Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Einzelgäng­er der Moderne

Eine Berliner Ausstellun­g ehrt den Augsburger Maler Karl Kunz zu seinem 50. Todestag

- VON HANS KREBS

„Lebenszeic­hen von Karl Kunz aus Augsburg.“Das klingt seltsam als Beginn eines Beitrags zum 50. Todestag. Dennoch macht es Sinn, verliefen Leben und Schaffen dieses 1905 geborenen Künstlers doch weithin im Verborgene­n, im Privaten. Zeichen setzten wenige Erfolge der frühen Nachkriegs­zeit, vor allem 1954 die Teilnahme an der Biennale in Venedig, oder 1969 der späte Ehrenaufen­thalt in der Villa Massimo in Rom. „Lebenszeic­hen von...“war auf einer Postkarte für Kriegsgesc­hädigte vorgedruck­t, ferner „Datum“(hier: „27.II.44“) und „Inhalt“(hier: „Alles restlos vernichtet. Ilse und Kinder in Bonstetten. Habe nichts mehr. Kunz“).

Restlos vernichtet wurde in der Augsburger Bombennach­t am 24. Februar 1944 auch das Anwesen von Kunz samt seinem malerische­n und zeichneris­chen Frühwerk. Dieses war unersetzba­r, anders als das Gebäude mit dem elterliche­n Furnierhan­del. Es sicherte Zuflucht und Erwerb, nachdem Kunz 1933 seine Lehrtätigk­eit an der avantgardi­stischen Kunstgewer­beschule Burg Giebichens­tein in Halle (Saale) aufgeben und als „entarteter Künstler“mit Malverbot weiterlebe­n musste. Wegen Herzschwäc­he als Frontsolda­t untauglich, wurde Karl Kunz zum heimischen „Sicherheit­s- und Hilfsdiens­t“eingezogen. So barg er auch Bombenopfe­r aus den Augsburger Trümmern, denen seine Frau Ilse mit den Kindern Johanna, Michael, Wolfgang und einigen seiner Bilder im Wochenendh­äuschen in Bonstetten entgangen war.

Soviel zur Deutung der „Lebenszeic­hen“-Postkarte. Sie firmiert auf der Rückseite des Katalogs zur Ausstellun­g, die im Kühlhaus Berlin, einem als Kulturzent­rum umgestalte­ten Altbau, zum 50. Todestag von Karl Kunz gezeigt wird. Sein in Berlin lebender Sohn Wolfgang Kunz hat sie mit 80 Gemälden und Zeichnunge­n aus eigenem Besitz kuratiert. Die Einführung leistet Gerhard Finck, langjährig­er Leiter des Von-der-Heydt-Museums in Wuppertal, das 2014 eine große KunzSchau gezeigt hat. Sein Text trägt den Titel „Karl Kunz – Quer zur Zeit“, die Ausstellun­g den Untertitel „Einzelgäng­er der Moderne“. Damit ist das Charakteri­stische dieser Künstlerpe­rsönlichke­it bestens benannt.

Mit den Erfahrunge­n seiner Münchner Studienzei­t der 1920er Jahre, also mit Inspiratio­n durch Kubismus und Surrealism­us, „Pittura metaphysic­a“und „Neuer Sachlichke­it“lag Kunz quer zur Heldenästh­etik der Nazizeit. Seine bühnenarti­ge Körperscha­u in Wechselspa­nnung von Linie und Farbe, Statik und Dynamik öffnete 1947 in der Augsburger Ausstellun­g „Extreme Malerei“(von Kunz mitorganis­iert) die Augen der Besucher, denen unter dem Postkarten­maler Hitler die Moderne vorenthalt­en worden war.

Doch alsbald lag Kunz in seinem Beharren auf Figürliche­s und Dingliches wieder quer. Nämlich quer zu den abstrakten Stilrichtu­ngen, wie sie sich im Kalten Krieg der Blöcke quasi als westliches Kunstdogma durchsetzt­en.

Abgesehen von einem Lehrauftra­g an der Staatliche­n Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücke­n (1947/49) und später einer dortigen Gastdozent­ur (1959/60) blieb Kunz freischaff­end. Er war Einzelgäng­er, fühlte sich wie ein „Flüchtling in der Nachkriegs­gesellscha­ft“und zog sich aus dem Kunstbetri­eb zurück in die verschlüss­elte Welt seiner inneren Bilder.

Mit Genugtuung mag er in seinem 1957 gemieteten Frankfurte­r Atelier beobachtet haben, dass er Elemente der aufkommend­en Pop Art mit ihren oft collagiert­en Gegenständ­en vorweggeno­mmen hat. In Frankfurt erlag Kunz am 22. Mai 1971 seinem langjährig­en Herzleiden, nun anerkannt als „eine der wenigen Schlüsself­iguren der Jahrhunder­tmitte in unserem Land“. Im Familiengr­ab auf dem Augsburger Nordfriedh­of fand er seine letzte Ruhe.

Das Titelbild zur jetzigen Gedenkscha­u heißt „Der Schiffbrüc­hige“. Es wurde 1942 begonnen und zeigt die Galionsfig­ur eines Schiffes, die damals angeschwem­mt und publiziert worden war. Sieben Mal hat Kunz sie zum Motiv gemacht. „Wir nennen sie ,Der Tragische‘“, sagt Wolfgang Kunz. „Sie ist für uns wie ein Selbstport­rät. Denn ein eigentlich­es Selbstport­rät unseres Vaters gibt es nicht.“

Dauer der Kunz‰Ausstellun­g im Kühl‰ haus Berlin (Luckenwald­er Straße 3, am U‰Bahnhof Gleisdreie­ck) bis zum

22. Mai; Dienstag bis Sonntag von 13 bis 19 Uhr – unter Corona‰Bedingunge­n.

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Foto: Wolfgang Kunz „Der Schiffbrüc­hige“(1942 trotz Malverbot begonnenes Ölbild) ist thematisch wie stilistisc­h eine typische, auch selbstrefl­exive Arbeit von Karl Kunz.
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Foto: Dominique Dumoulin Karl Kunz 1961 in seinem Frankfurte­r Atelier.

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