Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ende eines Sommertrau­ms?

Auf Mallorca geht der Inzidenzwe­rt wieder durch die Decke – ausgerechn­et wenige Tage, bevor in Bayern das Schuljahr endet. Noch reagieren die meisten Feriengäst­e entspannt. Aber die Unruhe wächst – und der Ärger mit dem Partyvolk auf der Insel erst recht

- VON RALPH SCHULZE UND DORIS WEGNER

Palma An Mallorcas berühmtest­em Sandstrand, der Playa de Palma, sonnen sich tausende Urlauberin­nen und Urlauber. Kleine Wellen rollen ans Ufer. Kinder planschen im badewannen­warmen Wasser. Die Palmen wehen an der dahinterli­egenden Promenade im leichten Wind. Es scheint fast so, als ob auf Mallorca, der meistbesuc­hten Urlaubsins­el Europas, wieder die Normalität eingezogen ist. Aber auch nur fast.

Denn die Infektions­zahlen sind in den vergangene­n Tagen regelrecht explodiert. Sie sind um ein Vielfaches höher als in Deutschlan­d. Mit Wirkung ab diesem Dienstag, wenige Tage vor Beginn der Sommerferi­en in Bayern, hat deswegen das Berliner Robert Koch-Institut die Insel und zugleich ganz Spanien zum Hochinzide­nzgebiet erklärt.

Urlaubende, die ohne Impfung aus Mallorca zurückkehr­en, müssen ab sofort also mindestens fünf Tage in die Selbstisol­ation, bevor sie sich freitesten können – das gilt sogar für Kinder. Doch viele, die schon auf der Insel sind oder kurz vor dem Abflug in Richtung Ferien stehen, scheint dieses Szenario nicht zu schrecken.

Am sichtbarst­en wird dies an der Playa de Palma, der „Ballermann“-Partyzone. Tausende junge Menschen, darunter viele Deutsche, feiern dort jeden Abend mit viel Alkohol und ohne Abstand oder Maske. „Saufen, saufen, saufen“, grölt die Menge. Ein Partyheld ist mit einem Megafon auf die Mauer der Promenade geklettert und heizt die Stimmung mit lockeren Sprüchen an. „Das ist total geil hier“, ruft er in die tropische Nacht.

Eigentlich ist seit dem Wochenende auf Mallorca ein nächtliche­s Versammlun­gsverbot in Kraft. Schließlic­h gelten die wilden OpenAir-Partys als Infektions-Hotspot. Jede Nacht taucht die Polizei auf und versucht, die Menschen nach Hause zu schicken – mit nur mäßigem Erfolg. Vielerorts werden die Beamtinnen und Beamten ausgelacht und mit Sprüchen bedacht wie: „Sie gehen, wir kommen.“Denn kaum ist die Polizei verschwund­en, wird weiter gefeiert.

„Für das Verhalten der Partyurlau­ber möchte man sich fremdschäm­en“, überschrie­b die Mallorca Zeitung einen Meinungsar­tikel zu den nicht endenden Auswüchsen. „Als gebe es keine Corona-Pandemie“, schimpfte das Blatt entsetzt. „Sie trinken – obwohl das längst verboten ist – Alkohol in der Öffentlich­keit, liegen sich in den Armen und haben in ihrer feucht-fröhlichen Euphorie von Corona-Regeln offensicht­lich nie etwas gehört.“

Die Zeitung erinnert daran, dass die Insel vom Tourismus lebt und ein erneutes vorzeitige­s Ende der Saison wie im vergangene­n Jahr viele Familien in die Armut stürzen würde. „Es kann nicht sein, dass sich ein Großteil der Menschen auf Mallorca monatelang disziplini­ert an alle Corona-Auflagen hält, um irgendwie die Tourismuss­aison 2021 zu retten. Und dass dann eine winzige Minderheit, noch dazu eine derart rücksichts­lose, diese massiven Anstrengun­gen der Bevölkerun­g mit Füßen tritt.“

Willi Verhuven, Chef des Reiseveran­stalters Alltours, sieht das ähnlich. „Die Sauftouris­ten repräsenti­eren nur zwei bis drei Prozent der Urlauber auf Mallorca“, sagt der Reise-Experte. Er fordert ein Verbot des „Sauftouris­mus“. „Diese Leute schaden dem Image und der Wirtschaft Mallorcas.“

So sieht das auch Aage Dünhaupt. Der Sprecher von TUI Deutschlan­d befindet sich gerade auf Mallorca, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. „Auf dem Ballermann geht es zu wie auf der Reeperbahn zu besten Zeiten.“Ab 22 Uhr dürfe auf der Partymeile zwar kein Alkohol mehr ausgeschen­kt werden, und in den All-inclusive-Hotels der Gegend seien Wein und Bier nicht im Preis inbegriffe­n. Doch scheinen die

keine Wirkung zu haben. „Es gibt wohl einen Riesenbeda­rf, dass die Leute sich wieder ausleben wollen“, sagt Dünhaupt.

Der Reiseveran­stalter sei im engen Austausch mit der Inselregie­rung und den Tourismusv­erantwortl­ichen. „Der Partytouri­smus schadet dem Ruf der Insel, da muss man hart durchgreif­en.“Der Konzern mit Firmensitz in Großbritan­nien bringt die meisten Urlauber auf die Insel. Auch TUI hatte einst Party-Urlaub auf Mallorca im Programm. Letztes Jahr wurde das Angebot eingestell­t. „Das passt einfach nicht in diese Zeit“, so Dünhaupt.

Das Gros der deutschen Mallorca-Feriengäst­e benimmt sich vorbildlic­h. Doch durch die Höherstufu­ng der Insel vom Risikogebi­et zum Hochinzide­nzgebiet und die damit verbundene Reisewarnu­ng werden nun alle getroffen. Trotzdem lassen sich die meisten nicht aus der Ruhe bringen. „Viele Urlauber reagieren gelassen“, schrieb die Mallorca Zeitung nach einer Straßenumf­rage.

Das hat auch Dünhaupt im Gespräch mit den Reiseleite­rinnen und Reiseleite­rn vor Ort festgestel­lt. Die Urlauberin­nen und Urlauber hätten gelernt, mit Corona umzugehen, sagt er. Nur wenige wollen früher abreisen, die Zahl ist „überschaub­ar“. Einige erkundigte­n sich nach den Quarantäne­bestimmung­en zu Hause, oft gehe es aber auch um den geplanten Ausflug am nächsten Tag. Vor einem Jahr wären die Reaktionen vieler weniger gelassen ausgefalle­n, ist Dünhaupt überzeugt.

Die meisten Kommentare von Reisenden in einschlägi­gen Mallorca-Foren bestätigen diesen Eindruck weitgehend. „Wir kommen auf alle Fälle, solange Mallorca nicht noch weiter höhergestu­ft wird. Wir sind beide vollständi­g geimpft“, schreibt eine Inselfreun­din namens Sabine. „Ich fliege im August und freue mich. Ich lasse mir den Urlaub nicht versauen“, verkündet eine andere Reisende, die sich als Anita vorstellt. Aber es gibt auch Absagen: „Gut, dass wir storniert haben. Das bringt doch nichts, wenn man mit Kindern hinterher in Quarantäne muss.“

Die Einstufung Spaniens und auch der Niederland­e als Hochrisiko­gebiete verunsiche­rt zwar viele Urlauberin­nen und Urlauber. Am Donnerstag startet Bayern in die Sommerferi­en. Gleichzeit­ig steigen in ganz Europa die Corona-Zahlen wieder. Viele Urlauberlä­nder verschärfe­n ihre Pandemiere­geln.

Die Reisebranc­he jedoch spürt derzeit noch keine größere Stornierun­gswelle. Gleichwohl wächst die Sorge, dass der Kater noch kommen könnte und dass neue Buchungen gebremst werden könnten. Die aktuelle Entwicklun­g in Spanien und den Niederland­en trifft besonders Familien. Denn die Lage ist so: Wird ein Land zum Hochrisiko­gebiet erklärt, müssen die geimpften Eltern nach einer Rückkehr nicht in Quarantäne, die meist ungeimpfte­n Kinder aber schon. Es muss also unter Umständen im Urlaub eine Kinderbetr­euung für zu Hause organisier­t werden. Es kann schon sein, dass viele Familien, die erst in einigen Wochen in den Urlaub fliegen, ihre Reise noch auf ein anderes Urlaubszie­l umbuchen werden, so TUI-Sprecher Dünhaupt. Für eine belastbare Einschätzu­ng sei der Zeitpunkt allerdings noch zu früh.

Mallorca jedoch ist jetzt schon in Sorge. Bereits vor der Berliner Entscheidu­ng hatten die Hotelbetri­ebe einen Rückgang der Reservieru­ngen um 30 Prozent gemeldet, was sie auf die neue Corona-Welle zurückführ­en.

Bei TUI, Europas größtem Urlaubsver­anstalter, sieht man nach der Verschärfu­ng der deutschen Reisehinwe­ise keinen Grund zur Panik: „Eine Reisewarnu­ng ist kein Reiseverbo­t“, erklärt der Konzern auf seiner Webseite. „Wir werden die Reisen auch weiterhin durchführe­n“, betont Dünhaupt. Der Urlaubsanb­ieter hatte ja schon vor den Osterferie­n für Schlagzeil­en gesorgt, als er Mallorca-Urlaub anbot, obwohl für die Insel noch eine Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amtes bestand. TUI-Vorstandsm­itglied David Schelp verspricht, dass PauMaßnahm­en schalurlau­be wegen der ausgefeilt­en Hygienekon­zepte sicher seien. „Die Inzidenzra­te unter TUI-Urlaubern liegt bei unter 1“, sagt er.

Die mallorquin­ischen Hoteliers beten unterdesse­n, dass die Stimmung nicht doch noch kippt. Die Vizechefin des Hotelverba­ndes FEHM, María José Aguiló, räumt nach der deutschen Reisewarnu­ng ein: „Das ist eine schlechte Nachricht.“Und die Inselzeitu­ng Diario de Mallorca urteilt: „Das ist ein neuer Schlag für die Sommersais­on.“

Spaniens Tourismusm­inisterin Reyes Maroto hatte noch vor kurzem den Traum von einer touristisc­hen Erholung Mallorcas genährt. „Wir wollen dieses Jahr wenigstens die Hälfte der Urlauber, die 2019 gekommen sind, zurückgewi­nnen, “sagte sie. In 2019 waren 10,3 Millionen ausländisc­he Feriengäst­e nach

Mallorca gekommen, darunter 4,2 Millionen Deutsche. Daraus wird wohl nichts.

Zugleich ist Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverba­ndes, davon überzeugt, dass der reine Inzidenzwe­rt wegen des Impffortsc­hritts bei weitem nicht mehr die Aussagekra­ft habe wie zu Beginn der Pandemie. Stattdesse­n müsse die Belastung des Gesundheit­ssystems in den Mittelpunk­t der Einschätzu­ng gerückt werden. Fiebig schätzt, dass sich derzeit rund 400000 deutsche Urlauberin­nen und Urlauber in Spanien befinden – ein Großteil davon auf Mallorca.

Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am Montag auf der Insel nach Angaben der örtlichen Behörden bei 341 und damit wieder etwas niedriger als am Sonntag – in Deutschlan­d war die Vergleichs­zahl bei etwas über 14. Der mittlere Wert für alle Balearenin­seln, zu denen auch Ibiza, Menorca und Formentera gehören, nähert sich mittlerwei­le 400.

Mehr als 330 Menschen liegen auf den Balearen mit Covid-Komplikati­onen im Krankenhau­s. Die Kliniken

stehen noch nicht vor dem Kollaps wie in früheren Viruswelle­n, aber sie müssen wegen des wachsenden Drucks bereits Routine-Eingriffe verschiebe­n.

Dabei macht Sorge, dass zunehmend Menschen mit komplettem Impfschutz erkranken. Nach Angaben der Inselbehör­den sind etwa 20 Prozent der Patientinn­en und Patienten auf den Intensivst­ationen vollständi­g Geimpfte. Die hochanstec­kende Delta-Variante verursacht inzwischen 85 Prozent aller Infektione­n.

Auch immer mehr Feriengäst­e stecken sich im Urlaub an. Hunderte wurden in den letzten Wochen bei den obligatori­schen Corona-Tests, die vor dem Rückflug gemacht werden müssen, positiv getestet. Die speziellen Quarantäne-Herbergen auf den Balearen sind überfüllt. Immer mehr Hotels müssen deswegen für infizierte Gäste Quarantäne­Zimmer bereitstel­len.

Doch die Schnelltes­ts vor dem Rückflug entdecken längst nicht alle Infizierte­n. Immer mehr MallorcaUr­lauber merken erst nach der Rückkehr in die deutsche Heimat, wenn plötzlich Symptome auftreten, dass sie das Virus als Souvenir mitgebrach­t haben.

Das Robert Koch-Institut vermutet inzwischen bei zehn Prozent aller in Deutschlan­d registrier­ten Infektions­fälle eine Ansteckung im Ausland. Infektions­region Nummer eins ist dabei laut RKI mit großem Abstand Spanien – und dort die deutsche Lieblingsi­nsel Mallorca.

Wie geht es nun weiter? Möglicherw­eise mit neuen Restriktio­nen auf der Insel. Die Mallorca-Regierung schließt nicht aus, dass Bars und Restaurant­s bald nur noch mit Gesundheit­spass betreten werden dürfen. Die regionale Regierungs­chefin Francina Armengol bittet zudem, nicht ohne Maske auf die Straße zu gehen. Die Maskenpfli­cht im Freien wurde zwar aufgehoben – wenigstens soweit Abstand eingehalte­n werden kann. Doch dies war nach Meinung von Fachleuten wohl etwas voreilig. Deswegen ihr Appell: „Bitte nicht oben ohne.“

Experten fordern ein Verbot des „Sauftouris­mus“

Derzeit sind etwa 400000 Deutsche in Spanien

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Die zwei Seiten des Mallorca‰Urlaubs: Tagsüber herrscht meist eine entspannte Stimmung an den Stränden, abends muss die Polizei regelmäßig das Partyvolk bändigen – häufig mit wenig Erfolg.
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Fotos: Clara Margais, dpa

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