Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein stiller Helfer für mehr Gesundheit
Zu hoher Blutdruck kann gefährlich sein, doch er wird von Betroffenen oft nicht erkannt. Ein Armband des Schweizer Start-ups Aktiia soll helfen, ihn rund um die Uhr zu messen. Wie gut das im Alltag klappt
Berlin Jeder dritte Mensch in Deutschland hat nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) einen zu hohen Blutdruck. Da Bluthochdruck viele andere Krankheiten auslösen kann, etwa einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder schwere Nierenerkrankungen, wird Menschen ab 35 Jahren empfohlen, regelmäßig ihren Blutdruck zu messen. Wer keine Auffälligkeiten hat, kann etwa zweimal im Jahr messen. Für viele Betroffene reicht es, die Blutdruckwerte regelmäßig mit einem herkömmlichen BlutdruckMessgerät am Oberarm oder Handgelenk zu messen. Doch bei einem sehr ausgeprägten Risikoprofil ist der Nachweis eines hohen Blutdrucks besonders wichtig.
Erhöhte Cholesterinwerte, Zuckerkrankheit oder Herzerkrankungen in der Familie – bei diesen Vorzeichen kann eine 24-Stunden-Blutdruckmessung erforderlich werden. Hier besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt beziehungsweise Schlaganfall zu erleiden. Oder man könnte von der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit („Schaufensterkrankheit“) betroffen sein. Und das sind in Deutschland Millionen. Insbesondere an diese Personengruppen richtet sich das Schweizer Start-up Aktiia, das mit einem Armband eine Überwachung des Blutdrucks über einen längeren Zeitraum hinweg rund um die Uhr ermöglichen will.
Die klassische Methode einer 24-Stunden-Blutdruckmessung ist für die Patienten sehr belastend: Alle 15 Minuten pumpt sich die Manschette am Oberarm auf, klemmt den Blutfluss ab, und der
Blutdruck wird gemessen. Nachts misst das Gerät jede halbe Stunde. Diese Messung findet allerdings nicht dauerhaft statt, sondern höchstens gelegentlich zur Überprüfung des Blutdrucks. Das Armband von Aktiia, das wie ein einfacher Fitness-Tracker aussieht, verwendet eine andere Technik.
Mit der sogenannten Pulswellenanalyse werden optische Signale am Handgelenk der Patienten verarbeitet und der Blutdruck recht genau geschätzt. Dabei leuchtet das Armband an der Innenseite mit grünem Licht, um festzustellen, wie die Arterien unter der Hautoberfläche pulsieren. Dieses Verfahren kennt man auch von Herzfrequenzmessern oder Smartwatches mit einem
Pulsmesser. Das Gerät von Aktiia zählt nicht nur die Herzschläge, sondern nimmt den Puls mit Künstlicher Intelligenz unter die Lupe.
Das Verfahren wurde über 15 Jahre hinweg von einem Team rund um die Forscher Mattia Bertschi und Josep Solà am Tech-Zentrum CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) in der Schweiz entwickelt. Dort wurde vor über 50 Jahren auch die erste Quarzarmbanduhr der Welt erfunden. Ganz ohne traditionelle Messtechnik kommt auch das Armband nicht aus: Es muss vor der ersten
Benutzung und dann jeden Monat einmal mit dem beiliegenden Manschetten-Messgerät kalibriert werden. Im Praxistest zeigte sich hier eine Schwachstelle. Der Abgleich zwischen der Referenz-Manschette und dem Armband erwies sich als sehr fummelig und gelang jeweils erst nach mehreren Anläufen. Nach einer erfolgreichen Kalibrierung hat man wieder einen Monat lang Ruhe.
Das Armband kann man über eine Woche am Stück tragen, es muss nur alle neun Tage aufgeladen werden. Der Ladestopp dauert gut zwei Stunden. Zum Aktiia-System gehört eine App, die über Bluetooth Kontakt mit der Manschette und dem Armband aufnimmt. In der Anwendung sieht man den Verlauf im Zweistundenzeitraum über den Tag hinweg. Man kann sich aber auch Wochen- oder Monatsberichte zusammenstellen lassen, die man als
PDF für einen Arztbesuch exportieren kann. Leider ermöglicht Aktiia keinen Export der Rohdaten in einer Tabelle oder über die Gesundheitsanwendungen von Apple und Google, um sie in einem größeren Kontext mit anderen Daten wie dem Körpergewicht darzustellen. In der Tagesübersicht fällt auf, dass hin und wieder ein Eintrag im Zweistundenzeitraum fehlt. Das AktiiaArmband misst nämlich nur im Ruhezustand. Wenn sich Nutzer körperlich betätigen oder das Handgelenk flott bewegen, pausieren die Messungen.
Da inzwischen auch Smartwatches wie die Galaxy Watch Active2 oder Galaxy Watch3 von Samsung in der Lage sind, mit einem ähnlichen Verfahren den Blutdruck zu schätzen, stellt sich die Frage, ob eine Speziallösung von Aktiia überhaupt noch Sinn ergibt, zumal eine Smartwatch viel mehr Funktionen hat. Im Vergleich zu den Smartwatch-Lösungen kann Aktiia aber auch dann messen, wenn Anwender nicht still sitzen, die Handgelenke auf einem Tisch ablegen oder den Arm in einer bestimmten Position halten. Sie müssen die Messung auch nicht selbst auslösen. Durch eine Lösung wie das Messarmband aus der Schweiz wird eine für Patienten störungsfreie Messreihe in der Nacht überhaupt erst möglich.
Fazit: Das Armband von Aktiia, das sich nicht sehr hochwertig anfühlt, kostet 200 Euro. Der Testsieger von Stiftung Warentest (2016) unter den konventionellen Blutdruckmessgeräten ist im Handel für knapp 40 Euro zu haben.
Christoph Dernbach, dpa
Eine Smartwatch bietet keine regelmäßigen Messungen