Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Phantom der Oper

Mit Angela Merkel verlässt im Herbst auch ihr Ehemann die öffentlich­e Bühne. Über einen Mann, der die Rolle des „First Husband“auf seine ganz eigene Art ausgefüllt hat

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Da ist er wieder. Nur ganz kurz hält er an, beinahe wäre er den Linsen der Kameraleut­e entwischt. Er scheut das Blitzlicht. Erst als seine Frau ihn heranwinkt, lässt er sich fotografie­ren. Doch wie wenig ihm Auftritte wie dieser liegen, daraus macht er keinen Hehl. Der Mund quält sich ein Lächeln ab, das den Namen kaum verdient. Das „Phantom der Oper“haben sie ihn getauft, weil hier, auf dem Festspielh­ügel in Bayreuth, einer der wenigen Orte ist, an denen er sich zeigt.

Jahr für Jahr schreitet Angela Merkel dort mit ihrem Ehemann Joachim Sauer bei den WagnerFest­spielen über den roten Teppich. Diesmal ist es das letzte Mal, dass er dort als „First Husband“, als Kanzlerinn­en-Gatte, zu sehen ist. Auch nach 16 Jahren, in denen Merkel regierte, weiß man über den 72-Jährigen an ihrer Seite nur wenig. Doch so viel darf man wohl annehmen: Darüber, dass es auch für ihn dann keinen Grund mehr gibt zu repräsenti­eren, wird er froh sein.

Joachim Sauer war nicht nur der erste Mann, der diese Position des „ersten Ehemanns“im Staat je eingenomme­n hatte – er war im Vergleich mit seinen Vorgängeri­nnen auch die ungewöhnli­chste Besetzung. Der Quantenche­miker hat es nie als seine Aufgabe verstanden, sich im Schatten seiner Frau für karitative Zwecke einzusetze­n oder sich als schmückend­es Beiwerk zu inszeniere­n. Völlig selbstvers­tändlich führte Sauer sein Berufslebe­n als Wissenscha­ftler und Professor an der Berliner Humboldt-Universitä­t fort. Er definierte sich über seine eigene Karriere, hielt sich aus Debatten raus. Als im Rahmen der Flüchtling­skrise spekuliert worden war, ob vielleicht die Kanzlerin für den Friedensno­belpreis infragekäm­e, hieß es, eher bekäme Dr. Dr. h.c. Sauer als internatio­nal anerkannte­r Experte den Nobelpreis für Chemie. Die Liste seiner Preise und Auszeichnu­ngen ist lang.

Seine Haltung dürfte Maßstäbe setzen. Ein Anhängsel oder „die Frau/der Mann hinter ...“muss man im Kanzleramt im Jahr 2021 nicht mehr sein. Selbst den ersten drei Vereidigun­gen seiner Ehefrau im Bundestag blieb Sauer fern – erst bei der vierten und letzten Zeremonie 2018 war er dabei. Auf der Tribüne des Bundestags hatte er dabei den Laptop aufgeklapp­t.

Dass er sich wie Hannelore Kohl bereitwill­ig im Urlaub fotografie­ren lässt – für Joachim Sauer undenkbar. Nicht viel mehr als Schnappsch­üsse

gibt es von den gemeinsame­n Wanderunge­n mit Angela Merkel alljährlic­h in Südtirol. Homestorys lehnen sowohl die Kanzlerin als auch ihr Mann kategorisc­h ab. Bis heute gibt es keine Bilder von der gemeinsame­n Wohnung in Berlin oder der Datsche in der Uckermark. Dass er sich wie Doris SchröderKö­pf selbst in die Politik einbringt – für Joachim Sauer keine Alternativ­e. Interviews zu politische­n Fragestell­ungen hat er in all den Jahren nicht gegeben. Dass er wie Ruth Brandt bürgernah und menschelnd die Machtposit­ion der Kanzlerin ergänzt – für Joachim Sauer unvorstell­bar. Der Wissenscha­ftler hält sich lieber im Hintergrun­d, wirkt auf den ersten Blick unnahbar. Und doch dürfte auch er Einfluss geübt haben auf die Entscheidu­ngen im Kanzleramt. Merkel selbst hatte einmal gesagt: „Wir reden nicht dauernd über Politik, aber er ist auch indirekt ein guter Berater.“

Nicht immer konnte sich Sauer vor seiner Rolle als „First Husband“drücken. Bei wichtigen Gipfeln war er Teil des Partnerpro­grammes – das früher Damenprogr­amm hieß. Auch diesen Veranstalt­ungen drückte er seinen Stempel auf. 2015, beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau, gab es nach einer Fahrt mit einer mit Blumen geschmückt­en Kutsche einen Vortrag von dem Biophysike­r und Direktor des Deutschen Museums in München, Wolfgang Heckl, über „Nanotechno­logie als Schlüsselt­echnologie des 21. Jahrhunder­ts“. Konkret ging es damals um nano-beschichte­te Krawatten, die Schmutzwas­ser abweisen. Basiswisse­n für einen Kanzlergat­ten.

Joachim Sauer, 1949 in Hosena (Brandenbur­g) geboren, ist Merkels zweiter Ehemann, die Verbindung zu ihrer Studentenl­iebe Ulrich Merkel wurde nach nur fünf Jahren geschieden. Sauer brachte zwei Söhne, Adrian und Daniel, mit in die Beziehung – durch sie ist das Ehepaar inzwischen zu Oma und Opa geworden. Kennengele­rnt haben sich die beiden in den 80er Jahren an der Ostberline­r Akademie der Wissenscha­ften, Sauer betreute damals die junge Physikerin bei ihrer Doktorarbe­it.

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Foto: dpa Joachim Sauer und Angela Merkel im Jahr 2017 auf dem Weg zur Stimmabga‰ be zur Bundestags­wahl.

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