Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Ich konnte zeigen, dass ich kein Statist bin“
Radprofi Georg Zimmermann aus Neusäß spricht nach seiner ersten Tour de France über das Hochgefühl nach Platz acht auf der 19. Etappe und seine Meinung zu Sieger Pogacor. Und er gibt zu, dass er kurz vor der Aufgabe stand
Wie geht es Ihnen nach drei Wochen Tour de France und fast 3500 Kilometer in den Beinen?
Georg Zimmermann: Ich bin körperlich schon ein bisschen müde, aber es ist mehr so, dass ich einfach mental verbraucht bin, weil der Stress rund um das Rennen so groß war.
Hatten Sie sich so Ihre erste Tour de France vorgestellt?
Zimmermann: Die sportliche Komponente war so, wie ich es erwartet hatte. Aber das Drumherum war Wahnsinn. Wenn man zum Start fährt, steht man im Stau, wenn man vom Ziel zum Hotel fährt, steht man im Stau. Wenn man aus dem Teambus aussteigt, wird man nur angeredet und fotografiert. Das Medieninteresse ist riesig. So einen Stresslevel über so eine lange Zeit habe ich noch nie erlebt.
Wie kommen Sie zur Ruhe? Zimmermann: Ich brauche keinen Mentaltrainer. Ich genieße es jetzt, einfach mal keinen Zeitplan zu haben, sondern nur in den Tag hinein zu leben, auszuschlafen und einfach gemütlich in den Tag zu starten.
Sie sind ja mit Ihrer Freundin Katrin noch bis Mittwoch privat in Paris geblieben. Kann man da einfach so gemütlich in den Tag starten bei diesen vielen Sehenswürdigkeiten? Zimmermann: Wir haben jetzt nicht das riesen Touri-Programm, das wir abarbeiten wollen. Wir schauen einfach, was sich so ergibt und leben in den Tag hinein. Darum waren wir auch noch nicht auf dem Eiffelturm. Es ist das erste Mal, dass ich in Paris bin und es ist so schön, wie ich es mir vorgestellt habe. Besonders begeistert war ich vom Louvre-Museum. Die Architektur ist beeindruckend.
Den Prachtboulevard Champs Elysees in Paris sahen Sie ja aus einer ganz besonderen Perspektive: vom Rad aus. Die letzte Etappe der Tour endet ja dort.
Georg Zimmermann: Es war ein unbeschreibliches Gefühl die sieben Abschlussrunden auf der Champs Elysees bestreiten zu dürfen. Ich habe es in vollen Zügen genossen. Bei den ersten drei, vier Runden war das Tempo nicht so sehr hoch, da konnte ich schon ein wenig nach rechts und links schauen, die Aussicht genießen und die Atmosphäre mit den vielen Zuschauern aufsaugen. Die letzten zwei, drei Runden musste ich mich dann wieder auf den Sport konzentrieren. Direkt nach der Zielankunft hat das ganze Team mit den Sponsoren mit einem Gläschen Champagner angestoßen.
Was war der schlimmste Moment bei der Tour?
Zimmermann: Das war die erste Etappe, bei der ich auch in den zweiten Massensturz verwickelt war. Vor mir war ein Fahrer gestürzt und ich hatte mich schon gefreut, weil ich den gestürzten Fahrern ausweichen konnte, als mich ein anderer Fahrer von hinten über den Haufen gefahren hat.
Und was für Verletzungen haben Sie davon getragen?
Zimmermann: Neben Hautabschürfungen habe ich mir auch das Kahnbein an der linken Hand gebrochen.
Die Schwere Ihrer Handverletzung haben Sie aber verschwiegen, oder? Zimmermann: Ja, ich wollte mir nicht das Halbwissen von 100000 selbst ernannten Orthopäden anhören müssen. Deswegen habe ich da den Deckel draufgehalten. Ich habe mich mit unserem Teamarzt und einen Orthopäden meines Vertrauens abgesprochen, dass es kein riskantes Manöver ist, wenn ich weiterfahre. Die Hand war immer bandagiert und in den nächsten Tagen lasse ich noch ein weiteres CT machen.
War das ein Moment, in dem Sie dachten, ich muss aufgeben? Zimmermann: Als nach zehn Minuten klar war, dass ich auch mit der gebrochenen Hand weiterfahren kann, waren diese Gedanken weg.
Es war eine Tour der Stürze. War die Streckenführung zu gefährlich? Zimmermann: Die war nicht zu gefährlich. Das Peloton war einfach so aufgeregt und stand unter Stress. Bis auf den Sturz mit der Zuschauerin waren es alles Stürze, die durch Fahrfehler ausgelöst wurden. Dafür kann der Veranstalter nichts.
Woher kommen diese Nervosität und diese riskante Fahrweise? Zimmermann: Unser Teamleiter hat gesagt, dass 70 Prozent der medialen Aufmerksamkeit, die wir das ganze Jahr bekommen, in den drei Wochen der Tour generiert wird. Das ist bei allen Teams so. Deswegen steht man extrem unter Druck, wird extrem gepusht. Und deswegen gehen manche Fahrer riskante Manöver ein.
Hatte es noch andere Momente gegeben, in dem Sie gedacht haben, es reicht?
Zimmermann: Das war die letzte Etappe vor dem ersten Ruhetag in den französischen Alpen rauf nach Tignes. Die Hand tat mir weh, es hat nur geregnet, es war kalt, ich konnte mir alleine die Regenjacke nicht mehr zumachen und als ich dann da alleine am Ende hinter dem Feld ins Ziel gefahren bin, habe ich mir schon gedacht, was mache ich hier. Ich habe hier nichts verloren. Ich war k.-o, kaputt und vor allem war ja noch kein Ziel in Sicht. Es war gerade die erste Woche vorbei.
Was hat Sie weitermachen lassen? Zimmermann: Mein Team hat immer gesagt, nach dem ersten Ruhetag wird es leichter, was zwar nicht stimmte, aber was mir geholfen hat.
Waren die körperlichen Ansprüche an das Fahrerfeld von Haus aus zu groß? Zimmermann: Nein, eigentlich nicht. Aus meiner Sicht war die Streckenführung ausgeglichen. Sie war nicht überdurchschnittlich schwer. Es gab genügend Etappen für die Sprinter und Bergfahrer, es gab zwei Zeitfahrer, darüber kann man sich nicht groß beschweren.
Und dann kam die drittletzte Etappe mit Platz acht. Was war das für ein Gefühl nach den ganzen Strapazen? Zimmermann: Ich habe die ganzen drei Wochen immer alles gegeben und schon gefühlt, dass ich etwas drauf habe. Aber an diesem Tag hat alles gepasst. Es war die allerletzte Möglichkeit, es war wie in einem romantischen Film.
Was bedeutet der Platz acht für Sie? Zimmermann: Es ist nicht so wichtig, ob ich Siebter oder Achter geworden bin. Für mein Selbstvertrauen war es wichtig, dass ich zeigen konnte, dass ich beim größten Radrennen der Welt konkurrenzfähig bin, dass ich kein Statist bin. Ich hatte das Gefühl, ich kann richtig gegenhalten.
Sie sind im Gesamtklassement 80. geworden. Doch vorne fährt ein Tadej Pogacar, der ein Jahr jünger ist als Sie, in einer anderen Liga und nimmt Ihnen 3:05:48 Stunden ab. Zimmermann: Ich hatte sicher keine optimale Vorbereitung und kann sicher noch mehr. Aber ich habe größten Respekt vor seiner Leistung, wie er das durchzieht. Er hat sich keinen schlechten Tag erlaubt, er ist der verdiente Sieger der 108. Tour de France.
„Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken und mich zu stressen, weil ich es sowieso nicht ändern kann.“Georg Zimmermann über die DopingSpeku lationen um TourSieger Pogacar
Aber denkt man sich da nicht, geht da alles mit rechten Dingen zu? Zimmermann: Diese Frage ist sicherlich gerechtfertigt. Ich kann sie aber nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Ich vertraue da der Antidoping-Agentur NADA. Es ist ihr Job, das zu kontrollieren. Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken und mich zu stressen, weil ich es sowieso nicht ändern kann. Ich weiß nur, dass ich nicht dope und dass ich dreimal kontrolliert wurde.
Was ist Ihr nächstes sportliches Ziel? Zimmermann: Die Deutschlandrundfahrt vom 26. bis 29. August vor heimischem Publikum. Da will ich mich von meiner besten Seite zeigen. Ich versuche alles, um dort so fit wie möglich an den Start zu gehen.
Ihr Vertrag bei Intermarché läuft noch bis...
Zimmermann: … bis Ende 2022. Das heißt, ich werde auch nächste Saison für Intermarché fahren. Ich fühle mich hier wohl, es passt für mich. Ich müsste nur noch ein wenig mehr Französisch lernen, weil das die Teamsprache ist. Aber das gehe ich dann im Winter an.