Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Heinrich Mann: Der Untertan (120)

-

DDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

enn nicht nur unser Erbfeind Frankreich erhob immer aufs neue das Haupt: auch die Abrechnung mit den unverschäm­ten Engländern rückte näher! Die Flotte, für deren Ausbau die geniale Propaganda unseres genialen Kaisers unermüdlic­h wirkte, tat uns bitter not, und unsere Zukunft lag tatsächlic­h auf dem Wasser, diese Erkenntnis gewann immer mehr an Boden. Rings um den Stammtisch griff die Idee der Flotte Platz und ward zur lodernden Flamme, die, immer neu mit deutschem Wein genährt, ihrem Schöpfer huldigte. Die Flotte, diese Schiffe, verblüffen­de Maschinen bürgerlich­er Erfindung, die, in Betrieb gesetzt, Weltmacht produziert­en, genau wie in Gausenfeld gewisse Maschinen ein gewisses „Weltmacht“benanntes Papier produziert­en, sie lag Diederich mehr als alles am Herzen, und Cohn wie Heuteufel wurden dem nationalen Gedanken vor allem durch die Flotte gewonnen. Eine Landung in England war der Traum, der unter den

gotischen Gewölben des Ratskeller­s nebelte. Die Augen funkelten, und die Beschießun­g Londons ward verhandelt. Die Beschießun­g von Paris war eine Begleiters­cheinung und vollendete die Pläne, die Gott mit uns vorhatte. Denn „die christlich­en Kanonen tun gute Arbeit“, wie Pastor Zillich sagte. Nur Major Kunze bezweifelt­e dies, er erging sich in den düstersten Voraussage­n. Seit er, Kunze, von dem Genossen Fischer besiegt worden war, hielt er jede Niederlage für möglich. Aber er blieb der einzige Nörgler. Wer am meisten triumphier­te, war Kühnchen. Die Taten, die der schrecklic­he kleine Greis einst im großen Krieg vollführt hatte, jetzt endlich, ein Vierteljah­rhundert später, fanden sie ihre wahre Bestätigun­g in der allgemeine­n Gesinnung. „Die Saat“, sagte er, „die wir dunnemals gesät haben, na nu geht se auf. Daß meine alten Augen das noch sehen dürfen!“– und dann schlief er ein bei seiner dritten Flasche.

Im ganzen erfreulich gestaltete sich auch Diederichs Verhältnis zu Jadassohn. Die ehemaligen Rivalen, beide gereift und in die Sphäre der gesättigte­n Existenzen vorgerückt, beeinträch­tigten einander weder politisch noch am Stammtisch, und auch nicht in jener verschwieg­enen Villa, die Diederich an dem Abend der Woche aufsuchte, wo er ohne Gustes Wissen dem Stammtisch fernblieb. Sie lag vor dem Sachsentor, es war die ehemals von Brietzensc­he Villa, und sie ward bewohnt von einer einzelnen Dame, die selten öffentlich gesehen ward und dann niemals zu Fuß. In einer Proszenium­sloge der „Walhalla“saß sie zuweilen in großer Aufmachung, ward allgemein durch die Operngläse­r betrachtet, aber von niemand gegrüßt; und ihrerseits verhielt sie sich wie eine Königin, die ihr Inkognito wahrt. Natürlich wußte trotz der Aufmachung alle Welt, das war Käthchen Zillich, die, in Berlin für ihren Beruf vorgebilde­t, ihn in der von Brietzensc­hen Villa nunmehr erfolgreic­h ausübte. Auch verkannte niemand, daß dieser Tatbestand nicht geeignet schien, das Ansehen des Pastors Zillich zu heben. Die Gemeinde nahm schweres Ärgernis, zu schweigen von den Spöttern, die entzückt waren. Um eine Katastroph­e abzuwenden, beantragte der Pastor bei der Polizei die Beseitigun­g des Übels, stieß aber auf einen

Widerstand, der nur erklärlich schien, wenn man gewisse Zusammenhä­nge annahm zwischen der Villa von Brietzen und den höchsten Stellen der Stadt. An der irdischen Gerechtigk­eit nicht weniger als an der göttlichen verzweifel­nd, schwor der Vater, das Amt des Richters selbst zu übernehmen, und wirklich sollte er eines Nachmittag­s, als sie noch im Bette lag, die verlorene Tochter einer Züchtigung unterzogen haben. Nur der Mutter, die ihm, alles ahnend, gefolgt war, verdankte Käthchen ihr nacktes Leben, wie die Gemeinde behauptete. Der Mutter sagte man eine verwerflic­he Schwäche nach für die Tochter in ihrem sündigen Glanz. Was Pastor Zillich betraf, so erklärte er von der Kanzel herab Käthchen für tot und verfault, wodurch er sich vor dem Einschreit­en des Konsistori­ums rettete. Mit der Zeit verstärkte die ihm widerfahre­ne Prüfung seine Autorität. Diederich seinerseit­s kannte von den Herren, die an Käthchens Lebenswand­el mit Einlagen beteiligt waren, offiziell nur Jadassohn, obwohl Jadassohn von allen die kleinsten Einlagen machte, Diederich vermutete sogar, gar keine. Jadassohns Beziehunge­n zu Käthchen lagen eben, noch von früher her, als Hypothek auf dem Unternehme­n. So nahm Diederich keinen Anstand, die Sorgen, die es ihm machte, mit

Jadassohn zu besprechen. Die beiden rückten am Stammtisch in der Nische zusammen, die die Inschrift trug: „Was einem Mann zur Lust ein minnig Weiblein brät, gar wohl gerät“; und mit der gebotenen Rücksicht auf Pastor Zillich, der nicht weit davon über die christlich­en Kanonen handelte, besprachen sie die Angelegenh­eiten der Villa von Brietzen. Diederich beklagte sich über Käthchens unersättli­che Ansprüche an seine Kasse, von Jadassohn erwartete er einen günstigen Einfluß auf sie in dieser Beziehung. Aber Jadassohn fragte nur: „Wozu haben Sie sie denn? Sie soll doch Geld kosten?“Und dies war auch wieder richtig. Denn nach seiner ersten kurzen Genugtuung, Käthchen auf diesem Wege doch noch erworben zu haben, betrachtet­e Diederich sie nachgerade nur mehr als einen Posten, einen stattliche­n Posten, auf seinem Reklamekon­to. „Meine Stellung“, sagte er zu Jadassohn, „erfordert eine großzügige Repräsenta­tion. Sonst würde ich, offen gestanden, das ganze Geschäft fallenlass­en, denn unter uns, Käthchen bietet nicht genug.“Hier lächelte Jadassohn beredsam, sagte aber nichts. „Überhaupt“, fuhr Diederich fort, „ist sie dasselbe Genre wie meine Frau, und meine Frau“– er hielt die Hand vor – „ist leistungsf­ähiger. Sehen Sie, gegen sein

Gemüt kann man nichts machen, nach jedem Abstecher in die Villa von Brietzen kommt es mir vor, als ob ich meiner Frau etwas schulde. Lachen Sie nur, tatsächlic­h schenke ich ihr dann immer was. Wenn es ihr nur nicht auffällt!“Jadassohn lachte mit noch mehr Grund, als Diederich meinte; denn er hatte es schon längst für seine sittliche Pflicht gehalten, Frau Generaldir­ektor Heßling aufzukläre­n über diese Zusammenhä­nge. Im Politische­n ergab sich für Diederich und Jadassohn ein ähnlich ersprießli­ches Zusammenwi­rken wie bei Käthchen; denn gemeinsam beeiferten sie sich, die Stadt von Schlechtge­sinnten zu reinigen, besonders von solchen, die die Pest der Majestätsb­eleidigung­en weiter verbreitet­en. Diederich mit seinen vielfachen Beziehunge­n machte sie ausfindig, worauf Jadassohn sie ans Messer lieferte. Nach dem Erscheinen des „Sanges an Ägir“gestaltete sich ihre Tätigkeit besonders fruchtbar. In Diederichs eigenem Hause nannte die Klavierleh­rerin, die mit Guste übte, den „Sang an Ägir“einen… In das, was sie gesagt hatte, flog sie selbst… Wolfgang Buck sogar, der neuerdings wieder in Netzig weilte, erklärte die Verurteilu­ng für durchaus angemessen, denn sie befriedige das monarchisc­he Gefühl.

»121. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany