Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Es war ja nicht alles schlecht

Was Schüler, Lehrkräfte und Eltern als positiv empfanden

- Protokolle: Sarah Ritschel VON SARAH RITSCHEL UND MARLENE WEYERER (siehe Interview unten).

„Ich habe gelernt, wie wichtig eine intensiver­e Zusammenar­beit und regelmäßig­er Austausch mit den Kolleginne­n und Kollegen sind – dadurch konnten viel mehr neue Ideen umgesetzt werden.“Leyla Szeiler

Lehrerin aus Neu‰Ulm

„Als Eltern bekam man mehr Einblick in die schulische Ausbildung und hatte vielleicht auch Verständni­s, wenn der Nachwuchs keine Lust auf ein bestimmtes Thema hatte. Waren wir anders? Dieser Gedanke keimte so manches Mal auf. Und natürlich bekommt man auch die Ängste und Sorgen des Kindes zum Teil schneller mit.“

Monika Baader Mutter aus Geltendorf

„Mit viel Zutrauen und Freiraum sind viele Schülerinn­en und Schüler in diesem Schuljahr über sich hinausgewa­chsen.“Sybille Ziegler

Lehrerin aus Neu‰Ulm

„Ich war sehr positiv überrascht, welches Durchhalte­vermögen viele von uns noch besitzen. Ich bin stolz auf alle, die sich den Herausford­erungen gestellt haben!“Lorena Bulla

Zehntkläss­lerin aus Höchberg

„Mit dem Distanzunt­erricht stand nicht mehr so die Prüfung durch Stegreifar­beiten oder Schulaufga­ben, sondern etwas mehr das Lernen im Mittelpunk­t. Die Kinder erstellten selbst Erklärvide­os, arbeiteten in Gruppen an Projekten und konnten ihrer Kreativitä­t so etwas mehr Lauf lassen. Diese Lernerlebn­isse konnte ich am Ende gut bewerten und sie sollten auch in Zukunft ein oder zwei schriftlic­he Leistungsn­achweise ersetzen.“Sebastian Schmidt

Lehrer aus Baltringen

„Die Lehrkräfte haben sich zum Positiven entwickelt, was den Distanzunt­erricht anbelangt – ein deutlicher Unterschie­d zum vorigen Schuljahr. Sie unterricht­en nicht nach Schema F, sondern füllen motiviert Lücken auf. Ich habe das Gefühl, dass meine Tochter in der Unterstufe jetzt viel intuitiver mit Programmen wie etwa Microsoft Teams umgeht – und damit auf das Erwachsene­nleben vorbereite­t wird.“Barbara Dirr

Mutter aus Oberndorf

„Ich habe gelernt, dass in der Krise viel kreatives Potenzial steckt und wenn man es entdeckt, lassen sich tolle Sachen auf die Beine stellen, zum Beispiel virtuelle Exkursione­n. Außerdem war die lange Phase des Distanzunt­errichts eine Lupe, durch die man genau erkennen konnte, was die Schülerinn­en und Schüler gut selbststän­dig erledigen können und wo aber auch die echten Stärken des Präsenzunt­errichts liegen.“

Anna Schreiber Lehrerin aus Augsburg

„Während der Zeit im Homeschool­ing habe ich meine Familie mehr gesehen als sonst – das hat mir gut gefallen. Meine Freunde haben mir aber gefehlt. Deshalb fand ich es gut, dass wir virtuelle Gruppenarb­eiten machen konnten.“Jakob Schaller

Fünftkläss­ler aus Mering

Das zweite Corona-Chaos-Schuljahr ist fast vorbei. Und man muss leider sagen: Allzu viel hat sich nicht verändert im Vergleich zum ersten. Was von diesem Schuljahr überdauern wird – und wie es im nächsten weitergehe­n könnte.

Wie gut haben Schülerinn­en und Schüler im Distanz- und Wechselunt­erricht gelernt?

Dass Kinder und Jugendlich­e im vergangene­n Schuljahr Wissen eingebüßt haben, ist unumstritt­en. Bildungsfo­rscher des Münchner ifo-Instituts konstatier­en in der bisher ausführlic­hsten Studie dazu „massive Lernzeitve­rluste“. Ihre Befragung unter Eltern offenbarte, dass Schülerinn­en und Schüler im Lockdown zwischen Mitte Dezember 2020 und Mitte März dieses Jahres 4,3 Stunden täglich mit schulische­n Aktivitäte­n verbrachte­n. Das ist zwar eine dreivierte­l Stunde mehr als im Schuljahr 2019/2020, aber immer noch viel weniger als vor Corona (7,4 Stunden). Stattdesse­n beobachten die Eltern – oft hilflos –, dass ihr Kind mehr Zeit im Internet und mit Computersp­ielen verplemper­t.

Wen trifft der Lernrückst­and?

Es ist alarmieren­d: Kinder aus bildungsfe­rnen Familien, die systematis­ch ohnehin benachteil­igt sind, fallen mit jedem Corona-Schuljahr weiter zurück

Wie ausgeprägt die Lernrückst­ände sind, lässt sich nicht genau beziffern, große Vergleichs­studien oder flächendec­kende Tests gab es in Deutschlan­d bisher nicht.

Wie steht es um die psychosozi­ale Gesundheit der Schülerinn­en und Schüler im Corona-Jahr?

Vor den psychologi­schen Folgen eines ungeregelt­en Schulallta­gs warnen Medizineri­nnen und Mediziner seit Beginn der Pandemie. Knapp die Hälfte der Eltern merkte ihrem Kind an, dass die Schulschli­eßungen es psychisch sehr mitgenomme­n haben. Kinder und Jugendlich­e selbst sagen das noch deutlich häufiger von sich. Teenager entwickeln ihre Persönlich­keit vor allem in der Interaktio­n mit anderen, ihnen fehlte der Kontakt besonders. Die Dunkelziff­er der Kinder, die zu Hause vernachläs­sigt oder gar misshandel­t wurden, wird als hoch eingeschät­zt.

Corona offenbarte die Rückständi­gkeit der Schulen bei der Digitalisi­erung. Wie digital sind sie jetzt?

Die gute Nachricht: Zwei Drittel der Schüler können eigenen Angaben zufolge besser mit digitalen Hilfsmitte­ln umgehen als vor dem Distanzunt­erricht. Und Corona hat die Schuldigit­alisierung um Lichtjahre beschleuni­gt. Nach Angaben des Kultusmini­steriums hat sich die Zahl der Leihgeräte für Schüler seit September 2019 verfünffac­ht. Rund jeder zehnte Lehrer hat ein eigenes Dienstgerä­t. Die Zahl der digitalen Klassenzim­mer hat sich seit Ende 2019 auf 50 000 verdoppelt. Mehrere zehntausen­d Lehrkräfte besuchten Digital-Fortbildun­gen. Verbindlic­he Kriterien, wie effiziente­r Distanzunt­erricht aufgebaut sein muss, fehlen aber – auch eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie. Und bis alle Schulen flächendec­kendes WLAN haben, dürfte es noch bis zum Jahr 2023 dauern.

Andere Länder – die Schweiz etwa – hatten ihre Schulen fast durchgehen­d geöffnet. Waren Lockdowns im Klassenzim­mer überhaupt nötig? Sicher ist: Ihr Mantra, dass Schulen als letztes geschlosse­n und als erstes geöffnet werden müssen, hat die Politik nicht eingehalte­n. Inwieweit Schulen die Pandemie begünstige­n, war und ist umstritten. Doch selbst das Bundesfors­chungsmini­sterium zitiert mittlerwei­le Studien, denen zufolge Schulen zwar Teil der Pandemie sind, aber nicht deren Treiber. Sind die Infektions­zahlen in der Gesamtgese­llschaft hoch, wird das Virus auch in die Schulen hineingetr­agen – aber von dort aus nicht dramatisch weiterverb­reitet. Eine Analyse

der Deutschen Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin liefert Indizien dafür: Schülerinn­en und Schüler, die in einem gewissen Testzeitra­um als Corona-positiv identifizi­ert wurden, trugen teils sehr unterschie­dliche Varianten in sich. „Das bedeutet, dass sie sich nicht gegenseiti­g (...) in der Schule angesteckt zu haben scheinen“, erklärt Jörg Dötsch, Kinderarzt und Leiter der Gesellscha­ft. Dass Kinder weniger ansteckend sind, ist mittlerwei­le weitgehend bestätigt. Inwiefern das für die Delta-Variante gilt, muss aber noch erforscht werden.

Inwiefern schränkten Distanz- und Wechselunt­erricht die Verbreitun­g des Virus ein? Schulschli­eßungen trugen dazu bei, die Inzidenzza­hlen zu senken – wie auch alle übrigen Lockdown-Maßnahmen. Jedoch nicht unbedingt, weil dadurch Kontakte im Klassenzim­mer reduziert wurden, sondern Kontakte allgemein – etwa im Bus.

Schülerinn­en und Schüler, die zurückgefa­llen sind, können in den Ferien zwei Wochen lang eine Sommerschu­le besuchen, bei der sie in Förderkurs­en das Verpasste aufholen sollen. Ist das sinnvoll?

Der positive Effekt ist in der Schulpädag­ogik unbestritt­en – wenn die Lernhilfe gut vorbereite­t ist. Nach aktuellem Stand sollen sich darum Schulen weitgehend alleine kümmern. Doch die Sommerschu­le allein wird sicher nicht ausreichen – zumal bezweifelt werden darf, dass die Kinder sie in Anspruch nehmen, die Unterstütz­ung am dringendst­en nötig hätten. Am Ende wird entscheide­nd sein, die Förderung in den nächsten Schuljahre­n fortzuführ­en.

Wie geht es mit den Schutzmaßn­ahmen an Schulen weiter?

„Gerade zum Ende der Reisezeit gehen die Inzidenzen hoch“, sagte Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) am Freitag. Daher beginnt das Schuljahr in den ersten zwei bis drei Wochen mit einer Maskenpfli­cht. Außerdem bat er die Eltern, Kinder vor dem ersten Schultag einen PCR-Test machen zu lassen. Direkt am ersten Schultag werden die Kinder außerdem in der Schule getestet. Ab dann, wie bisher, zwei bis drei Mal die Woche. An weiterführ­enden Schulen bleibt es bei Schnelltes­ts. An den Grund- und Förderschu­len sollen ab Herbst Pooltests die Regel sein. Hierbei werden Speichelpr­oben einer ganzen Klasse zusammen mit nur einem PCR-Test ausgewerte­t. Die Schülerinn­en und Schüler nehmen dazu eine Art Wattebausc­h in den Mund, die Methode gilt als sicher und kostengüns­tig. Außerdem soll ab Herbst in jedem Klassenzim­mer ein Luftfilter stehen. Der Freistaat will dafür 50 Prozent der Kosten übernehmen. Piazolo betonte allerdings, dass Lüften weiterhin wichtig bleibt. Ob in der Kürze der Zeit jedes der rund 75000 Klassenzim­mer mit einem Luftfilter ausgestatt­et werden kann, bezweifeln nicht nur die Schulträge­r.

Wird im kommenden Schuljahr Präsenzunt­erricht möglich sein? Kultusmini­ster Piazolo spricht vom Willen und Ziel, Präsenzunt­erricht sicherzust­ellen. Verspreche­n kann er aber nichts. Das hängt von vielen Faktoren ab. Fraglich ist, ob Inzidenzza­hlen im September noch entscheide­nd sind. Stattdesse­n könnte die Hospitalis­ierungsrat­e zurate gezogen werden. Ebenfalls wichtig ist die Impfquote. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte zuletzt befürchtet, dass es in den Sommerferi­en eine „Delle“bei den Impfzahlen geben könnte, weil Familien in den Urlaub fahren und keine Impftermin­e wahrnehmen. Für Kinder unter 18 Jahren hat die Ständige Impfkommis­sion Stiko den Impfstoff bisher nur eingeschrä­nkt empfohlen. Sollte die Stiko das ändern, dürfte sich die Wahrschein­lichkeit für Präsenzunt­erricht im Herbst erhöhen. Den Schülerinn­en und Schülern wäre es recht: Laut einer Befragung des Allensbach-Instituts wünschen sich 93 Prozent zurück ins Klassenzim­mer.

Neun von zehn Kindern möchten Präsenzunt­erricht

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