Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Unruhestif­ter

Boris Palmer bei den Grünen, Hans-Georg Maaßen bei der CDU – zwei Männer bringen die jeweiligen Kanzlerkan­didaten beider Parteien in Bedrängnis. Der Blick auf die SPD lehrt, dass schneller Friede nicht in Sicht ist

- VON CHRISTIAN GRIMM UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es ist der erste schwarze Fleck auf der bislang makellosen Wahlkampag­ne der Grünen. Die Causa Boris Palmer zwingt Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock unnötig Ärger auf. Für Baerbock ist Palmer wie eine ungesicher­te Pistole. Immer wieder kann sie losgehen und Schaden anrichten. Deshalb will sie ihn aus der Partei werfen lassen. Es ist ihre erste Prüfung als Kanzlerkan­didatin – jetzt muss sich zeigen, ob sie führen kann.

Für Baerbocks politische Gegner ist der Umgang mit der Personalie eine willkommen­e Gelegenhei­t, die Grünen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Denn die Partei und ihre Unterstütz­er legen höchste moralische Maßstäbe an die Konkurrenz an und müssen jetzt zeigen, ob diese Maßstäbe auch für sie selbst gelten. Der Tübinger Bürgermeis­ter Palmer erzielt deshalb eine derart wuchtige Wirkung, weil er sich seit Jahren konträr zu Grundüberz­eugungen der Grünen stellt – sei es zu Flüchtling­en, Corona oder jetzt zum Anti-Rassismus. Genau wie Baerbock kämpft auch ihr schärfster Widersache­r im Rennen um das Kanzleramt mit einem Mann des großen Armin Laschets Palmer heißt Hans-Georg Maaßen. Der ehemalige Chef des Verfassung­sschutzes will im Thüringer Wald ein Bundestags­mandat erringen. Der 58-Jährige steht in seiner CDU weit rechts. Ihm wird unterstell­t, ein Bündnis mit der AfD gutzuheiße­n. Nun bescherte er seinem Kanzlerkan­didaten am Sonntagabe­nd zur guten Sendezeit ein gefährlich­es Scharmütze­l. Laschet musste sich in der Talkrunde bei Gastgeberi­n Anne Will des Vorwurfs erwehren, sein Parteifreu­nd Maaßen verbreite antisemiti­sches Gedankengu­t. Wegen der deutschen Geschichte ist das an Brisanz kaum zu überbieten.

Laschet gelingt es, den für ihn überrasche­nden Angriff der Klimaaktiv­istin Luisa Neubauer abzufangen. Wenn Maaßen so etwas tue, sei das ein Grund für den Parteiauss­chluss, entgegnete Laschet. „Es gibt nichts, wo ich so rigoros werde wie bei Antisemiti­smus“, erklärte der CDU-Vorsitzend­e energisch. Seitdem tobt in den sozialen Netzwerken im Internet der Streit, ob Maaßen antisemiti­sche Texte verbreitet. Es finden sich einige Fundstücke und von ihm verwendete Begriffe, die darauf hindeuten, aber es gibt auch Verteidige­r, die den VorNeubaue­rs für ungeheuerl­ich halten. Der ehemalige Geheimdien­stchef widerspric­ht deutlich.

Für Laschet ist die Aufregung um Maaßen ein Brandherd, der ihn Kräfte kostet. Anders als Baerbock muss er sich nicht nur mit dem Problem-Kandidaten und steil fallenden Umfragewer­ten herumschla­gen, sondern auch mit dem ihm im Machtkampf unterlegen­en CSUChef Markus Söder. Der hat seine Niederlage noch nicht weggesteck­t. In Appellen zur Geschlosse­nheit aus München finden sich kaum verborgene Giftpfeile. Manchmal wird auch offen geholzt, wie es für Söder jüngst CSU-General Markus Blume übernahm. „Die große Enttäuschu­ng über den Ausgang der Personalen­tscheidung spiegelt sich in den Umfragen wider“, sagte Blume.

Neben Söder muss Laschet stets damit rechnen, dass ein zweites großes Ego für Schlagzeil­en sorgt. Auch Friedrich Merz war ihm unterlegen – nicht im Rennen um die Kanzlerkan­didatur, sondern um den Parteivors­itz. Mittlerwei­le ist der Unterlegen­e Teil von Laschets Wahlkampft­eam, aber von seiner Persönlich­keit her fällt es Merz äußerst schwer, sich brav einzuordne­n. Während gegen Palmer ein Parteiauss­chlussverf­ahren wegen seiner umstritteG­eltungsdra­nges. nen Äußerung eingeleite­t ist, wird Laschet in den kommenden Monaten immer wieder die Frage beantworte­n müssen, warum er jemanden wie Maaßen in der Partei duldet.

Die Krux daran ist, dass das lange dauern kann und automatisc­h für einen neuen Skandal sorgt. Das beste Beispiel dafür ist Thilo Sarrazin, jahrzehnte­langes Mitglied der SPD. Der ehemalige Berliner Finanzsena­tor und Bundesbank­er machte mit seinen Thesen zur Finanz-, Sozialund Zuwanderun­gspolitik immer wieder von sich reden. In seinem umstritten­en Bestseller „Deutschlan­d schafft sich ab“wetterte er gegen Zuwanderun­g aus überwiegen­d islamisch geprägten Ländern. Nach einem Interview, in dem er großen Teilen der arabischen und türkischen Einwandere­r Fähigkeit und Willen zur Integratio­n absprach, wollte die SPD Sarrazin endgültig loswerden. Doch ein erstes Parteiordn­ungsverfah­ren scheiterte 2010 genauso wie ein zweites im Jahr darauf. Nach der Veröffentl­ichung des Werks „Feindliche Übernahme – wie der Islam den Fortschrit­t behinwurf dert und die Gesellscha­ft bedroht“strengte der SPD-Parteivors­tand 2018 ein weiteres Parteiordn­ungsverfah­ren an. Nach heftigem Schlagabta­usch vor den Parteiinst­anzen wurde Sarrazin im Sommer 2020 aus der SPD ausgeschlo­ssen.

Der Parteienre­chtler Martin Morlok hält das Verfahren der Grünen gegen Palmer für einen doppelten Fehler – sowohl taktisch als auch juristisch. „Palmer ist seine eigene Marke. Durch das Verfahren machen sie es zur Sache der Grünen“, sagte der emeritiert­e Professor von der Universitä­t Düsseldorf unserer Redaktion. Auch rechtlich sieht Morlok das Verfahren auf schwachem Grund. Palmer habe sich erstens auf seinem privaten FacebookPr­ofil geäußert und zweitens eine vulgäre und rassistisc­he Aussage über den Fußballer Dennis Aogo bewusst überspitzt. „Er wollte den übertriebe­nen Anti-Rassismus seiner Partei ad absurdum führen“, meinte Morlok. Das sei kein vorsätzlic­her Rassismus.

Boris Palmer selbst will sich dem Verfahren stellen und dem „um sich greifenden Jakobinert­um“entgegentr­eten. „Und sei es der letzte Dienst, den ich meiner Partei tun kann.“Baerbock wird Palmer so schnell nicht los.

Thilo Sarrazin beschäftig­te die SPD über viele Jahre

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Boris Palmer und Hans‰Georg Maaßen haben viele Anhänger ihrer eigenen Parteien vergrätzt.
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Fotos: dpa

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