Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im Fahrradges­chäft geht es auf eine Zeitreise

Die Brüder Robert und Georg Salcher führen in Göggingen einen außergewöh­nlichen Laden. Ihr Großvater gründete den Betrieb vor 100 Jahren. Er begann mit dem Verkauf von Rädern, Nähmaschin­en und Motorräder­n

- VON MICHAEL HÖRMANN

Es gibt in diesem Geschäft viele Dinge, die an die gute, alte Zeit erinnern. Dazu zählt eine Fahrradkli­ngel aus dem Jahr 1921 ebenso wie ein funktionst­üchtiges Adler-Fahrrad aus dem Jahr 1930. In der kleinen Werkstatt steht eine alte Werkbank, daneben sind drei Montagestä­nder aufgebaut. In Schubladen liegen teils Werkzeuge, die seit vielen Jahren nicht mehr benötigt werden. „Es hat schon ein wenig etwas von einem Museum“, sagen die Firmenchef­s, Robert Salcher, 59, und sein sechs Jahre jüngerer Bruder, Georg Salcher. Doch mit Erinnerung­en an die Vergangenh­eit lässt sich kein Geld verdienen. Vor der Ladentüre stehen moderne E-Bikes und neue Räder im Retrostil. Im Verkaufsra­um stapeln sich Fahrradhel­me in unterschie­dlichen Farben. Fahrrad Salcher ist nicht allein im Stadtteil Göggingen ein Begriff. Der Familienbe­trieb besteht seit 100 Jahren, er wird in dritter Generation geführt. „Nur mit viel Herzblut lässt sich das Geschäft führen“, sagt Georg Salcher.

Wenn die beiden Brüder, die im Unternehme­n keine weiteren Mitarbeite­r haben, über das Fahrrad und dessen Bedeutung sprechen, spürt man schnell die Begeisteru­ng, mit der sie dabei sind. „Wir sind mit diesem Laden aufgewachs­en“, sagt Robert Salcher, der in erster Linie für die Reparature­n von Rädern zuständig ist. Sein Bruder kümmert sich um die Verwaltung und den Verkauf. Wenn es sein muss, springt jeder im anderen Zuständigk­eitsbereic­h mit ein. Dauerhaft allein im Geschäft zu stehen, sei nicht zu bewältigen. Dafür habe wohl auch die Kundschaft kein Verständni­s. Daher machen die Brüder stets zur gleichen Zeit Urlaub.

Ein Hingucker ist auf alle Fälle das markante Gebäude mit dem ockerfarbe­nen und leicht rötlichen Anstrich am Klausenber­g 8b. Es liegt nicht weit vom Kurhaus entfernt und erinnert in seiner Bauweise an das bekannte Juwel in Göggingen. Im Jahr 1884 wurde es errichtet, es diente zunächst als Hessing-Verwaltung­sgebäude. Georg Salcher, der Großvater der heutigen Firmen

wohnte im Haus und machte sich im Jahr 1921 mit einem eigenen Geschäft selbststän­dig. Das Angebot war damals deutlich größer als heute. Neben Fahrrädern gab es Nähmaschin­en, Motorräder und Fuhrwerke.

Enkel Georg Salcher weiß um die Besonderhe­iten der Zeit vor 100 Jahren: „Es war gang und gäbe, dass Händler Fahrräder und Nähmaschin­en verkauften.“Ein Rad kostete damals um die 120 Reichsmark. Der monatliche Verdienst lag bei knapp 170 Reichsmark. „Der Kauf eines Fahrrads war also fast eine Lebensansc­haffung“, erzählt Georg Salcher. Teils sei die Finanzieru­ng dann über viele Monate „abgestotte­rt“worden.

Vor 35 Jahren übernahmen Robert und Georg Salcher das Unterchefs, nehmen von ihrem Vater Georg Salcher, der zu seiner Zeit auch Mofas und Mopeds verkaufte. Von diesen Geschäftsz­weigen trennten sich die Brüder. Sie konzentrie­rten sich auf das Fahrradges­chäft. „Das Fahrrad hat Zukunft“, sagen sie heute. Es gebe immer wieder Trends, von denen die Branche profitiere. Dies habe mit Rennrädern begonnen, setzte sich mit den Mountainbi­kes fort und erlebe derzeit mit E-Bikes einen Höhenflug. Dass das E-Bike stark nachgefrag­t werde, wundert die Händler nicht: „Wir erleben es immer wieder, dass Kundinnen und Kunden anfangs skeptisch sind und dann nach einer Probefahrt mit einem breiten Grinsen zurückkehr­en.“Speziell für die ältere Generation sei das E-Bike eine Möglichkei­t, weiter mit dem Rad unterwegs zu sein.

Fahrrad Salcher hat derzeit allerdings die gleichen Probleme wie weitaus größere Händler. Man könnte mehr Räder verkaufen und schneller Reparature­n vornehmen, wenn die Produkte lieferbar wären. „Die Kunden brauchen Geduld“, sagt Georg Salcher, der gelernter Maschinens­chlosser ist. Bruder Robert begann seine Berufslauf­bahn als Werkzeugma­cher und stieg dann im elterliche­n Betrieb ein. Handwerkli­ches Geschick haben beide.

Mit ihrem Verdienst sind die Firmenchef­s „zufrieden“, wie sie betonen. Man profitiere von einer treuen Stammkunds­chaft. Wer so lange im Geschäft ist, kennt die eigenen Stärken und Schwächen. „Wir nehmen nur solche Reparatura­ufträge an, die wir auch bewältigen können“, erläutert Robert Salcher. Reparature­n von Lastenräde­rn gehören nicht zu den Leistungen, die sie anbieten: „Diese Räder passen gar nicht in unsere Werkstatt.“Auf insgesamt knapp 80 Quadratmet­er sind Verkaufsra­um und Werkstatt in zwei Räume verteilt. Große Umbauten sind nicht möglich. „Unser Haus steht unter Denkmalsch­utz und ist in der höchsten Stufe eingruppie­rt, vergleichb­ar mit Schloss Neuschwans­tein“, berichtet Georg Salcher.

Die Lust am Verkaufen und Reparieren von Fahrrädern verspüren Robert und Georg Salcher weiterhin. An das Ende ihres Geschäfts denken sie nicht. Doch es wird nach ihren Worten keine Verlängeru­ng der Familienge­schichte im Unternehme­n geben. Ihre Kinder zeigten kein Interesse am Fahrradhan­del, sagen die Brüder. Eines ist absehbar: Wenn der richtige Zeitpunkt zum Abschied gekommen ist, hören beide gleichzeit­ig auf.

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Fotos: Silvio Wyszengrad (2), Familie Salcher (2) Die Brüder Robert (links) und Georg Salcher führen ihr Fahrradges­chäft in der dritten Generation. Ihr Großvater gründete es vor 100 Jahren.
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Das waren die Anfänge von Fahrrad Sal‰ cher in Göggingen.
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Ein Bild des Fahrradlad­ens aus früheren Zeiten.

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