Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie sich Matthias Mark zurück ins Leben kämpft

Leukämie 19 Tabletten täglich und bloß keine Kartoffeln schälen: Nach einer erfolgreic­hen Stammzelle­n-Transplant­ation liegt vor dem Meitinger Rechtsanwa­lt noch ein weiter Weg zurück in ein normales Leben

- VON DIANA ZAPF‰DENIZ

Meitingen „Von der Knochenmar­kspunktion kam gerade das Ergebnis. Die Stammzelle­n sind nur die Zellen vom Spender, also keine eigenen mehr. Die gespendete­n Zellen sind bei mir angewachse­n und arbeiten. Das ist eine ganz positive und erfreulich­e Nachricht“, berichtet der Meitinger Marktgemei­nderat Matthias Mark freudig. Endlich ist er nach vielen Wochen und Monaten wieder zu Hause im Kreise seiner Liebsten, nämlich Ehefrau Tanja und Sohn Sebastian.

Anfang des Jahres erkrankte Mark an der akuten myeloische­n Leukämie (AML). Sowohl die DKMS als auch die AKB (Aktion Knochenmar­kspende Bayern) halfen ihm, einen passenden Stammzelle­nspender zu finden. Doch auch nach der geglückten Transplant­ation ist noch lange nicht alles überstande­n.

100 Tage lang ab Transplant­ation werde sein Immunsyste­m mit Medikament­en unterdrück­t. „Ich nehme 19 Tabletten täglich ein – gegen Viren, Bakterien, Pilze und für den Blutdruck, weil ein hoher Blutdruck eine Nebenwirku­ng der Therapie ist.“Insgesamt hat Matthias Mark vier Chemothera­pien hinter sich. „Die stärkste Chemo war direkt vor der Transplant­ation. Da habe ich meine Haare komplett verloren“, erzählt er offen und vergleicht sein Immunsyste­m dabei mit einem Computer. „Meine Festplatte wurde platt gemacht. Das neue Betriebssy­stem ist aufgespiel­t. Jetzt fehlt mir nur noch der Virenscann­er für das Internet. Denn ich bin im Moment nicht gegen Viren draußen im Leben geschützt.“

8,5 Millionen Stammzelle­n wurden in einem kleinen Beutel in seinen Blutkreisl­auf eingeschle­ust und mussten in sein Knochenmar­k wandern. „Davon bekomme ich oft Gelenkund Knochensch­merzen.“Mark hat sich intensiv mit seiner Krankheit und deren Heilung auseinande­rgesetzt und kennt inzwischen viele Details. „Ich bekam sogar Antikörper von Kaninchen, da diese die eigenen Abwehrzell­en zerstören“, erklärt er fasziniert.

Durch die neuen Stammzelle­n ist vieles in seinem Körper anders als zuvor. Es wird die Blutgruppe des Spenders übernommen und der

Impfschutz, den er im Laufe seines Lebens erhielt, ist komplett weg. „Ich brauche Jahre, bis ich wieder den Impfschutz habe, den ich vor dem Eingriff hatte.“Die erste Impfung wird, so Mark, die gegen Pneumokokk­en sein und dann gleich die Covid-19 Impfung. „Als Kind hatte ich Mumps und Windpocken, aber die Antikörper sind weg.“Viel darf er über seinen Spender nicht wissen. „Mir wurde nur gesagt, dass er jünger ist und ich jetzt also verjüngt bin“, erzählt der 48-Jährige mit einem Lachen.

Damit Matthias Mark zu Hause sein kann, mussten sämtliche Gesundheit­srisiken aus dem Weg geräumt werden. „Bevor mein Mann nach Hause kam, mussten alle Vorhänge und Teppiche weg, die Pflanzen raus, Matratzen und Couch desinfizie­rt, Kissen, Decken, Badteppich gewaschen werden, ein neuer Duschkopf gekauft werden und und und“, erzählt Tanja Mark. Beim Kochen muss die Familie auf unglaublic­h viele Sachen achten. „Matthias darf keine Kartoffeln schälen, wegen der Erde, keine Zwiebeln schälen, wegen der Schimmelpi­lze, darf keinen Müll runterbrin­gen, geschweige denn eine Mülltonne anfassen – ganz geWenn in einem Zimmer gesaugt wird, müsse er in ein anderes, da zu viel Staub in der Luft aufgewirbe­lt wird. Brot oder Brezen vom Bäcker holen gehe nicht, denn sobald die Ware ausgekühlt sei, sammeln sich Bakterien darauf. Eis essen gehen – keine Chance. „Alles, was ich anfange zu essen, muss ich innerhalb 24 Stunden aufessen. Das gilt auch für Marmelade, Butter oder Frischkäse. Nudeln vom Vortag darf ich nicht verzehren“, zählt der Patient auf.

Deshalb portionier­t seine Frau vieles und gefriert es ein. Auch die Körperhygi­ene muss neu gedacht werden. „Die körpereige­nen Bakterien sind besonders gefährlich. Daher ist Baden in der Badewanne nicht möglich.“Wasser ist für den Meitinger die nächsten Wochen und Monate noch „igitt“, da Wasser aus der Leitung, in Seen und im Schwimmbad für ihn noch große Keimschleu­dern sind. „Mein Immunsyste­m darf sich erst ab September so nach und nach wieder entwickeln.“Auch ein frischer Salat aus dem Garten, Erdbeeren oder Kirschen, gehen gar nicht, denn diese müsste man ja mit Wasser abwaschen. Essen annehmen darf er ebenfalls nicht. Zudem muss er die

Sonne meiden, da bei seiner Haut die natürliche Abwehr, der Zellschutz, weg ist. „Wo es so heiß war, habe ich nicht geschwitzt. Die Hitze habe ich gar nicht gemerkt. Im Gegenteil, ich laufe nur langärmlig herum, weil mir oft kalt ist.“Doch sein Körper habe sehr wohl reagiert, indem er sehr müde war. Mehr als zwei Stunden körperlich­e oder geistige Arbeit kann Mark nicht leisten. „Mein Körper verbraucht die ganze Energie intern und arbeitet auf Hochleistu­ng.“Sein Sohn Sebastian freut sich natürlich sehr, dass sein Papa wieder daheim ist. Doch auch er verzichtet darauf, Freunde privat zu treffen ebenso wie auf den Präsenzunt­erricht. Er nimmt – wie bisher schon – öfter durch einen Roboter von zu Hause aus am Unterricht teil.

Seit dem 1. Juli ist nun auch die Kanzlei von Rechtsanwa­lt Matthias Mark verkauft. „Es war Glück, dass das mit dem Verkauf so schnell ging und Frank Lehnert die Kanzlei nun übernommen hat“, freut sich das Ehepaar. „Nun haben wir die ersten Tage in Freiheit und jetzt beginnt das neue Leben. Der ganze Stress ist jetzt erst einmal weg“, blicken sie zuversicht­lich in die Zukunft.

Einige Wochen und Monate müsfährlic­h.“ sen noch mit viel Disziplin durchgesta­nden werden. „Vielleicht möchte ich Vorträge halten und von meiner Erfahrung erzählen, dass man mit positivem Denken Krisen meistern kann. Auch die Unterstütz­ung der Meitinger war so toll und hat mir und meiner Familie viel Kraft gegeben“, sagt Mark gerührt und dankbar. Seine Ehefrau Tanja ergänzt: „Zu Beginn war so viel Angst und Hilflosigk­eit.

Doch ab da, wo alles ins Rollen kam, waren wir nicht mehr in so einer Starre wie davor.“Gerne würden sie zu dritt eine familienor­ientierte Reha machen. Denn die kräftezehr­enden Spuren der vergangene­n Monate sind allen anzusehen. Doch dieser Wunsch, alle gemeinsam in eine Einrichtun­g, sei gar nicht so einfach umzusetzen. „Das gibt es so in der Form irgendwie nicht und wir sind noch viel am Telefonier­en und Recherchie­ren“, schildern die Eheleute die Situation.

Mitten im Gespräch, das wegen der Ansteckung­sgefahr im Freien und mit Maske geführt wurde, kommen Tanja Mark die Tränen: „Es war echt knapp und kritisch. Denn bei AML ist man ohne Behandlung innerhalb weniger Wochen tot.“

 ?? Fotos: Diana Zapf‰Deniz ?? Nach Wochen und Monaten des Bangens ist die Familie Mark wieder glücklich vereint. Doch der Weg zurück ins Leben ist hart.
Fotos: Diana Zapf‰Deniz Nach Wochen und Monaten des Bangens ist die Familie Mark wieder glücklich vereint. Doch der Weg zurück ins Leben ist hart.

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