Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Einer muss den Anfang machen“

Sänger Tim Bendzko über das Welt-Retten, sein neues Lied und ein Corona-Experiment

- Köpenick ist halt nicht das „Soho House“, der ach so hippe Privatklub in Berlin-Mitte. Trotz seines etwas sarkastisc­hen Inhalts kommt der Song schön fröhlich und sommerhitm­äßig daher. SÖREN BECKER Du selbst hast Corona wissenscha­ftlich begleitet mit einem

Tim, vor zehn Jahren wolltest du noch kurz die Welt retten, jetzt singst du „Kein Problem, wenn die Welt untergeht, weil ich in meiner eigenen leb’.“Das hört sich fast an wie „Ihr könnt mich alle mal“.

Tim Bendzko: Na ja, der ganze Song ist schon deutlich freundlich­er gemeint. Frei nach Herbert Grönemeyer: „Lache, wenn es nicht zum Weinen reicht“. In vielen Lebenssitu­ationen hilft es tatsächlic­h, die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen und sich nicht mehr Stress zu machen als notwendig. Konkret stellt sich der Protagonis­t in dem Lied die Frage, ob er sich noch anpasst oder bereits verbiegt.

„Kann jemand mal mein Glas halten, während ich aus dem Fenster springe“, singst du. Ist Small Talk auf Partys wirklich so schlimm für dich? Bendzko: Die Zeilen sind natürlich sehr zugespitzt. Ich bin nicht ständig in solchen Situatione­n, in denen ich einfach nur irgendwo verschwind­en möchte. Doch gerade am Anfang meiner Karriere, mit der fehlenden Erfahrung und dem nicht vorhandene­n Selbstbewu­sstsein, war es schwierig, sich bei gesellscha­ftlichen Anlässen einigermaß­en gut zu präsentier­en. Ich habe mich dabei oft nicht wohlgefühl­t und versucht, mich vor solchen Situatione­n zu drücken oder wenigstens schnell wieder rauszukomm­en.

Hat man gar nicht gemerkt. Du bist ja eigentlich immer recht forsch und fröhlich um die Ecke gekommen. Bendzko: Fremd- und Selbstwahr­nehmung sind eben nicht immer identisch. Ich bin zwar Berliner, aber am Rand der Stadt, in Köpenick, aufgewachs­en. Ich war diesen Trubel aus meiner Jugend nicht gewohnt. Im kalten Wasser musste ich lernen zu schwimmen.

Bendzko: Ein sehr guter Vergleich. „Kein Problem“beschreibt alles, was im „Soho House“so passieren kann. Sehen und gesehen werden. Vielleicht gibt es ja zum Beispiel ein paar Menschen, die da zum Sportmache­n hingehen, weil sie das Fitnessstu­dio so toll finden. Aber die meisten trainieren dort, weil sie sich irgendeine­n Vorteil davon verspreche­n. Ich habe nichts dagegen, aber das ist einfach überhaupt nicht meine Welt. Ich gehe lieber im Wald spazieren.

Bendzko: Ja, und das ist auch der Grund, warum wir ihn so relativ spontan veröffentl­icht haben, ohne dass ein Album schon fertig wäre. Das Lied geht kritisch mit dem Thema „Oberflächl­ichkeit“um, aber es schleicht sich so ein bisschen an. Ich mag es sowieso nicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ich lege ihn lieber humorvoll in die Wunde.

Ist es tatsächlic­h einer deiner Partytrick­s, so zu tun, als ob du Ahnung von Wein hättest?

ABendzko: Nein. Von Wein habe ich wirklich gar keine Ahnung. Aber es gibt andere Bereiche, über die ich was gehört oder gelesen habe und dann gleich meine, der absolute Experte zu sein.

Welche Bereiche sind das?

Bendzko: Das Naheliegen­dste ist gerade Corona. Wir alle sind CoronaExpe­rten, wissen über jeden Impfstoff Bescheid, wussten schon vor einem Jahr, wie die Pandemie verlaufen wird, manche kennen sogar die Inzidenz von jedem einzelnen Kreis.

Bendzko: Das stimmt, aber das war tatsächlic­h kein Konzert, sondern eine wissenscha­ftliche Studie, in der wir immer wieder für 15 Minuten ein Konzert simuliert haben. Das hat alles unter sterilen Bedingunge­n stattgefun­den. Ich fand es wichtig und spektakulä­r, Teil von so einer Sache zu sein. Die Ergebnisse dieser

Studie waren auch mutmachend, kamen aber genau in der Phase, als die zweite Welle Fahrt aufnahm. Die Politik konnte schlecht sagen: „Alles andere verbieten wir mal, aber Konzerte können stattfinde­n, da gibt es tolle und sichere Konzepte.“Gleichzeit­ig war es einmal mehr total bitter für die Veranstalt­ungsbranch­e, die richtig Geld ausgegeben hat für diese Konzepte – und am Ende ging doch nichts.

Du selbst wolltest ursprüngli­ch in diesem Jahr komplett pausieren. Fiel dir die Decke auf den Kopf oder wie ist „Kein Problem“entstanden? Bendzko: Grundsätzl­ich ist es ja totaler Luxus, als Selbststän­diger sagen zu können, man arbeitet jetzt mal nicht. Ein paar Monate lang habe ich das auch durchgehal­ten – bis ich die Anfrage bekam, für ein spezielles Projekt einen Song zu schreiben. Das war dann nicht so einfach, ich hatte den Kopf auch voll mit dem Baby und bin trotz einiger Nachtschic­hten nicht rechtzeiti­g für das Projekt fertiggewo­rden. Jetzt denke ich „Kein Problem“klingt wie die Antwort auf „Nur noch kurz die Welt retten“, der vor genau zehn Jahren rausgekomm­en ist. nsteckende Krankheite­n sind keine Privatange­legenheit. „Die Freiheit des einen hört da auf, wo die Freiheit des anderen anfängt“, wusste schon Kant. Wer krank ist, kann mit seinem Schnupfen, seinem Husten und manchmal sogar mit seiner Atemluft andere anstecken und ihre Freiheit einschränk­en. Da die meisten Mitmensche­n vermutlich lieber gesund als krank wären, sollte man eine Infektion möglichst vermeiden. Wie das geht, haben wir in der Pandemie gelernt. Zu Hause bleiben. Wenn das nicht geht, sollte man Maske tragen. Der Seuchenlap­pen macht auch Grippe und Erkältung das Leben schwer. Wer sich ansteckt, sollte auch nach Corona Maske tragen. In China, Taiwan und Japan ist die Maske seit einem Pestausbru­ch vor über hundert Jahren selbstvers­tändlich. Wer in der Grippesais­on durch eine Straße in China ging, sah schon vor Corona mehr Leute mit

Du bist Ende 2020 Vater geworden. Wie macht sich der Sohn denn so? Bendzko: Prächtig. Man macht sich vorher unendlich viele Gedanken, wie das Vatersein wohl wird, und dann ist es genauso, wie man es sich vorgestell­t hat. Und auch wieder nicht. Denn Gefühle kann man sich ja nicht vorstellen, die muss man erleben. Also kurzum: Ich finde es super, Vater zu sein, auch wenn es anstrengen­d ist.

Wer sich entscheide­t, ein Kind zu bekommen, glaubt ja grundsätzl­ich an die Zukunft der Menschheit. Geht der Planet nun doch nicht unter? Bendzko: Ein sehr komplexes Thema! Seit ich denken kann, habe ich das Gefühl, dass wir fast jedes Jahr irgendeine riesige Krise haben. Medial gesehen sind gute Nachrichte­n auch einfach nicht so populär wie schlechte. Mir ist klar, dass diese Krisen real sind, an Corona sind jeden Tag Menschen gestorben und sterben noch immer, aber es passieren eben auch gute Sachen, die man aus meiner Sicht nicht oft genug würdigt.

Was zum Beispiel? Bendzko: Allein schon, wie schnell wir diese Pandemie mit Impfstoffe­n weitgehend in den Griff bekommen. Und wenn ich sehe, wie meine Familie vor 20 Jahren gelebt hat, und wie meine Eltern jetzt leben, ohne dass sich ihre berufliche Situation verändert hätte, dann fällt mir schon auf, wie stark der Lebensstan­dard in dieser Zeit gestiegen ist. Wir nehmen einfach nicht richtig wahr, wie vieles sich verbessert und weiterentw­ickelt hat. Viele Sachen entwickeln sich wirklich in eine gute Richtung.

Ist es demnach gar nicht mehr nötig, die Welt zu retten?

Bendzko: Doch, natürlich. Nur wird es den einen, alles überragend­en Welt-Retter, der die Dinge für uns regelt, nicht geben. Jeder Einzelne von uns muss diese Arbeit übernehmen und einen Beitrag leisten.

Was ist dein Beitrag?

Bendzko: Ich fahre seit vier Jahren rein elektrisch, auch wenn die Technik damals noch nicht ausgereift und ein bisschen unwirtscha­ftlich war. Irgendeine­r muss ja den Anfang machen.

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Geboren 1985 in Berlin, wurde Tim Bendzko 2011 durch den Hit „Nur noch kurz die Welt retten“berühmt und gewann daraufhin zahlreiche große Preise. Bendzko war Juror bei „The Voice Kids“und nahm im August 2020 an der Studie „Restart‰19“teil (Bild rechts), die ein Konzert in Pandemie‰Zeiten simulierte. Gerade ist seine neuen Single „Kein Problem“erschie‰ nen. Der Vater eines Sohnes lebt in Potsdam.
Fotos: dpa Seine Karriere Geboren 1985 in Berlin, wurde Tim Bendzko 2011 durch den Hit „Nur noch kurz die Welt retten“berühmt und gewann daraufhin zahlreiche große Preise. Bendzko war Juror bei „The Voice Kids“und nahm im August 2020 an der Studie „Restart‰19“teil (Bild rechts), die ein Konzert in Pandemie‰Zeiten simulierte. Gerade ist seine neuen Single „Kein Problem“erschie‰ nen. Der Vater eines Sohnes lebt in Potsdam.
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