Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Deutschlands mächtigste Frau in der Wirtschaft
Die Spanierin Belén Garijo ist neue Chefin des Pharmaherstellers Merck – und damit die erste Frau, die allein an der Spitze eines Dax-Konzerns steht. Was sie auszeichnet und wie sie zur Frauenquote steht
Als Belén Garijo 17 Jahre alt war, landete ihr Foto auf dem Titel einer spanischen Tageszeitung. Das Bild zeigte den damaligen Gesundheitsminister in Madrid umringt von protestierenden Studenten – eine der Demonstrantinnen war Garijo. Die Regierung hatte den Numerus Clausus für das Medizinstudium verschärft, Garijos Notenschnitt reichte von einem Tag auf den anderen nicht mehr aus. Zwei Monate lang campierte die Spanierin gemeinsam mit anderen jungen Menschen auf dem Gelände der Universität – so lange, bis die Zugangsbeschränkungen schlussendlich gelockert wurden. Garijo studierte Medizin, wurde später Ärztin.
„Ich bin eine Kämpferin“, hat die 60 Jahre alte Managerin gerade im Stern-Podcast „Die Boss“über sich gesagt. „Ein Nein akzeptiere ich sehr selten.“Mit dieser Einstellung hat Garijo es weit gebracht: Seit diesem Monat ist sie die Chefin des Darmstädter Pharma-Konzerns Merck – und damit die erste Frau, die seit der Einführung des Deutschen Aktienindex im Jahr 1988 allein an der Spitze eines Dax-Unternehmens steht. Bisher hatte lediglich der Software-Konzern SAP mit Morgan eine Co-Chefin – die Amerikanerin trat allerdings im April 2020 nach nur sechs Monaten wieder ab.
Die Managerin macht durch ihren Aufstieg nun den Schritt ins Rampenlicht. Zwar war sie mit einem Jahresverdienst von 6,3 Millionen Euro auch schon eine der TopVerdienerinnen und die bestbezahlte Frau im Dax, ihr Name war allerdings höchstens in Fachkreisen ein Begriff. Im Podcast-Interview verrät Garijo, dass ihr die neue Bekanntheit nicht ganz geheuer sei. Der Wirbel habe sie erschreckt. Sie wolle vor allem als gute Managerin wahrgenommen werden – nicht als die erste Frau, die diesen Job macht. „Natürlich teile ich auch gerne meine Sicht auf Inklusion. Aber ich will nicht, dass das das einzige Gesprächsthema ist.“
Dazu passt der zumindest nach außen hin geräuschlose Aufstieg, den die Spanierin gemacht hat. Sechs Jahre lang praktizierte sie nach ihrem Studium als Ärztin in Madrid, bevor sie in die PharmaBranche wechselte und 20 Jahre lang im Top-Management verschiedener Konzerne arbeitete. 2011 holte ihr Vorgänger Stefan Oschmann sie nach Darmstadt zu Merck. Im Jahr 2015 übernahm Garijo die Leitung der Pharmasparte, des größten und wichtigsten Bereichs im Konzern. 2020 wurde die Managerin dann Vize-Chefin des Traditionsunternehmens. In ihrer neuen Position ist sie nun für knapp 58000 Mitarbeiter weltweit verantwortlich, etwa 13 000 davon in Deutschland.
Garijo gilt als durchsetzungsstark und hartnäckig. Bei Merck strukturierte sie schwächelnde Geschäftsbereiche um und organisierte Forschung und Entwicklung im UnterJennifer nehmen neu. Über sich selbst sagt die Spitzenmanagerin, sie sei in der Lage, harte Entscheidungen zu treffen. Das sei besser, als aus Angst vor Fehlern gar nichts zu entscheiden.
Hart ist auch Garijos Haltung in der Frage, ob Frauen mit Hilfe einer Quote in Führungspositionen aufrücken sollten. „Ich bin gegen jede Art der Diskriminierung in Unternehmen“, betont sie. „Auch gegen positive Diskriminierung.“Stattdessen verweist die Managerin, die Mutter zweier erwachsener Töchter ist, auf die Strukturen und die Kultur in einem Unternehmen. In einem Konzern, in dem Vielfalt und Inklusion nicht gelebt würden, hätte ihrer Meinung nach auch eine Quote keine durchschlagende Wirkung.
Bei Merck liegt der Frauenanteil in Führungspositionen aktuell bei 35 Prozent – und damit deutlich höher als in anderen Dax-Konzernen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehe ganz oben auf ihrer Agenda als Chefin, sagt Garijo, die mit einem Chirurgen verheiratet ist. „Wenn ich mit jungen Frauen spreche, dann treiben sie oft die gleichen Sorgen um, die schon mich als junge Frau beschäftigt haben“, erzählt sie.
Garijo will deshalb daran arbeiten, Hürden aus dem Weg zu räumen, die ihr den Karriereweg erschwert haben. Sie selbst habe etwa sehr oft umziehen müssen – was für die Familie sehr belastend gewesen sei. In einer Zeit, in der das mobile Arbeiten zum Alltag gehört, überlege sie deshalb ganz genau, ob Führungskräfte für eine neue Position wirklich den Ort wechseln müssen. Immer wieder in neuen Städten anzufangen, ihre Kinder häufig lange nicht zu sehen – das habe ihr oft weh getan, sagt Garijo. „Die Flexibilität, wie wir sie heute haben, hätte mein Leben verändert.“