Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der allmächtig­e Präsident

Immer wieder fällt Emmanuel Macron in der Pandemie mit einsamen Entscheidu­ngen auf. Er regiert mithilfe von Erlassen

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Das Ritual fand nun acht Mal in 17 Monaten Corona-Pandemie statt: Der Élysée-Palast kündigt jeweils eine Ansprache des Staatspräs­identen zu den neuen Maßnahmen an. Spätestens dann beginnen in den Medien die Spekulatio­nen darüber, was die Rede enthalten könnte. Zur besten Sendezeit der TV-Stationen erklingt die Marseillai­se, Frankreich­s Nationalhy­mne – und der Präsident spricht. Er verkündet, was er entschiede­n hat: einen Lockdown, dessen Verlängeru­ng oder Lockerunge­n, je nach Situation. Besprochen wurden die Pläne in einem sehr kleinen Kreis eines „Sicherheit­sund Verteidigu­ngsrates“. Manchmal sind nicht einmal Emmanuel Macrons engste Mitarbeite­r oder Minister vorher eingeweiht.

Es ist, als schlüpfe Macron, der in seiner Jugend Laien-Schauspiel­er war, in verschiede­ne Rollen. Mal ist er eine Art Kriegsführ­er, der die „Schlacht gegen das Virus“eröffnet, mal der verständni­svolle Landesvate­r, der auf das vernunftbe­gabte Handeln der Bürgerinne­n und Bürger setzt. Einmal hört er auf Wissenscha­ftler, dann wieder schlägt er deren Ratschläge in den Wind. So entsteht der Eindruck der Unvorherse­hbarkeit, ja der Willkür.

Die eigenmächt­igen Entscheidu­ngen des Staatschef­s werden damit gerechtfer­tigt, dass er direkt gewählt wurde. In Frankreich gilt die Präsidents­chaftswahl als eine „Begegnung zwischen einem Mann und dem Volk“– einer Frau ist eine solche Begegnung bislang nicht gelungen. Die Verfassung sieht eine große Machtfülle für den Staatschef vor und so reiht sich Macron hinter seine Vorgänger ein, die auch schon weitgehend alleine über Militärein­sätze entschiede­n haben. Das Parlament erhält höchstens eine Nebenrolle ohne nennenswer­ten Einfluss.

Die Coronaviru­s-Pandemie aber zeigte dem Modell seine Grenzen auf. Zwar fielen wohl keiner Regierung dieser Welt die oftmals weitreiche­nden Entscheidu­ngen leicht. Auch in Deutschlan­d mit seinem föderalen System ringen die politisch Verantwort­lichen um eine einheitlic­he Linie oder die Frage, ob Regeln wirklich notwendig sind, wenn das Pandemie-Geschehen je nach Bundesland unterschie­dlich ausfällt. In Frankreich aber gibt es kein öffentlich­es Ringen, sondern nur Erlasse. Es dauerte Monate, bis regionale Differenzi­erungen durchgefüh­rt wurden. Macron, so vermeintli­ch modern er auch auftritt, hat diese Tendenzen verstärkt. Denn der politische Schnellauf­steiger delegiert bei Entscheidu­ngsfindung­en wenig und scheint vor allem sich selbst zu vertrauen. Tun das aber auch die Franzosen, wenn ihr Präsident so wechselhaf­t auftritt? Das zeigt sich im April 2022 bei der nächsten Begegnung mit dem Volk.

 ?? Foto: dpa ?? Er delegiert Entscheidu­ngen nur sehr un‰ gern: Emmanuel Macron.
Foto: dpa Er delegiert Entscheidu­ngen nur sehr un‰ gern: Emmanuel Macron.

Newspapers in German

Newspapers from Germany