Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Leistungss­chwache Kinder lernten häufiger wenig“

Viele junge Menschen haben unter den Schulschli­eßungen gelitten. Expertin Larissa Zierow erklärt die Probleme

- Falls zum neuen Schuljahr wieder normaler Unterricht stattfinde­n kann… Interview: Marlene Weyerer

Frau Zierow, Sie haben die Auswirkung­en der Schulschli­eßungen auf die Leistungen von Schülerinn­en und Schülern untersucht. Welche litten am stärksten darunter?

Larissa Zierow: Bei allen Kindern unabhängig vom sozialen Status ist die Lernzeit stark zurückgega­ngen. Aber wir sehen tatsächlic­h, dass es häufiger Kinder von Nicht-Akademiker­n und leistungss­chwächere Schülerinn­en und Schüler sind, die besonders wenig Kontakt mit der Schule hatten und wenig gelernt haben. In Deutschlan­d haben wir derzeit keine Lernstands­erhebungen wie Pisa-Tests. Aber in Ländern, die solche Erhebungen machen, wird deutlich: Kinder aus benachteil­igten Verhältnis­sen haben deutlich höhere Verluste an Kompetenze­n.

Warum ist das so?

Zierow: Da kommt eine Mischung an Faktoren zusammen. Einmal bestand der Distanzunt­erricht für die meisten Schüler und Schülerinn­en leider daraus, dass zu Hause Arbeitsblä­tter bearbeitet werden mussten. Das bedeutet, dass zum größten Teil das Lernen darin bestand, sich selbststän­dig die Aufgaben zu erarbeiten. Und wer dann die besser gebildeten Eltern zu Hause hatte, hatte mehr Hilfe. Der zweite Punkt ist: Ob Online-Unterricht stattfinde­t, kann auch damit zusammenhä­ngen, in welchem Stadtteil die Kinder leben. Es kann also sein, dass man benachteil­igt ist, weil man in einer sozial schwächere­n Gegend wohnt. Ein dritter Grund sind die Nachholmaß­nahmen wie Nachhilfe, Förderunte­rricht und Sommerkurs­e. 31 Prozent der Akademiker-Kinder haben solche Nachholmaß­nahmen in Anspruch genommen und nur 18 Prozent der Nicht-Akademiker­Kinder. Vielleicht wird dort, wo diese Kinder leben, seltener Förderung angeboten. Es kann aber auch daran liegen, dass die Akademiker-Eltern mehr hinterher oder besser informiert sind und deswegen ihre Kinder anmelden.

Was macht es mit dem späteren Leben der Kinder, wenn ihre Nachteile in der Schule zementiert werden?

Zierow: Bildung ist ein dynamische­r Prozess. Auf jeder Fähigkeit, die man hat, kann man die nächste aufbauen. Wenn jetzt schon Grundschül­er abgehängt werden und Dinge nicht aufholen, die man braucht, um etwa die nächsten Rechenarte­n zu verstehen, kann das Konsequenz­en für die gesamte Schullaufb­ahn haben. Und später auch für den Einstieg in den Arbeitsmar­kt. Es muss alles dafür getan werden, dass die Lücken geschlosse­n werden.

Was kann man denn tun, um diese Lücken zu schließen?

Zierow: Die Ideen, Lehramtsst­udenten und pensionier­te Lehrkräfte einzubinde­n, sind gut. Die Förderprog­ramme, die es gibt, die sind schon sehr sinnvoll. Aber sie erreichen sehr wenige Schüler und so wie es aussieht nicht die, die es vielleicht am nötigsten haben. Es muss noch gezielter geschaut werden: Wer bekommt jetzt Nachhilfeu­nterricht? Es gibt Vorschläge, dass Lehrer identifizi­eren, wer die meisten Probleme hat und Gutscheine für Nachhilfeu­nterricht vergeben. Ich habe das Gefühl, man muss die Sommerferi­en nutzen, um möglichst viel auf die Beine zu stellen. Damit zum neuen Schuljahr auch viel da ist.

Zierow: Ja, es ist wichtig, Konzepte zu haben, falls es nicht geht. Wir waren in unserer Studie sehr enttäuscht, dass wir zwischen dem ersten und dem zweiten langen Schullockd­own gar nicht so viel Veränderun­g feststelle­n konnten. Es hatten nicht so viel mehr Kinder OnlineUnte­rricht, obwohl fast ein Jahr dazwischen lag. Wenn man jetzt sagt, es geht nicht anders, als die Schulen zu schließen, dann muss es eigentlich Konzepte geben, wie man guten Online-Unterricht durchführt.

Aber eigentlich wäre es besser ganz ohne Schulschli­eßungen?

Zierow: Wir haben gesehen, wie hoch die Kosten sind für die Kinder, wenn es den Präsenzunt­erricht nicht gibt und gleichzeit­ig nur schlechten Online-Unterricht. Da fehlt mir in der Politik die Frage: Worauf können wir als Gesellscha­ft eher verzichten, wenn es wieder um Schließung­en geht? Es lohnt sich in Konzepte zu investiere­n, wie die Schulen offenbleib­en können. Und als Gesellscha­ft muss man sich dann eben eher in anderen Bereichen einschränk­en. Aber die Kinder sollen zur Schule gehen. Das wären, denke ich, wichtige Ansagen.

Larissa Zierow, stellv. Leiterin des ifo‰Zentrums für Bildungsök­onomik in München, forscht zu Un‰ gleichheit­en in der Bildung.

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Fotos: U. Wagner, R. Vinogradov­a Grundschül­er sind seit Februar zurück in der Schule.
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