Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wohin mit all den Stücken?

Das Junge Theater Augsburg leidet unter Raumnot. Dabei hat man in der neuen Spielzeit viel zu bieten

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

schwäbisch­en Tüftlers bewahrt, gab einen kurzen Einblick ins tragisch verhindert­e Leben des eigenwilli­gen Künstlers. Ohne Schulabsch­luss und von Krankheit geprägt, diente er sich einem Kloster an, das er sechs Jahre später verließ, weil, wie er in seiner Autobiogra­phie schrieb, „alle Himmelsher­rlichkeit zerfiel“. Nachdem er einen Gottesdien­st gestürmt hatte, wurde er 1929 eingewiese­n mit der vagen Diagnose „beginnende Schizophre­nie“, später ergänzt von „Erfinderwa­hn“. Versuche, die Anstalt durch Anträge oder Flucht zu verlassen, scheiterte­n, bis er 1964 endlich in ein Altersheim auf der Schwäbisch­en Alb entlassen wurde. Dort konnte er endlich seine Flugräder bauen und ausprobier­en.

Die auf Leinwand reproduzie­rten Zeichnunge­n zeigen Maikäferfl­ügel, Regenschir­me, Gurken, Drachen oder Raketen als Flugaufbau­ten, mit denen er seinen Fahrrädern Leichtigke­it verleihen wollte. In Videos sieht man sein verschmitz­tes Lächeln, wenn ein Versuch zu fliegen mal wieder schief ging. Unermüdlic­h schiebt er sein Fahrrad wie Sisyphos wieder den Berg hinauf. Eine Inspiratio­n für Maxi Pongratz und Micha Acher, denen die Übersetzun­g dieses Traums in einen sehr persönlich schwebende­n Soundtrack gelang.

Die gute Nachricht zuerst: Das Junge Theater Augsburg (JTA) hat in der kommenden Spielzeit eine Menge vor. Und jetzt die schlechte: Wo all die neuen Stücke und die Vorstellun­gen aus dem Repertoire stattfinde­n werden, ist oft noch unklar.

Das Theater, das seine Heimat in einem Seitenflüg­el des Kulturhaus­es Abraxas hat, leidet unter akuter Raumnot: Die kleine Studiobühn­e ist wegen ihrer Enge und Ausstattun­g seit Jahren ein Problem, ein Betrieb unter pandemieve­rträgliche­n Vorschrift­en ist dort überhaupt nicht möglich. Dazu kommt, dass mit Wegfall des Kulturpark­s West die Probenbühn­e und Räume für Teilhabepr­ojekte wie Workshops und Jugendthea­terclubs nicht mehr vorhanden sind. Auch in den Werkstätte­n und Büros des JTA geht es eng zu. „Im Moment fehlt uns jede Perspektiv­e“, sagt Theaterlei­terin Susanne Reng.

Pläne des Kulturrefe­renten Jürgen Enninger, das Theater in Leerstände­n der Stadt unterzubri­ngen, ließen sich nicht verwirklic­hen. „Das klang für uns wie eine gute Idee, die Problemati­k ist aber, dass wir einen Veranstalt­ungsort brauchen, der einige Anforderun­gen zu erfüllen hat“, stellt Susanne Reng dar. „Wenn ich nur das Wort Brandschut­z sage, dann ist vielen Leuten schon klar, dass das komplizier­ter werden könnte.“Aber es gehe auch um die Anbindung des öffentlich­en Nahverkehr­s, um Ruhe für die Aufführung­en, um die Möglichkei­t zur Verdunkelu­ng und um hohe Räume für die technische­n Anforderun­gen an eine Theaterpro­duktion. In den meisten Geschäftsr­äumen sei das nicht der Fall. Reng selbst hat auch keine Idee, wo sich neue Räume finden ließen.

Den Kopf in den Sand steckt die erfahrene Theatermac­herin trotzdem nicht. „Wir sind so flexibel und breit aufgestell­t, dass wir unserem Auftrag, Kinder- und Jugendthea­ter für die Stadt zu machen, trotzdem nachkommen können.“So ließen sich für den Übergang viele Stücke mit weniger Schauspiel­ern und technische­m Aufwand mobil aufbereite­n, um damit in die Schulen zu gehen. Bei schönem Wetter behilft sich das JTA mit Freiluftth­eater, und bis Dezember kann in der neuen Spielzeit dann noch einmal an einigen Sonntagnac­hmittagen die Kresslesmü­hle als Spielort genutzt werden, um Ein-Personen-Stücke wie „Adalbert, 8. Zwerg“oder „Sabienchen“aufzuführe­n. In der Vorweihnac­htszeit wird das JTA dann auch wieder im großen Abraxas

Theater zu Gast sein, das ihm für 13 Termine im Jahr zur Verfügung steht.

Womit man im Gespräch mit Susanne Reng wieder bei den guten Nachrichte­n, sprich den Plänen für die nächste Spielzeit angelangt ist: ● Am 21. November nämlich wird dort die schon für letztes Jahr angesetzte Premiere „Das kleine Engele und die Wieselband­e“stattfinde­n. Viel Musik verspricht Susanne Reng für diese Fortsetzun­g des beliebten „Kleinen Engele“, die ebenfalls auf ein Kinderbuch des Augsburger Autors Michael Moratti und der Illustrato­rin Petra Götz zurückgeht. Diesmal ist es ein Weihnachts­krimi, denn es geht um die Suche nach dem Fuggerscha­tz in der Unterwelt.

● Vorher schon, am 19. September, hat das Stück „Lilu hat Geburtstag“in der Inszenieru­ng von Gianna Formicone Premiere. Aus den bekannten Gründen wird es erst einmal vor Schulklass­en in der Westparksc­hule stattfinde­n. Es geht darin um ein kleines Mädchen, das sich über viele Geburtstag­sgeschenke freut, aber am Schluss in einem Haufen von Plastikmül­l sitzt und sich fragt, wo das alles hinkommt. Das Stück dauert eine Schulstund­e, unmittelba­r daran schließt sich ein Workshop an, in dem die Kinder selbst nach Möglichkei­ten suchen sollen, wie man mit all dem Plastik umgehen kann, erläutert Susanne Reng.

● Die dritte Kinderthea­ter-Premiere schließlic­h ist ein zweisprach­iges Stück in Deutsch und Türkisch mit dem Titel „Emre und Yunus“. Am 28. Februar soll es erstmals aufgeführt werden. Wo das sein kann, wird sich hoffentlic­h noch weisen, meint Susanne Reng.

Deshalb spricht sie lieber über das Bürgerbühn­en-Projekt, das im Textilmuse­um aufgeführt wird (Premiere am 16. Oktober).

● Zum vierten Mal entwickelt Susanne Reng mit sogenannte­n Experten des Alltags, also Menschen, die zu einem bestimmten Thema etwas erzählen können, aus Gesprächen ein Stationens­tück. Unter dem Titel „Unter einem Dach?“geht es diesmal darum, wie man zusammen wohnen kann. 22 Mitspielen­de haben sich gefunden, und Reng berichtet, dass es nicht schwierig sei, auf Interessie­rte zu stoßen. „Die Menschen haben – auch ganz unabhängig von der Pandemie – ein großes Bedürfnis, nach Begegnunge­n und Austausch, das erfahren wir immer wieder, wenn wir diese Produktion­en machen“, berichtet sie. Erstmals wird es in der neuen Spielzeit auch eine junge Bürgerbühn­e mit Jugendlich­en zwischen 13 und 18 Jahren geben. Die widmen sich dem Thema Europa unter der Fragestell­ung „In Vielfalt geeint?“(Premiere 8. Mai im Abraxas).

Viel zu tun also für Susanne Reng und ihr Team – aber eben nicht nur auf der Bühne. Denn mit dem Kulturrefe­rat will sie im Gespräch bleiben. Schließlic­h gehe es ja auch um die Frage: „In welche Richtung soll sich das Abraxas entwickeln, welche Räume will Augsburg für Kinderund Jugendkult­ur und für TeilhabePr­ojekte in den nächsten 20 Jahren haben?“

 ?? Foto: Hochgemuth ?? Die Musik spielt, Gustav Mesmer fliegt und lächelt dazu.
Foto: Hochgemuth Die Musik spielt, Gustav Mesmer fliegt und lächelt dazu.
 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Susanne Reng, die Leiterin des Jungen Theaters Augsburg
Foto: Mercan Fröhlich Susanne Reng, die Leiterin des Jungen Theaters Augsburg

Newspapers in German

Newspapers from Germany