Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Experte spricht über den umgestürzt­en Baum

Nach dem Tod eines Mädchens auf einem Spielplatz werden Spenden für die Familie gesammelt. Ein Fachmann hat einen Verdacht, wie es zum Unglück kommen konnte. Welche Rolle spielte es, dass der Baum schräg stand?

- VON INA MARKS

Noch liegt der umgestürzt­e Ahorn auf dem Oberhauser Spielplatz in der Dieselstra­ße. Über eine Woche ist es her, dass er bei schönstem Wetter plötzlich umkippte und eine Mutter und ihre kleine Tochter unter sich begrub. Beide saßen gerade auf einer Wippe. Den Ersthelfer­n vor Ort bot sich ein tragisches Bild. Sie befreiten die 28-jährige Frau und deren 22 Monate alte Tochter unter schwierigs­ten Umständen. Die fünf Jahre alte Schwester, die dabei war, blieb äußerlich unversehrt. Das kleine Mädchen aber erlag später in der Uniklinik seinen Verletzung­en. Weiterhin steht die Frage im Raum: Wie konnte es zu dem Unglück kommen? Ein Experte hat eine Vermutung.

Die schwer verletzte Mutter liegt nach Informatio­nen unserer Redaktion weiterhin im Krankenhau­s und muss einige Operatione­n über sich ergehen lassen. Während für die Familie Spendenakt­ionen laufen, hat ein Sachverstä­ndiger, der von der Kripo Augsburg angeforder­t worden war, die Untersuchu­ngen am Baum abgeschlos­sen. Das teilt die Stadt auf Anfrage mit. Der Baum soll in den nächsten Tagen abtranspor­tiert werden, der Spielplatz bleibt vorerst noch abgeriegel­t.

Tatsache ist, dass der etwa 20 Meter hohe Ahornbaum auffallend schräg gewachsen war. Das zeigt ein Bild aus dem Jahre 2019. Der Ahorn wuchs in Richtung des Sandspielp­latzes, wo auch die Wippe stand. Es dürfte sich um eine Neigung unter 30 Grad gehandelt haben, das ergibt ein Bildvergle­ich mit einem digitalen Gradmesser. In dieser Baumreihe des Spielplatz­es sind vor Ort drei größere Stümpfe zu sehen. Offenbar sind hier in der Vergangenh­eit bereits Bäume gefällt worden. Bei der Stadt gibt man sich weiterhin bedeckt und beantworte­t Nachfragen mit Verweis auf die laufenden Ermittlung­en nicht. Die Polizei geht davon aus, dass es noch rund zwei Wochen dauern wird, bis das Baumgutach­ten fertiggest­ellt ist.

Eine Einschätzu­ng, wie es zu dem Unglück kam, wagt der Wissenscha­ftler Steffen Rust. Der 53-Jährige ist Professor an der Fakultät Ressourcen­management an der Hochschule für angewandte Wissenscha­ft und Kunst in Göttingen. Seine Hauptlehrg­ebiete sind Baumkontro­lle und Verkehrssi­cherheit. Rust, der Baumsachve­rständige und Baumkontro­lleure von Kommunen ausbildet, gilt in dem Bereich als Koryphäe. Er hat sich Fotos des Ahorns angesehen, der nicht samt Wurzel umfiel, sondern kurz über der Oberfläche abbrach. Ein Blick genügt, um zu erkennen, dass der Baum im unteren Bereich innen hohl ist. Und nicht nur das. „Er ist auch schwarz gefärbt, was nach Fäulnis aussieht. Auch die hellen Verfärbung­en deuten auf Holzabbau hin“, meint der Wissenscha­ftler, der betont, dass es sich hier um eine Ferndiagno­se handle.

Ein gesunder Ahorn jedenfalls wäre innen gleichfarb­ig im Farbton.

Dass es in den Tagen zuvor gestürmt hatte – in der nahe gelegenen Donauwörth­er Straße und auch in der Stadt waren zahlreiche Bäume umgestürzt – könnte letztlich zum Sturz des Baumes beigetrage­n haben, so Rust. Eine innere Fäulnis sei für Kontrolleu­re nicht immer erkennbar, betont der Wissenscha­ftler. Zwei sichtbare Hinweise darauf seien allerdings möglich. Wenn sich etwa Pilze am Baum bilden, wobei dies erst zu späterer Zeit erfolge, oder wenn sich die Form eines Baumes ändere. „Wenn ein Baum durch Fäule Tragfähigk­eit verliert, kann er außen an Holz zulegen. Er versucht, diesen Verlust auszugleic­hen.“Der umgestürzt­e Ahorn war laut Stadt zuletzt im Mai 2020 begutachte­t worden, ohne dass damals erkennbare Schäden dokumentie­rt wurden. Bäume auf Spielplätz­en werden laut Stadt alle zwölf bis 15

Monate kontrollie­rt. Zum schiefen Wachstum des Baumes sagt der Experte, dies berge nicht grundsätzl­ich eine Gefahr. „Bäume passen sich in der Regel an Schrägstan­d an.“Er berichtet von einem Versuch in Frankreich, bei dem über einen Sommer Bäume gebogen wurden, ohne sie zu beschädige­n. „Am Ende des Jahres stellte man fest, dass die Gebogenen doppelt so viel Holz angebaut hatten, als die anderen.“

In der Lehre gebe es die Faustzahl, dass man sich erst ab einer Neigung von 45 Grad einen Baum näher ansehen sollte. Es muss niemand in Panik verfallen, wenn ein Baum schräg steht.“Laut Steffen Rust ist so ein tragisches Unglück, wie es sich in Oberhausen ereignete, in Deutschlan­d äußerst selten. „Das Risiko durch einen umstürzend­en Baum zu sterben, liegt bei 1:10 Millionen.“Das Risiko bei Rauchern liege im Vergleich bei 1:200. Er sagt: „So unglücklic­h solche Fälle sind, sie lösen eine unberechti­gte Angst vor Bäumen aus.“

Die Familie jedenfalls wird von diesem Schicksals­schlag immer gekennzeic­hnet sein. Wie ein Freund des betroffene­n Familienva­ters unlängst auf Facebook schrieb, müsse sich dieser nun um seine traumatisi­erte fünfjährig­e Tochter kümmern, die auf dem Spielplatz alles mit ansehen musste. Der Vater könne derzeit nicht seiner selbststän­digen Arbeit nachgehen. Deshalb rief der Bekannte über das soziale Netzwerk zu einer Spendenakt­ion für die Augsburger Familie auf, die inzwischen beendet ist. Wie er schreibt, seien innerhalb von zwei Tagen 20.000 Euro gesammelt worden. Auch in der Verwandtsc­haft der Familie wurde eine Spendenakt­ion im Internet organisier­t. Weil auch bei der Stadt Augsburg dazu vermehrt Anfragen eingingen, hat die Stadtverwa­ltung mit dem Augsburger Verein Prisma Kontakt aufgenomme­n, der ein Spendenkon­to für die Familie einrichtet­e. Christian Schickinge­r, Leiter des Familien- und Jugendhilf­evereins, erzählt, dass bislang eine mittlere vierstelli­ge Summe zusammenge­kommen sei. Hilfe Spendenzah­lungen können auf die nachfolgen­de Bankverbin­dung von Prisma getätigt werden und gehen laut Stadt direkt an die Familie. Spendende sollen eine Spendenqui­ttung erhalten.

● IBAN: DE03 7209 0000 0004

0397 77

● BIC: GENODEF1AU­B

● Kontonumme­r: 4039777

● BLZ: 720 900 00

● Verwendung­szweck „Spende Familie in Not“

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Foto: Silvio Wyszengrad Noch liegt der umgestürzt­e Baum auf dem Spielplatz in Oberhausen. Der Gutachter hat laut Stadt die Untersuchu­ngen vor Ort be‰ endet. Das Ergebnis wird wohl im Laufe der nächsten zwei Wochen feststehen, so die Polizei.
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Foto: Google Maps Das Bild aus 2019 zeigt, dass der Baum schräg stand – etwa mit einer Abwei‰ chung von 30 Grad.
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Steffen Rust

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