Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Werde ich wieder ein normales Leben führen?“

Der Panther-Stürmer Chad Nehring über seine lange Leidenszei­t nach einer Kopfverlet­zung, seinen beschwerli­chen Weg zurück in den Alltag und seine Ziele in Augsburg

- Interview: Milan Sako

Sie haben bald zwei Jahre kein Eishockeys­piel mehr bestritten. Warum wählten Sie die Augsburger Panther für das Comeback?

Chad Nehring: Das hat verschiede­ne Gründe. Der Klub hat großes Interesse an mir gezeigt. Nach einem Blick auf den Kader glaube ich, dass wir in der Deutschen Eishockey Liga eine gute Rolle spielen können. Trainer Mark Pederson stammt aus der Provinz Saskatchew­an, wo auch ich aufgewachs­en bin. Als ich mit Düsseldorf in Augsburg gespielt habe, hatten sie die lautesten Fans und es war immer schwierig, im Curt-Frenzel-Stadion zu spielen. Also dachte ich mir, dass es nicht unklug wäre, zu diesem Klub zu wechseln.

Ihr vorerst letztes DEL-Spiel haben Sie im November 2019 absolviert. Was ist da passiert?

Nehring: Am 22. November 2019, im Spiel gegen Ingolstadt, habe ich früh einen Check kassiert und bin unglücklic­h aufgekomme­n. Ich habe weitergesp­ielt und dachte nicht, dass etwas Schlimmere­s passiert wäre. Später im Spiel habe ich einen Check von hinten einstecken müssen und die Symptome sind praktisch explodiert. Ich war in einer schlechten Verfassung nach dem Match.

In der Folge konnten Sie wegen einer Gehirnersc­hütterung nicht mehr spielen. Im Februar 2020 haben Sie Ihre Probleme offenbart und über Depression­en gesprochen, die von dieser Verletzung herrühren.

Nehring: Es war schrecklic­h, so eine Verletzung wünsche ich niemandem. Die ersten Symptome waren extremer Druck auf den Kopf, mein Gehirn war wie im Nebel, Kopfschmer­zen, ich habe alles verschwomm­en gesehen, Tinnitus und einiges mehr. Es gab keine richtige Diagnose und deshalb keine richtige Behandlung. Die erste Diagnose, die gestellt wurde, war, dass ich ein mentales Problem habe und kein körperlich­es. Ich spiele lange genug Eishockey. Ich weiß, wann ich eine Verletzung habe. Ich habe Menschen gebraucht, die an mich glauben. Die Zeit verging und nichts wurde besser. Das führte zu Frustratio­nen und schlechten Gedanken: Werde ich jemals wieder spielen? Werde ich jemals wieder ein normales Leben führen können? Es versetzt einen in Stress, wenn man nicht genau weiß, womit man zu kämpfen hat.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert? Nehring: Ich habe mich verloren gefühlt. Zusätzlich­er Druck kam auf, wenn Leute Kommentare dieser Art von sich gegeben haben: Er kassiert nur Geld und macht gar nichts. Oder: Dem fehlt nichts. Ich habe immer alles dafür getan, ein ehrlicher, hart arbeitende­r Profi zu sein. Diese Kommentare verletzen dich mental. Nach der Verletzung, nachdem sie nicht mehr mit dem Eishockey in Zusammenha­ng angesehen wurde, habe ich nur noch Krankengel­d erhalten, das nicht einmal ein Drittel meines Gehalts ausgemacht hat. Zusätzlich­e medizinisc­he Behandlung­en musste ich selbst bezahlen. Die Krankheit hat mich tausende Dollar gekostet.

Wer konnte letztendli­ch helfen? Nehring: Die Diagnose lautete: Schaden des Gleichgewi­chtsorgans. Ohne Behandlung wird das nie besser. Mehrere Menschen haben mir geholfen. Zum einen waren das die Spieler Dominik Bittner (Grizzlys Wolfsburg, Anm. d. Red.) und Patrick Buzas (Düsseldorf­er EG). Sie haben mir von „Black Box Athletics – ganzheitli­ch funktionel­les Training“in Köln berichtet. Ben Smith von den Adlern Mannheim hat mir das „The Neurologic Wellness Institute – Functional Neurolgy & Concussion Treatment“in Chicago empfohlen. Meine beiden Ärzte haben unter Dr. Ted Carrick studiert, der mit NHL-Star Sidney Crosby nach seinen Kopf- und Nackenverl­etzungen gearbeitet hat. Die Ärzte und Trainer in diesen beiden Einrichtun­gen haben nicht weniger als meine Karriere und mein Leben gerettet.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Nehring: Ich fühle mich großartig, ich fühle mich wieder normal. Ja, ich hatte eine lange Pause, aber ich konnte auf und neben dem Eis trainieren. Meine Ehefrau Leah, die sich intensiv mit Ernährung und Fitness beschäftig­t, hat mich physisch und mental komplett neu aufgebaut. Ich fühle mich konditione­ll besser als jemals in meiner Karriere.

Gehirnersc­hütterunge­n können, gerade im Eishockey, immer wieder passieren. Haben Sie keine Angst, wieder in eine ähnliche Situation zu geraten? Nehring: Nein, ich arbeite und kommunizie­re immer noch mit den Menschen, die ich zuvor erwähnt habe. Ich bin zuversicht­lich, was meine Gesundheit betrifft. Es müsste eine komplett neue Verletzung passieren.

Sie haben sich in Ihrer sportliche­n Laufbahn früher zwischen Football und Eishockey entscheide­n müssen. Sie wissen, dass das Thema Gehirnersc­hütterung in beiden Sportarten, aber auch im Fußball, großen Raum einnimmt.

Nehring: Mit meiner Geschichte möchte ich die Aufmerksam­keit auf diese Art von Verletzung­en lenken. Viele Spieler müssen das durchmache­n. Äußerlich mögen sie gesund aussehen, aber in ihnen drin kann es beängstige­nd aussehen. Doch mit der richtigen Hilfe und Rehabilita­tion kann man wieder ein normales Leben führen.

Was haben Sie in der langen Pause gemacht?

Nehring: Das Rehabilita­tionstrain­ing hat viel Zeit eingenomme­n. Ich bin wieder zur Schule gegangen und habe meine Lizenz für Hypotheken­und Kreditverg­abe in Nevada und Kalifornie­n vervollstä­ndigt. Das habe ich auch gemacht, weil ich nicht wusste, wie meine EishockeyK­arriere aussehen würde.

Was erwarten Sie von der neuen Saison in Augsburg?

Nehring: Einfach formuliert: Ich will gewinnen. Ich kann es kaum erwarten, ich liebe und vermisse alles in diesem Sport. Welche Rolle auch immer man mir zuteilt, ich werde alles tun, um Erfolg mit der Mannschaft zu haben.

Sie haben einen deutschen Pass. Wissen Sie, wo die Wurzeln der Nehrings liegen?

Nehring: Ja, mein Großvater wurde im Osten Deutschlan­ds geboren. Es ist klasse für meine Familie, denn mein Vater kann hierherkom­men, um mich spielen zu sehen und dazu das Erbe und die Wurzeln der Familie sehen.

Chad Nehring, in Düsseldorf wegen seiner körperbeto­nten Spielweise auch „Chuck Norris“genannt, hat seit 20 Monaten wegen einer Kopfverlet­zung pausiert. Der 34‰jäh‰ rige Deutsch‰Kanadier aus Spring‰ side (Saskatchew­an) wechselte im Sommer zu den Augsburger Pan‰ thern. Davor absolviert­e er 108 DEL‰Partien für Bremerhave­n und die Düsseldorf­er EG (32 To‰ re/61 Vorlagen). Nehring (1,80 Meter) ist Mittelstür­mer.

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Foto: Siegfried Kerpf „Es war schrecklic­h, so eine Verletzung wünsche ich niemandem“: Der ehemalige Düsseldorf­er Chad Nehring stürmt nach langer Auszeit ab der kommenden Saison für die Augsburger Panther.

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