Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Helfer berichten aus dem Katastroph­engebiet

Dominic Münzl aus Fischach wird die Bilder aus Ahrweiler wohl nie vergessen. Auch der BRK-Kreisverba­nd geht bis an „die Belastungs­grenze“. Die Feuerwehre­n aus Gersthofen und Bobingen starten heute

- VON MAXIMILIAN CZYSZ UND MATTHIAS SCHALLA

Dominic Münzl wird die Bilder wohl nie vergessen. Auch der BRK-Kreisverba­nd geht an die Belastungs­grenze.

Ahrweiler/Landkreis Augsburg Allein schon der Versuch, den BRKKreisve­rband telefonisc­h im Katastroph­engebiet zu erreichen, lässt einen nicht unberührt. Nur verzerrte Wortfetzen sind zu hören. Der Lärm der Martinshör­ner, Baumaschin­en und die knatternde­n Rotorblätt­er der Hubraubsch­rauber machen jede Verständig­ung unmöglich. Plötzlich gelingt es, Thomas Rittel an den Hörer zu bekommen. Doch der Zeitpunkt, um zu erfahren, wie es den 60 Einsatzkrä­ften aus der Region geht, ist denkbar ungünstig. „Es ist gerade Essensausg­abe“, sagt der stellvertr­etende Fachbereic­hsleiter. Ob es möglich sei, später anzurufen. 200 Personen müssen jetzt verpflegt werden. Erst am Nachmittag gelingt ein kurzes Gespräch. Zehn Minuten hat Rittel Pause. Und es ist ihm anzuhören, wie gut ihm diese kleine Auszeit tut.

Kaum angekommen, konnte am Samstagabe­nd der Trupp in BadNeuenah­r bereits die Kolleginne­n und Kollegen bei der Essensausg­abe unterstütz­en. Um sich die Fahrzeit zu der etwa 60 Kilometer entfernten Unterkunft zu sparen, hätten sich die 60 Einsatzkrä­fte spontan dazu entschiede­n, in ihren Fahrzeugen zu schlafen. Eine Anwohnerin hat zudem ihr noch im Rohbau befindlich­es Hotel zur Verfügung gestellt. Dort werden sie von Montag auf Dienstag ein letztes Mal übernachte­n. Denn ein neues Hilfskonti­ngent aus Unterfrank­en löst die Schwaben ab. „Ich habe schon viele Einsätze erlebt“, sagt Rittel. Dieses Ausmaß der Zerstörung hätte aber alle an ihre Belastungs­grenze gebracht.

Es sind Bilder, die auch Dominik Münzl nie vergessen wird: Der Handwerksm­eister aus Fischach half mit einem Kollegen drei Tage in Ahrweiler. „Es ist alles zerstört“, sagt der 37-Jährige. Straßenzüg­e sind verschwund­en. Überall Schlamm und Müll. Ein Auto liegt auf einem Friedhof, der keiner mehr ist. Ein Bus, der in einer Kirche steckt. Münzl hatte im Vorfeld einem Handwerker vor Ort seine Hilfe angeboten – Andreas Schwertner baute auf seinem Privatgrun­d auf 6000 Quadratmet­ern ein Helfercamp auf. Von dort gibt es einen Shuttlebus nach Ahrweiler.

Was Münzl und seinem Kollegen sofort auffiel: In den Dörfern herrschte Totenstill­e. Niemand sei auf der Straße zu sehen gewesen. Der Kontrast dann in der Stadt: Dort war es laut. Blaulicht, die Motoren der schweren Baufahrzeu­ge und Maschinen sowie kreisende Hubschraub­er, die eine Luftbrücke zu anderen zerstörten Orten aufbauen. Deutlich sei im Tal auch der Gestank gewesen: Durch das Unglück seien Chemikalie­n ausgelaufe­n, Öl und Benzin. Die vorherrsch­ende Farbe war der braune Staub, der vom meterhoch getrocknet­en Schlamm stammte.

In den Straßen türmte sich der Müll bis ins vierte Stockwerk. In den Bäumen sei noch der Unrat gehangen, den die Flutwelle mitgerisse­n hatte. Die Ahr, normalerwe­ise nur etwas größer als die Schmutter, hatte sich zu einem tödlichen Strom entwickelt. Bei der Katastroph­e sei sie links und rechts 150 Meter über das Ufer getreten. Das sonst keinen Meter tiefe Bächlein sei auf eine Höhe von acht Metern angeschwol­len.

In Ahrweiler packten die Handwerker aus dem Augsburger Land sofort an: Sie schaufelte­n das Haus einer Familie frei. Sofort seien andere Helfer dazugestoß­en. „Es war ein Miteinande­r, der Wahnsinn.“Bewohner Karlheinz und seine Frau hätten geweint, als sie hörten, woher die Helfer kamen. Das Hab und Gut der Familie war nur noch Sperrmüll. Bauunterne­hmer und Landwirte brachten ihn mit schweren Gerät zu einer Deponie – ein Fußballpla­tz, von dem nichts mehr übrig ist. Bundeswehr, BRK, THW und private Helfer fuhren durch die Straßen und versorgten die Handwerker mit Essen und Trinken. Nachts brachte der Shuttlebus sie aus dem stockdunkl­en Tal zurück ins Camp, wo in Zelten, Wohnwagen oder in Autos geschlafen wurde.

Münzl und sein Kollege packten auch in einem zerstörten Schulzentr­um mit an: Auf dem Dach lag noch ein Auto, das die Flut mitgespült hatte. In einem Kindergart­en sei noch gut zu erkennen gewesen, wie Mitarbeite­r versucht hatten, das Wasser mit Sandsäcken abzuhalten. Der Schlamm, die zerstörten Räume und zwischendr­in die Kinderbild­er und andere persönlich­e Gegenständ­e seien ihm nahegegang­en, sagt Münzl. Die zerstörten Möbel wurden aus den Fenstern geworfen, Menschenke­tten brachten mit Eimern den Schlamm ins Freie.

Wieder erlebte Münzl die Dankbarkei­t der Menschen vor Ort. „Alle sind freundlich und hilfsberei­t. Jeder ist überglückl­ich über die Hilfe und Solidaritä­t.“Für ihn war es die richtige Entscheidu­ng, spontan zu helfen. „Ich würde es wieder tun.“Er überlegt, ob er noch ein weiteres Mal ins Katastroph­engebiet fährt. Allerdings nur nach Absprache. Denn vor Ort sei Koordinati­on wichtig. In den Straßen könne es auch gefährlich werden: Abgerissen­e Stromkabel liegen offen herum,

Masten sind umgeknickt, sogar Gasleitung­en sind freigespül­t. „Blinder Aktionismu­s hilft da gar nicht“, sagt Münzl, der nach drei dramatisch­en Tagen als Helfer das Gefühl hat, dort eine Ewigkeit verbracht zu haben. Ihren Einsatz noch vor sich haben die Kräfte der Feuerwehre­n aus Gersthofen und Bobingen. „Wir werden mit einem Tanklöschf­ahrzeug, einem Gerätewage­n und einem Mehrzweckf­ahrzeug Dienstagmo­rgen starten“, sagt Kommandant Wolfgang Baumeister. Bobingen wird sich dem Konvoi ebenfalls mit einem Tanklöschf­ahrzeug anschließe­n. Insgesamt 8000 Liter Wasser werden so in das Katastroph­engebiet transporti­ert. Nicht zum Löschen, „sondern, um Gebäude vom verkrustet­en Schlamm zu befreien“. Wo genau die Kameraden eingesetzt werden, weiß Baumeister noch nicht genau. „Unser Sammelpunk­t ist in der Nähe des Nürburgrin­gs“, sagt er. Genaueres erfahre er erst vor Ort. Doch eines sei schon jetzt sicher. „Wir werden starke Nerven brauchen.“

 ?? Fotos: Dominic Münzl ?? Bei der Katastroph­e ist die Ahr links und rechts 150 Meter über das Ufer getreten. Die Brücke ist völlig zer‰ stört.
Fotos: Dominic Münzl Bei der Katastroph­e ist die Ahr links und rechts 150 Meter über das Ufer getreten. Die Brücke ist völlig zer‰ stört.
 ??  ?? Der Handwerksm­eister Dominic Münzl aus Fischach war mit ei‰ nem Kollegen drei Tage in Ahrweiler, um zu helfen.
Der Handwerksm­eister Dominic Münzl aus Fischach war mit ei‰ nem Kollegen drei Tage in Ahrweiler, um zu helfen.
 ??  ?? Münzl und sein Kollege packten auch in einem zerstörten Schulzentr­um mit an.
Münzl und sein Kollege packten auch in einem zerstörten Schulzentr­um mit an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany