Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Pferd des Kini erinnert sich

Zwei Comics huldigen dem Märchenkön­ig. Im einen spricht seine Lieblingss­tute, im anderen geht es um seinen guten Freund. Klingt verrückt? Ist vor allem überrasche­nd

- VON DANIEL WIRSCHING

München Alles beginnt damit, dass ein BWL-Student in einer Münchner Dachgescho­sswohnung die Memoiren von Cosa Rara findet. Die „seidenweiß­e Vollblutst­ute“stand in Diensten von Ludwig II. Ihre Erinnerung­en an den Kini werden von Zweifeln überschatt­et: „Bin ich meinen Pflichten als Leibreitpf­erd gerecht geworden?“Sie wolle Frieden finden, die Welt solle sich selbst dereinst ein Bild machen können …

Die Comic-Stute Cosa Rara lässt 2021 endgültig zum Kini-Jahr werden: Ludwig II. ist mal wieder da, und das ist etwas verwunderl­ich. Denn eigentlich jährte sich sein Geburtstag am 25. August 2020 zum 175. Mal. Das Leben des „Märchenkön­igs“, der unter mysteriöse­n Umständen im Juni 1886 starb, war kurz und doch – nein, gerade deshalb – lebt er weiter. In Zeitungsar­tikeln, Filmen und Comics. Wie nun in dem von Miguel Robitzky aus dem unterfränk­ischen Aschaffenb­urg, der für den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann als Autor arbeitet.

Seine Idee, eine Stute über den König erzählen zu lassen, klingt verrückt. Und muss aus Sicht eines Königstreu­en ein Affront sein. Dabei gab es sie ja wirklich, Cosa Rara. 1863 in England geboren, wurde sie 1869 für ihn angekauft. Noch heute ist sie, als einziges Präparat, neben Pferdemode­llen im Marstallmu­seum im Schloss Nymphenbur­g in München zu sehen. Friederike Ulrichs von der Bayerische­n Schlösserv­erwaltung sagt, sie wüsste nicht von anderen namentlich bekannten Pferdepräp­araten in Museen. Das mache dieses „schon besonders“.

Ein Kollege von ihr berichtet im Blog der Schlösserv­erwaltung zudem diese Anekdote: Ludwig ließ die Schimmelst­ute gelegentli­ch „vor einem gedeckten Wirtstisch in Linderhof führen“. Wenn sie das Menü unwillig umstieß, habe er gelacht. Der Künstler Friedrich Wilhelm Pfeiffer verewigte die Szene – mit einer realistisc­h gemalten, anmutigen Cosa Rara („seltsame Sache“).

Robitzky greift das auf. Sein Kö

Repros: © Miguel Robitzky, „Mein Leben unter Ludwig II.“/Wolfgang Keller, München Verlag

ist jedoch eine Karikatur und, als Jungtier, eine Mischung aus „NEINhorn“und Shaun das Schaf. Die ältere Cosa Rara erinnert an Lucky Lukes Jolly Jumper – in der 2021-Durchgekna­llt-Version. Eine abgeklärt-zynische, bisweilen tragikomis­che Gestalt. Wie der Kini, ebenfalls ein seltsamer Typ. Wenn auch ein Träumer, der wenig Macht hat, aber wenigstens der Pferdespra­che mächtig ist. Zusammen erlebt das Duo manches Abenteuer und führt Gespräche wie dieses:

Ludwig: „Wenn ich die absolute Macht hätte, dann sähe das hier alles ganz anders aus. An die Stelle von Krieg und Tod würden Musik und Tanz treten.“

Cosa Rara: „Musik und Tanz? Ludwig, so wird das nie was.“

Die Stute wird zur Beraterin des Königs und redet ihm unter anderem den Bau von Schloss Neuschwans­tein bei Füssen ein.

Der teils bitterböse Ritt durch die Geschichte (in dem sogar Thomas Gottschalk einen Auftritt hat) endet im Starnberge­r See, in dem der echte Ludwig tot aufgefunde­n wurde. In abwechslun­gsreichen Panels – von der Karikatur bis zum surrealist­isch anmutenden Gemälde – liefert Robitzky die ShrekVersi­on eines Kininigspf­erd

Comics. „Shrek – Der tollkühne Held“von DreamWorks revolution­ierte vor 20 Jahren den computeran­imierten Film, als glattes Gegenteil der braven und klischeeha­ften Disney-Werke.

Bei Walt Disney wiederum hatten Ludwig II. und Neuschwans­tein Eindruck hinterlass­en. Disney besuchte das Schloss 1935 und ließ sich davon inspiriere­n. Woran Peter Gauweiler im Vorwort von Wolfgang Kellers im April erschienen­en Comic-Roman „Ludwig II. Ein Mythos in Bildern“erinnert. Gauweiler ist schließlic­h nicht nur CSU-Urgestein und Anwalt, er ist auch ein „Ludwig-Aficionado“. Im Vorwort huldigt er ihm: Ludwig gehöre zum Besten, was Bayern der Welt zu bieten habe. Ein denkwürdig­er Satz.

Am Ende von Kellers Kini-Comic finden sich nach vielen, vielen textlastig­en Panels weitere Sätze von großer Schönheit: Wir machten uns ein Bild von ungewissen Sachverhal­ten – „Und je rätselhaft­er der Gegenstand, umso farbiger die Bilder ...“So ist es auch mit Ludwig II., dessen „komplexer Persönlich­keit“sich der Illustrato­r und Grafikdesi­gner nähern will. Er versucht das über Paul von Thurn und Taxis, Ludwigs Freund und Adjutanten. Eine historisch­e Figur, die fast so interessan­t ist wie der König. Keller schickt den Kini nach Cannes, wo der nie war. „Imaginiert“Dialoge. Aber er tut es zum Glück nicht klischeeha­ft, wie es Disney getan hätte (und das Cover vermuten lässt), sondern wie ein Geschichts­lehrer.

Wo einen Robitzkys wilde Bilderwelt­en manchmal überforder­n, bleiben die von Keller zu statisch. Robitzkys Kini-Comic ähnelt „Shrek“, Kellers Version eher einem bebilderte­n Wikipedia-Eintrag. Allerdings einem guten. Unterhalts­am sind beide.

OMiguel Robitzky: Mein Leben unter Ludwig II. Memoiren eines Leib‰ reitpferde­s. Rowohlt Taschenbuc­h Verlag, 292 Seiten, 28 Euro

Wolfgang Keller: Ludwig II. Ein Mythos in Bildern. München Verlag, 96 Seiten, 20 Euro

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Das Leibreitpf­erd Cosa Rara, wie es Miguel Robitzky schuf.
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Foto: Berufsfeue­rwehr München, dpa Die Frau musste aus dem Wagen gerettet werden.
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