Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zu Hause ist es am gefährlichsten
In Österreich werden jährlich mehr Frauen als Männer ermordet. Das Land ist damit trauriger Spitzenreiter in Europa. Doch erst jetzt gibt es eine Debatte über „Femizide“
Wien Eine „Beziehungstat“, ein „Beziehungsdrama“oder eine „Familientragödie“. Solche und andere Schlagzeilen, die in österreichischen Medien nur allzu oft zu lesen sind, sind verharmlosend, ja irreführend: Denn in Wirklichkeit geht es um Morde an Frauen, um „Femizide“.
In Österreich machen Experten, Nichtregierungsorganisationen und Feministinnen seit geraumer Zeit auf die große strukturelle Gefahr, die für viele Frauen von Partnern oder Ex-Partnern ausgeht, aufmerksam – ohne dass ihnen viel Gehör geschenkt worden wäre. Elf Frauen mussten seit Jahresbeginn in Österreich sterben, weil sie Frauen sind. Das macht das Land zu einem traurigen Spitzenreiter: In keinem anderen EU-Land werden mehr Frauen als Männer ermordet.
Von 2014 bis 2019 erhöhte sich die Zahl der jährlich ermordeten Frauen von 19 auf 39, doch erst die Fälle der letzten Wochen und Monate haben dazu geführt, dass in Österreich intensiv über Femizide und häusliche Gewalt geredet wird. Für große Aufmerksamkeit sorgte vor allem der Fall jenes Wiener „Bierwirts“, der monatelang mit der Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer wegen einer sexistischen FacebookNachricht prozessierte – und der mutmaßlich am 29. April seine ExLebensgefährtin erschoss.
Nun beginnt die Politik sich zu bewegen. Dringend notwendig sei das, darin sind sich vor allem die Vertreter von Opferschutzeinrichtungen einig. Denn in den meisten Fällen geht dem Mord an der Partnerin oder der Ex-Partnerin eine gewalttätige Vorgeschichte voraus.
Mehr als 6000 Fälle jährlich bearbeitet beispielsweise die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Da bleibe kaum Zeit, um sich der einzelnen Betroffenen ausreichend widmen zu können, sagte deren Leiterin, Rosa Logar, der Kleinen Zeitung. In Spitzenzeiten kämen auf eine ihrer Mitarbeiterinnen bis zu 300 Fälle gleichzeitig. Für eine einzelne von Gewalt Betroffene bleibe kaum mehr als fünf Stunden Beratungszeit – egal, wie dringlich die Situation ist. Logar fordert eine Verdoppelung der Betreuungsstunden und ist damit nicht allein.
Eine derartige Überlastung verunmögliche es Opferschutzeinrichtungen, Frauen bei dem meist äußerst schwierigen, gefährlichen und langwierigen Loslösungsprozess aus einer Gewaltbeziehung zu unterstützen, lautet der Tenor der Opferschützer. Im Bereich der sogenannten Täterarbeit hingegen, das wurde Anfang Mai von der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen beschlossen, wurde die Beratungszeit auf sechs Stunden festgelegt. Unbestritten ist, dass auch im Täter-Bereich etwas geschehen muss.
Das Thema ist vielschichtig. Und die aktuelle Debatte über Femizide führt der Öffentlichkeit vor allem vor Augen, dass seitens der Politik nicht nur recht spät und zu zögerlich auf die Entwicklungen reagiert wurde, sondern teils sogar der Rückwärtsgang eingelegt wurde – auch wenn der Gewaltschutz aus rein juristischer Perspektive in Österreich eigentlich als recht fortschrittlich gilt.
So schaffte die 2017 unter Sebastian Kurz gebildete Regierung aus ÖVP und FPÖ die sogenannten Fallkonferenzen ab, in denen die Polizei mit Opferschutzorganisationen Hochrisikofälle erörtert hatte. Deren Ziel war es, Gewalttaten durch Informationsaustausch zu verhindern und eine Einschätzung des Gewaltpotenzials möglicher künftiger Täter treffen zu können. Die amtierende türkis-grüne Regierung führte die Fallkonferenzen wieder ein.
Als 2018 die Femizid-Fälle zunahmen, veranlasste das den damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, eine „Screening-Gruppe“zu installieren. Das Ergebnis passte nicht so recht ins politische Konzept von Kickl, der das Problem gerne an Tätern mit Migrationshintergrund festzumachen versuchte: Dass „tendenziell fremdländische Täter inländische weibliche Opfer“suchen würden, gehe aus der Untersuchung nicht hervor, sagte der damalige Direktor des Bundeskriminalamts, Franz Lang. Auch nun wird – auch von konservativer Seite – nicht selten der „kulturelle Hintergrund“von Tätern in den Fokus gerückt. Experten aber weisen darauf hin, dass einheimische Täter und solche mit Migrationshintergrund dieselben Einstellungsmuster aufwiesen.
In einem nun eilig von der Regierung zusammengestellten neuen Gewaltschutzpaket wird nicht nur die Täterarbeit gestärkt, sondern der Fokus auch auf die Exekutive gelegt. So soll es mehr „Präventionsbeamte“geben, die als Ansprechpartner für betroffene Frauen fungieren. Rund 800 solcher speziell geschulter Beamte gibt es aktuell in Österreich, in Wien 84 und nur die Hälfte davon sind Frauen, berichtete der Standard. Künftig soll es so einen Beamten in jeder Polizeiinspektion geben.
Auch die Motivforschung nach einschlägigen Gewalttaten wird eingeführt. Ansonsten besteht das Paket vor allem aus Ankündigungen, bereits vorhandene Maßnahmen zu intensivieren – und erst nach öffentlichem Druck von Nichtregierungsorganisationen und Opferschutzeinrichtungen sagte auch Kanzler Kurz mehr Geld für Gewaltprävention zu. Zum Runden Tisch, der auf die Verkündigung der neuen Maßnahmen folgte, waren Opferschutzeinrichtungen übrigens nicht eingeladen.