Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Helfer berichten aus dem Katastrophengebiet
Dominic Münzl aus Fischach wird die Bilder aus Ahrweiler wohl nie vergessen. Auch der BRK-Kreisverband geht bis an „die Belastungsgrenze“. Die Feuerwehren aus Gersthofen und Bobingen starten heute
Dominic Münzl wird die Bilder wohl nie vergessen. Auch der BRK-Kreisverband geht an die Belastungsgrenze.
Ahrweiler/Landkreis Augsburg Allein schon der Versuch, den BRKKreisverband telefonisch im Katastrophengebiet zu erreichen, lässt einen nicht unberührt. Nur verzerrte Wortfetzen sind zu hören. Der Lärm der Martinshörner, Baumaschinen und die knatternden Rotorblätter der Hubraubschrauber machen jede Verständigung unmöglich. Plötzlich gelingt es, Thomas Rittel an den Hörer zu bekommen. Doch der Zeitpunkt, um zu erfahren, wie es den 60 Einsatzkräften aus der Region geht, ist denkbar ungünstig. „Es ist gerade Essensausgabe“, sagt der stellvertretende Fachbereichsleiter. Ob es möglich sei, später anzurufen. 200 Personen müssen jetzt verpflegt werden. Erst am Nachmittag gelingt ein kurzes Gespräch. Zehn Minuten hat Rittel Pause. Und es ist ihm anzuhören, wie gut ihm diese kleine Auszeit tut.
Kaum angekommen, konnte am Samstagabend der Trupp in BadNeuenahr bereits die Kolleginnen und Kollegen bei der Essensausgabe unterstützen. Um sich die Fahrzeit zu der etwa 60 Kilometer entfernten Unterkunft zu sparen, hätten sich die 60 Einsatzkräfte spontan dazu entschieden, in ihren Fahrzeugen zu schlafen. Eine Anwohnerin hat zudem ihr noch im Rohbau befindliches Hotel zur Verfügung gestellt. Dort werden sie von Montag auf Dienstag ein letztes Mal übernachten. Denn ein neues Hilfskontingent aus Unterfranken löst die Schwaben ab. „Ich habe schon viele Einsätze erlebt“, sagt Rittel. Dieses Ausmaß der Zerstörung hätte aber alle an ihre Belastungsgrenze gebracht.
Es sind Bilder, die auch Dominik Münzl nie vergessen wird: Der Handwerksmeister aus Fischach half mit einem Kollegen drei Tage in Ahrweiler. „Es ist alles zerstört“, sagt der 37-Jährige. Straßenzüge sind verschwunden. Überall Schlamm und Müll. Ein Auto liegt auf einem Friedhof, der keiner mehr ist. Ein Bus, der in einer Kirche steckt. Münzl hatte im Vorfeld einem Handwerker vor Ort seine Hilfe angeboten – Andreas Schwertner baute auf seinem Privatgrund auf 6000 Quadratmetern ein Helfercamp auf. Von dort gibt es einen Shuttlebus nach Ahrweiler.
Was Münzl und seinem Kollegen sofort auffiel: In den Dörfern herrschte Totenstille. Niemand sei auf der Straße zu sehen gewesen. Der Kontrast dann in der Stadt: Dort war es laut. Blaulicht, die Motoren der schweren Baufahrzeuge und Maschinen sowie kreisende Hubschrauber, die eine Luftbrücke zu anderen zerstörten Orten aufbauen. Deutlich sei im Tal auch der Gestank gewesen: Durch das Unglück seien Chemikalien ausgelaufen, Öl und Benzin. Die vorherrschende Farbe war der braune Staub, der vom meterhoch getrockneten Schlamm stammte.
In den Straßen türmte sich der Müll bis ins vierte Stockwerk. In den Bäumen sei noch der Unrat gehangen, den die Flutwelle mitgerissen hatte. Die Ahr, normalerweise nur etwas größer als die Schmutter, hatte sich zu einem tödlichen Strom entwickelt. Bei der Katastrophe sei sie links und rechts 150 Meter über das Ufer getreten. Das sonst keinen Meter tiefe Bächlein sei auf eine Höhe von acht Metern angeschwollen.
In Ahrweiler packten die Handwerker aus dem Augsburger Land sofort an: Sie schaufelten das Haus einer Familie frei. Sofort seien andere Helfer dazugestoßen. „Es war ein Miteinander, der Wahnsinn.“Bewohner Karlheinz und seine Frau hätten geweint, als sie hörten, woher die Helfer kamen. Das Hab und Gut der Familie war nur noch Sperrmüll. Bauunternehmer und Landwirte brachten ihn mit schweren Gerät zu einer Deponie – ein Fußballplatz, von dem nichts mehr übrig ist. Bundeswehr, BRK, THW und private Helfer fuhren durch die Straßen und versorgten die Handwerker mit Essen und Trinken. Nachts brachte der Shuttlebus sie aus dem stockdunklen Tal zurück ins Camp, wo in Zelten, Wohnwagen oder in Autos geschlafen wurde.
Münzl und sein Kollege packten auch in einem zerstörten Schulzentrum mit an: Auf dem Dach lag noch ein Auto, das die Flut mitgespült hatte. In einem Kindergarten sei noch gut zu erkennen gewesen, wie Mitarbeiter versucht hatten, das Wasser mit Sandsäcken abzuhalten. Der Schlamm, die zerstörten Räume und zwischendrin die Kinderbilder und andere persönliche Gegenstände seien ihm nahegegangen, sagt Münzl. Die zerstörten Möbel wurden aus den Fenstern geworfen, Menschenketten brachten mit Eimern den Schlamm ins Freie.
Wieder erlebte Münzl die Dankbarkeit der Menschen vor Ort. „Alle sind freundlich und hilfsbereit. Jeder ist überglücklich über die Hilfe und Solidarität.“Für ihn war es die richtige Entscheidung, spontan zu helfen. „Ich würde es wieder tun.“Er überlegt, ob er noch ein weiteres Mal ins Katastrophengebiet fährt. Allerdings nur nach Absprache. Denn vor Ort sei Koordination wichtig. In den Straßen könne es auch gefährlich werden: Abgerissene Stromkabel liegen offen herum,
Masten sind umgeknickt, sogar Gasleitungen sind freigespült. „Blinder Aktionismus hilft da gar nicht“, sagt Münzl, der nach drei dramatischen Tagen als Helfer das Gefühl hat, dort eine Ewigkeit verbracht zu haben. Ihren Einsatz noch vor sich haben die Kräfte der Feuerwehren aus Gersthofen und Bobingen. „Wir werden mit einem Tanklöschfahrzeug, einem Gerätewagen und einem Mehrzweckfahrzeug Dienstagmorgen starten“, sagt Kommandant Wolfgang Baumeister. Bobingen wird sich dem Konvoi ebenfalls mit einem Tanklöschfahrzeug anschließen. Insgesamt 8000 Liter Wasser werden so in das Katastrophengebiet transportiert. Nicht zum Löschen, „sondern, um Gebäude vom verkrusteten Schlamm zu befreien“. Wo genau die Kameraden eingesetzt werden, weiß Baumeister noch nicht genau. „Unser Sammelpunkt ist in der Nähe des Nürburgrings“, sagt er. Genaueres erfahre er erst vor Ort. Doch eines sei schon jetzt sicher. „Wir werden starke Nerven brauchen.“