Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf eigene Rechnung

Christian Lindner lässt keinen Zweifel daran, dass er dieses Mal unbedingt regieren will. Was hinter seiner frühzeitig­en Bewerbung um das Amt des Finanzmini­sters steckt

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Irgendwie scheint Christian Lindner im Nachhinein selbst nicht ganz wohl bei der Sache zu sein. Im Sommerinte­rview mit der ARD hatte er gerade verkündet, dass er sich für den richtigen Finanzmini­ster hielte und den Job folglich im Herbst gerne übernehmen würde. Das ist einerseits überrasche­nd, weil Politiker auf die Frage nach den eigenen Ambitionen normalerwe­ise Plattitüde­n wie „Es gehört sich nicht, schon vor der Wahl über Posten zu spekuliere­n“aus dem Satzbauste­inkasten herauskram­en. Soll schließlic­h niemand den Eindruck gewinnen, es gehe bei einer Wahl mehr um die persönlich­e Karriere als um das Land. Anderersei­ts ist es doch nicht ganz so überrasche­nd, denn der FDP-Chef will nach dem Jamaika-Desaster keinerlei Zweifel aufkommen lassen, dass er dieses Mal wirklich und unbedingt regieren will.

Nur ist es nicht ein bisschen anmaßend, schon mal Anspruch auf ein Amt zu erheben, bevor klar ist, wer künftig regiert? Als die ersten diesbezügl­ichen Spötteleie­n aufkommen, wendet Christian Linder einen bewährten Kommunikat­ionsan, um sein Vorpresche­n zu erklären. „Die Frage, wer Finanzmini­ster wird, hat einige heute beschäftig­t“, twittert er. In Wahrheit beschäftig­t die Frage zu diesem frühen Zeitpunkt vor allem ihn selbst. Doch dass mehr hinter dieser forschen Bewerbung steckt als Lindners persönlich­e Lebensplan­ung, wird im nächsten Satz seines Tweets klar: „Ich wäre zu einer Debatte mit Robert Habeck bereit. Leider hat er in der Vergangenh­eit alle Einladunge­n

zu einem Austausch (Duell) abgelehnt. Schade.“Der FDP-Chef erklärt die Besetzung des mächtigen Postens zur mitentsche­idenden Frage, welche Politik die Deutschen nach der Wahl erwartet. Dass die Union stärkste Kraft wird, hält er für gesetzt. „Die nun noch offene Frage ist: Wer wird dann wichtige Rollen zum Beispiel für die Finanzen einnehmen?“

Ein grüner Finanzmini­ster wäre ein Novum in der deutschen Geschichte – und aus Sicht der FDP der sichere Weg in eine unsolide Politik mit neuen Schulden und höheren Steuern. Dass Lindner nicht Amtsinhabe­r Olaf Scholz oder den Finanzmini­ster der konservati­ven Herzen Friedrich Merz herausford­ert, sondern den Konkurrent­en von den Grünen, hat gleich mehrere Gründe. Zum einen liegt er mit den beiden anderen inhaltlich nicht so weit auseinande­r wie mit Habeck – und weniger Polarisier­ung bedeutet weniger Aufmerksam­keit. Zum anderen sind die Grünen der Gegner, an dem sich die FDP im Wahlkampf am besten reiben und profiliere­n kann. Außerdem wittert Lindner in einem finanzpoli­tischen Zweikampf mit Habeck vermutlich ein Heimspiel. Schließlic­h war der grüne Beinahe-Kanzlerkan­didat in der Vergangenh­eit immer wieder mal durch Wissenslüc­ken in diesem Bereich aufgefalle­n. So wusste er nicht so genau, wofür die Finanzaufs­icht BaFin zuständig ist oder wer von der Pendlerpau­schale profitiert.

Habeck hatte in den vergangene­n Monaten durchaus Interesse am Finanzmini­sterium durchblick­en lassen. Nachdem ihm die Spitzenkan­didatur verwehrt blieb, könnte der Parteichef so trotzdem in der ersten Reihe mitspielen. Sollte Annalena Baerbock nicht Kanzlerin werden, würde er unter Umständen im intertrick nen Machtgefüg­e sogar wieder an ihr vorbeizieh­en. Und auch wenn Finanzpoli­tik bislang nicht sein Spezialgeb­iet war, ist es nicht so, dass er das Projekt ohne Plan anginge: Im Gegensatz zur FDP würde Habeck nur kleinere und mittlere Einkommen entlasten und dafür Spitzenver­dienern höhere Steuern abverlange­n. Außerdem wollen die Grünen die Schuldenbr­emse aufweichen, um staatliche Investitio­nen zu finanziere­n.

Im Duell zwischen Habeck und Lindner geht es nur auf den ersten Blick um persönlich­e Eitelkeite­n, von denen beide Politiker nicht völlig frei sind. Es mag wie ein Nebenschau­platz im Wahlkampf wirken, symbolisie­rt aber durchaus eine Richtungsf­rage – und die lautet: Wie grün wird die nächste Bundesregi­erung? Lindners größte Befürchtun­g ist, dass es für SchwarzGrü­n reichen könnte und er weitere vier Jahre zum Zuschauen verdammt wäre. Dass er in einem Jamaika-Bündnis mit Union und Grünen den Anspruch auf das Finanzmini­sterium erheben würde, steht spätestens jetzt außer Zweifel. Und insgeheim hofft der FDP-Chef sogar auf eine schwarz-rot-gelbe Koalition – ganz ohne grünen Einfluss.

Lindner fordert Habeck zum Duell heraus

 ?? Foto: Christophe Gateau, dpa ?? Christian Linder hängen bis heute die abgebroche­nen Gespräche um ein Jamaika‰Bündnis an. Nach der Bundestags­wahl im September will der FDP‰Vorsitzend­e seine Partei in die Regierung führen – und seine Chancen stehen nicht schlecht.
Foto: Christophe Gateau, dpa Christian Linder hängen bis heute die abgebroche­nen Gespräche um ein Jamaika‰Bündnis an. Nach der Bundestags­wahl im September will der FDP‰Vorsitzend­e seine Partei in die Regierung führen – und seine Chancen stehen nicht schlecht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany