die Causa Boris Palmer zwingt Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock unnötig Ärger auf. Für Baerbock ist Palmer wie eine ungesicherte Pistole. Immer wieder kann sie losgehen und Schaden anrichten. Deshalb will sie ihn aus der Partei werfen lassen. Es ist ihre erste Prüfung als Kanzlerkandidatin – jetzt muss sich zeigen, ob sie führen kann.
Für Baerbocks politische Gegner ist der Umgang mit der Personalie eine willkommene Gelegenheit, die Grünen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Denn die Partei und ihre Unterstützer legen höchste moralische Maßstäbe an die Konkurrenz an und müssen jetzt zeigen, ob diese Maßstäbe auch für sie selbst gelten. Der Tübinger Bürgermeister Palmer erzielt deshalb eine derart wuchtige Wirkung, weil er sich seit Jahren konträr zu Grundüberzeugungen der Grünen stellt – sei es zu Flüchtlingen, Corona oder jetzt zum Anti-Rassismus. Genau wie Baerbock kämpft auch ihr schärfster Widersacher im Rennen um das Kanzleramt mit einem Mann des großen Armin Laschets Palmer heißt Hans-Georg Maaßen. Der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes will im Thüringer Wald ein Bundestagsmandat erringen. Der 58-Jährige steht in seiner CDU weit rechts. Ihm wird unterstellt, ein Bündnis mit der AfD gutzuheißen. Nun bescherte er seinem Kanzlerkandidaten am Sonntagabend zur guten Sendezeit ein gefährliches Scharmützel. Laschet musste sich in der Talkrunde bei Gastgeberin Anne Will des Vorwurfs erwehren, sein Parteifreund Maaßen verbreite antisemitisches Gedankengut. Wegen der deutschen Geschichte ist das an Brisanz kaum zu überbieten.
Laschet gelingt es, den für ihn überraschenden Angriff der Klimaaktivistin Luisa Neubauer abzufangen. Wenn Maaßen so etwas tue, sei das ein Grund für den Parteiausschluss, entgegnete Laschet. „Es gibt nichts, wo ich so rigoros werde wie bei Antisemitismus“, erklärte der CDU-Vorsitzende energisch. Seitdem tobt in den sozialen Netzwerken im Internet der Streit, ob Maaßen antisemitische Texte verbreitet. Es finden sich einige Fundstücke und von ihm verwendete Begriffe, die darauf hindeuten, aber es gibt auch Verteidiger, die den VorNeubauers für ungeheuerlich halten. Der ehemalige Geheimdienstchef widerspricht deutlich.
Für Laschet ist die Aufregung um Maaßen ein Brandherd, der ihn Kräfte kostet. Anders als Baerbock muss er sich nicht nur mit dem Problem-Kandidaten und steil fallenden Umfragewerten herumschlagen, sondern auch mit dem ihm im Machtkampf unterlegenen CSUChef Markus Söder. Der hat seine Niederlage noch nicht weggesteckt. In Appellen zur Geschlossenheit aus München finden sich kaum verborgene Giftpfeile. Manchmal wird auch offen geholzt, wie es für Söder jüngst CSU-General Markus Blume übernahm. „Die große Enttäuschung über den Ausgang der Personalentscheidung spiegelt sich in den Umfragen wider“, sagte Blume.
Neben Söder muss Laschet stets damit rechnen, dass ein zweites großes Ego für Schlagzeilen sorgt. Auch Friedrich Merz war ihm unterlegen – nicht im Rennen um die Kanzlerkandidatur, sondern um den Parteivorsitz. Mittlerweile ist der Unterlegene Teil von Laschets Wahlkampfteam, aber von seiner Persönlichkeit her fällt es Merz äußerst schwer, sich brav einzuordnen. Während gegen Palmer ein Parteiausschlussverfahren wegen seiner umstritteGeltungsdranges. nen Äußerung eingeleitet ist, wird Laschet in den kommenden Monaten immer wieder die Frage beantworten müssen, warum er jemanden wie Maaßen in der Partei duldet.
Die Krux daran ist, dass das lange dauern kann und automatisch für einen neuen Skandal sorgt. Das beste Beispiel dafür ist Thilo Sarrazin, jahrzehntelanges Mitglied der SPD. Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbanker machte mit seinen Thesen zur Finanz-, Sozialund Zuwanderungspolitik immer wieder von sich reden. In seinem umstrittenen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“wetterte er gegen Zuwanderung aus überwiegend islamisch geprägten Ländern. Nach einem Interview, in dem er großen Teilen der arabischen und türkischen Einwanderer Fähigkeit und Willen zur Integration absprach, wollte die SPD Sarrazin endgültig loswerden. Doch ein erstes Parteiordnungsverfahren scheiterte 2010 genauso wie ein zweites im Jahr darauf. Nach der Veröffentlichung des Werks „Feindliche Übernahme – wie der Islam den Fortschritt behinwurf dert und die Gesellschaft bedroht“strengte der SPD-Parteivorstand 2018 ein weiteres Parteiordnungsverfahren an. Nach heftigem Schlagabtausch vor den Parteiinstanzen wurde Sarrazin im Sommer 2020 aus der SPD ausgeschlossen.
Der Parteienrechtler Martin Morlok hält das Verfahren der Grünen gegen Palmer für einen doppelten Fehler – sowohl taktisch als auch juristisch. „Palmer ist seine eigene Marke. Durch das Verfahren machen sie es zur Sache der Grünen“, sagte der emeritierte Professor von der Universität Düsseldorf unserer Redaktion. Auch rechtlich sieht Morlok das Verfahren auf schwachem Grund. Palmer habe sich erstens auf seinem privaten FacebookProfil geäußert und zweitens eine vulgäre und rassistische Aussage über den Fußballer Dennis Aogo bewusst überspitzt. „Er wollte den übertriebenen Anti-Rassismus seiner Partei ad absurdum führen“, meinte Morlok. Das sei kein vorsätzlicher Rassismus.
Boris Palmer selbst will sich dem Verfahren stellen und dem „um sich greifenden Jakobinertum“entgegentreten. „Und sei es der letzte Dienst, den ich meiner Partei tun kann.“Baerbock wird Palmer so schnell nicht los.
Thilo Sarrazin beschäftigte die SPD über viele Jahre