Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Deutschlan­d in Russlands Visier

EU-Außenminis­ter hören Chodorkows­ki

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der „Kronzeuge“, der zu den europäisch-russischen Beziehunge­n Tacheles redete, saß nicht im Kreis der EU-Außenminis­ter: Michail Chodorkows­ki, einst einflussre­icher Oligarch, der sich später gegen Präsident Wladimir Putin wendete und 2005 in einem Schauproze­ss zu einer hohen Gefängniss­trafe verurteilt wurde. Er lebt heute in London und gebraucht keine diplomatis­chen Floskeln mehr. „Was der Kreml in Richtung Europa tut, läuft auf eine neue Phase des Kalten Krieges hinaus“, sagte er am Montag bei einer Anhörung des Komitees für ausländisc­he Einmischun­g in die demokratis­chen Prozesse der EU, ein Sonderauss­chuss des Europäisch­en Parlamente­s. Sein Fazit: „Vor allem Deutschlan­d steht im Visier der russischen Attacken.“

Ganz so deutlich wollten die Außenminis­ter der Gemeinscha­ft nicht werden. „Wir sind zum Dialog bereit und es wäre an der Zeit, dass auch Moskau zurückkehr­t zum Dialog“, wählte Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) eher zurückhalt­ende Worte. Allerdings werden in der EU russische Pläne für eine Liste „unfreundli­cher ausländisc­her Staaten“mit großer Besorgnis gesehen. Über sie sollen Einschränk­ungen für diplomatis­che Vertretung­en erlassen werden können. Die jüngsten Vorfälle legen den Schluss nahe, dass die EU dazu gehören dürfte.

Doch warum wurde ausgerechn­et Deutschlan­d von der russischen Führung als Ziel für Hackerangr­iffe und Desinforma­tionskampa­gnen gewählt? Maas erzählte einmal, er habe seinem russischen Amtskolleg­en immer wieder gesagt, dass er regelmäßig Prügel für das konsequent­e Festhalten Deutschlan­ds an der Erdgaspipe­line Nord Stream 2 beziehe, man aber trotzdem dazu stehe, was Moskau doch bitteschön endlich mal registrier­en solle.

In Brüssel geht man davon aus, dass der Kreml die stärkste Volkswirts­chaft der EU angesichts der bevorstehe­nden Bundestags­wahl beeinfluss­en wolle. Das entspricht den Erkenntnis­sen der Task-Force „Desinforma­tion“des Europäisch­en Auswärtige­n Dienstes. Seit Ende 2015 hat sie über 700 einschlägi­ge Fälle der versuchten Einflussna­hme gesammelt, die sich gegen Deutschlan­d richten.

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